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Europas Rechte ein Jahr vor der Europawahl 2014

Carsten Hübner
Einleitung

Die Parteien der extremen Rechten haben sich in den letzten 25 Jahren zu einem festen Bestandteil der politischen Landschaft in Europa entwickelt. Ihre MandatsträgerInnen sitzen in vielen National-, Regional- und Lokalvertretungen. Im Europaparlament gehören derzeit rund 10 Prozent der 754 Abgeordneten nationalkonservativen, rechtspopulistischen oder neonazistischen Parteien an. Ein Überblick.

Foto: flickr.com/european_parliament/CC BY-NC-ND 2.0

Das Europäische Parlament in Straßburg

Die Enttäuschung im rechten Lager Österreichs war groß, als am Abend des 3. März 2013 die ersten Hochrechnungen zur Landtagswahl in Kärnten bekannt wurden. Im Stammland Jörg Haiders und der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) brach ihr regionaler Ableger, die »Freiheitliche Partei Kärntens« (FPK) mit Landeshauptmann Gerhard Dörfler an der Spitze, dramatisch ein und fiel in der Wähler­Innengunst von 44,89 Prozent (2008) auf nunmehr 16,85 Prozent.

Der Wahl vorangegangen war die Selbstauflösung des Landtages. Anlass waren schwerwiegende Korruptions- und Parteispendenskandale, die dem inzwischen verstorbenen Haider und Mitgliedern seiner Partei angelastet werden. Doch auch die politische Bilanz der Regierungszeit fällt durchweg negativ aus. Die wirtschaftliche Situation Kärntens ist äußerst angespannt. Es hat nicht nur die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer, sondern liegt auch bei der Arbeitslosigkeit mit 12,7 Prozent (Januar 2013) an der Spitze Österreichs. Im Ergebnis nimmt die Wohnbevölkerung seit mehreren Jahren ab, weil qualifizierte Arbeitskräfte abwandern.

Der 2008 tödlich mit dem Auto verunglückte Haider, eine Ikone der extremen Rechten in Europa, war zwischen 1989 und 1991 sowie von 1999 bis 2008 Landeshauptmann Kärntens. Dörfler folgte ihm im Amt.

Westeuropa: Rechtes Lager vielerorts stabil zweistellig

Die Wahlniederlage vom März dokumentiert aber nicht nur eine aktuelle Krise der »Freiheitlichen« in Österreich. Sie verweist gleichzeitig auf die strukturelle Stabilität und Stärke des rechten Lagers. Denn mit knapp 17 Prozent für die FPK und weiteren 6,4 Prozent für das Konkurrenzprojekt »Bündnis Zukunft Österreich« (BZÖ) haben weiterhin rund ein Viertel der WählerInnen Kärntens der extremen Rechten ihre Stimme gegeben. Das entspricht dem Landesdurchschnitt. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup von Ende Februar zufolge kann die FPÖ bei der  Nationalratswahl am 29. September 2013 derzeit mit 22 Prozent (2008: 17,54 Prozent) und das BZÖ mit 2 Prozent (2008: 10,70 Prozent) rechnen.

Die Situation in Österreich ist im westeuropäischen Vergleich keineswegs eine Ausnahme. Während das offen neonazistische und militante Parteienspektrum bei Wahlen, von Ausnahmen abgesehen, weitgehend bedeutungslos ist, konnte etwa in den Niederlanden die rechtspopulistische »Partei für die Freiheit« (PVV) von Geert Wilders bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im letzten Jahr trotz interner Querelen und einer geplatzten Duldung der konservativen Regierung immerhin 10,1 Prozent (2010: 15,5 Prozent) der Stimmen auf sich vereinen. Die christlich-fundamentalistischen Parteien »Christen Union« (CU) und »Reformierte Staatspartei« (SGP) legten leicht zu und kamen zusammen auf 5,2 Prozent (2010: 4,9 Prozent).

Ebenfalls stabil zeigte sich die »Dänische Volkspartei« (DF) unter Füh­rung von Spitzenkandidatin Pia Merete Kjærsgaard. Die Partei hatte bis zur Wahl im September 2011 die rechtsliberale Regierung von Lars Løkke Rasmussen geduldet und holte 12,3 Prozent (2007: 13,9 Prozent).

Sogar deutlich zulegen konnte die »Front National« (FN) in Frankreich. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 2012 kam sie auf 13,6 Prozent (2007: 4,3 Prozent). Parteichefin Marine Le Pen, die Tochter von FN-Gründer Jean-Marie Le Pen, verlor mit 49,9 Prozent nur äußerst knapp das Duell um das Direktmandat im Wahlkreis Pas-de-Calais. Marine Le Pen gibt vor, ihre Partei aus der neonazistischen Ecke ins nationalkonservative demokratische Spektrum füh­ren zu wollen, was zu einem Wiedererstarken der FN geführt hat. Beim ersten Wahlgang um das Präsidentenamt am 22. April 2012 holte sie 17,9 Prozent und damit fast 6,5 Millionen Stimmen.

Aber auch einer ausgewiesen neonazistischen Partei gelang bei den Wahlen im Mai und im Juni 2012 in Griechenland der Einzug ins Parlament. Während die traditionelle Rechtspartei LA.O.S. schwächelte und auf 2,9 bzw. 1,6 Prozent (2009: 5,6 Prozent) fiel, kam die militante NPD-Schwesterpartei »Goldene Morgendämmerung« überraschend auf 6,97 bzw. 6,92 Prozent (2009: 0,29 Prozent) und verfügt seither über 18 Mandate.

