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Russische Nationalisten wollen Hitler-Image abstreifen

Ulrich Heyden, Moskau
Einleitung

Auf dem alljährlichen »Russischen Marsch« am 4. November 2011 in Moskau wurde unter der schwarz-gelb-weißen Flagge der Monarchisten demonstriert. Nach dem Vorbild der europäischen Rechtspopulisten will die russische extreme Rechte die »einfachen« Bürger mit Anti-Islamismus auf ihre Seite bringen.

Foto: Heyden

»Russischer Marsch« 2011 in Moskau

An dem diesjährigen »Russischen Marsch« im Moskauer Plattenbau-Viertel Ljublino beteiligten sich 10.000 Personen mit rassistischen Parolen. Seit sieben Jahren schon veranstalten russische Rechtsradikale und Nationalisten ihren »Russischen Marsch« am arbeitsfreien Feiertag der »Volkseinheit«. 1

Dieses Jahr stand die Demonstration, die nicht nur in Moskau sondern auch in anderen Städten Russlands stattfand, unter dem Motto »Schluss mit der Fütterung des Kaukasus«. Die Redner forderten, den Verwaltungen der Teil-Republiken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien die finanzielle Unterstützung zu kappen, denn der Kaukasus exportiere nur Selbstmordattentäter und gewaltbereite Gastarbeiter nach Russland. Die Demonstranten riefen »Keine Moschee in Moskau«, »Moskau den Moskauern, Russland den Russen«.

Mit der Forderung, den Nord-Kaukasus von den finanziellen Zuwendungen aus Moskau abzukoppeln, erhoffen sich die Rechtsradikalen und Nationalisten, von der verbreiteten Stimmungsmache gegen Gastarbeiter aus dem Kaukasus und Zentralasien zu profitieren. Außerdem wollen sie am anti-islamischen Trend in der westlichen Welt teilhaben. So wunderte es nicht, dass auf der Abschlusskundgebung ein  Vertreter der »Französischen Erneuerung« (Renouveau français) auftrat. Bei dieser Organisation handelt es sich um eine militante, mehrere hundert Personen starke Gruppe aus Paris, die sich positiv auf das spanische Franco-Regime und den katholischen Fundamentalismus bezieht. Der Redner warnte die Kundgebungsteilnehmer: Sie müssten unverzüglich handeln, wenn sie nicht Verhältnisse wie in Frankreich wollten, wo schon über ein Viertel der Bevölkerung »nicht-europäisch« sei.

Typisch für die neue Strategie der russischen Rechten sind mittlerweile auch Kundgebungen gegen den Bau von Moscheen, wie z.B. am 11. September 2010 in Moskau. Russische Spitzenbeamte fördern die rassistische Stimmung. Als Anfang November in Tadschikistan ein russischer Pilot wegen angeblichem Schmuggel zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, starteten die russischen Behörden eine regelrechte Kampagne gegen Gastarbeiter aus Tadschikistan. Die russische Polizei nahm in Moskau und anderen Städten innerhalb weniger Tage 300 Menschen fest, die keine gültigen Aufenthaltspapiere hatten. Der Leiter der russischen Migrationsbehörde Konstantin Romodanowski erklärte anlässlich der Festnahmen, dass die Kriminalität unter Gastarbeitern aus Tadschikistan  besonders hoch sei. Der russische Oberarzt Gennadi Onistschenko behauptete, tadschikische Gastarbeiter seien überdurchschnittlich häufig mit HIV und Tuberkulose infiziert. Russische Menschenrechtler rechneten vor, dass die Infektionsraten in Russland mindestens ebenso hoch sind.

Ob den Rechtsradikalen ihr neuer »bürgernaher« Kurs abgenommen wird, muss sich erst noch