Bedeutende Verluste musste demgegenüber die extreme Rechte in Belgien hinnehmen, wo der völkische »Vlaams Belang« (VB) bei den Parlamentswahlen im Juni 2010 deutlich verlor und im Landesdurchschnitt nur noch auf 7,76 Prozent (2007: 12 Prozent) der Stimmen kam. Und auch in Italien konnte die »Lega Nord« (LN) Ende Februar 2013 nicht an ihre bisherigen Wahlerfolge anknüpfen. Im Wahlbündnis mit Silvio Berlusconis »Mitte-Rechts-Koalition« kam die LN landesweit lediglich auf knapp 4,1 Prozent der Stimmen (2007: 8,3 Prozent). Gleichwohl stellt sie seit der gleichzeitig abgehaltenen Regionalwahl in der Lombardei, Italiens bevölkerungsreichster Region, mit Roberto Maroni erstmals seit Mitte 1990er Jahren wieder den Regionalpräsidenten.

Osteuropa: Extreme Rechte weiterhin sehr stark

In keinem anderen Land Europas scheint die extreme Rechte derzeit jedoch so stark wie in Ungarn. Neben der im April 2010 errungenen absoluten Mehrheit des nationalkonservativen Wahlbündnisses »Fidesz-KDNP« unter Führung von Ministerpräsident Viktor Orbán (52,73 Prozent) ist auch die militante neofaschistische Partei »Jobbik« mit 16,67 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten (47 Sitze). Außer ihrer trotz Verbot fortbestehenden Parteimiliz »Ungarische Garde« gibt es eine Reihe weiterer gewalttätiger und zum Teil bewaffneter Formationen, die für eine Vielzahl von Übergriffen auf die ungarische Roma-Minderheit verantwortlich sind.

In diesem gesellschaftlichen Klima sind rassistische, antisemitische, völkische sowie antikommunistische und demokratiefeindliche Ressentiments in den vergangenen Jahren Gemeingut der politischen Auseinandersetzung von rechts geworden und bildeten nicht selten die Grundlage für Gesetzesvorlagen und Verfassungsänderungen der Regierung. Eine klare Distanzierung von europäischer Seite ist bisher dennoch ausgeblieben. Im Gegen­teil. Der Fidesz ist weiterhin zusammen mit den deutschen Christdemokraten Mitglied der »Europäischen Volkspartei« (EVP) und ihrer Europafraktion.

Unverändert stark ist auch die nationalkonservative polnische Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) unter Führung von Jaroslaw Kaczynski, die bei den Sejm-Wahlen im Oktober auf 2011 knapp 29,9 Prozent (2007: 32,11 Prozent) der Stimmen kam. Während andere Rechtsparteien wie die »Liga Polnischer Familien« oder »Samoobrona« inzwischen völlig an Bedeutung verloren haben, vertritt die PiS weiterhin erfolgreich ein nationalistisch und katholisch-fundamentalistisch ausgerichtetes Milieu rechts der konservativen Regierungspartei »Bürgerplattform« (PO) von Ministerpräsident Donald Tusk. Zu ihrem Umfeld ge­hören der Sender »Radio Maryja« und Teile der Gewerkschaft »Solidarnosç«.

In Bulgarien stehen zudem für den 12. Mai 2013 vorgezogene Parlamentswahlen an, weil die konservative Minderheitsregierung unter Bojko Borissow (GERB) aufgrund gewaltsam verlaufener sozialer Proteste im Februar diesen Jahres ihren Rücktritt erklärte. Borissow hatte sich nach den Wahlen im Juli 2009 auch von der neonazistischen Partei »Ataka« von Wolen Siderow dulden lassen, die auf 9,36 Prozent (2005: 8,93 Prozent) der Stimmen gekommen war. Siderows Partei und seine Medien hetzen regelmäßig gegen die türkische und Roma-Minderheit Bulgariens. Immer wieder kommt es auch zu massiven antisemitischen Ausfällen.

Ausblick

Die Europawahlen 2014 finden unter dem Eindruck der aktuellen Finanzkrise und der Austeritätspolitik Brüssels statt. Das dürfte nationalkonservativen und rechtspopulistischen Parteien in ihrer europafeindlichen Haltung in die Hände spielen. Eine Stärkung der euroskeptischen und rechten Fraktionen »Europäische Konservative und Reformisten« (EKR; 53 Abgeordnete, u.a. PiS und CU) und »Europa der Freiheit und Demokratie« (EFD; 36 Abgeordnete, u.a. LN, SGP, DF, LA.O.S) könnte die Folge sein.

Aber auch das neonazistische Spektrum wird seine Chancen zu nutzen versuchen, wie die Erfolge der »Front National« in Frankreich, der »Goldenen Morgendämmerung« in Griechenland oder von »Jobbik« in Ungarn befürchten lassen. Ob es 2014 allerdings auch in diesem Lager für eine Fraktionsbildung reichen wird, ist schwer zu sagen. Seit 2009 sind dafür 25 Abgeordnete aus sieben Ländern erforderlich. Derzeit fraktionslos sind 24 Abgeordnete, die für extrem rechte Parteien ins Europaparlament gewählt wurden.

Die Hoffnungen richten sich deshalb auch auf die deutsche NPD. Denn nachdem das Bundesverfassungsgericht die Fünf-Prozent-Hürde für die Europawahlen kassiert hat, reichen etwas mehr als ein Prozent für ein Mandat aus Deutschland. Trotz oder gerade wegen ihrer gegenwärtigen Schwäche wird sich die NPD diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen.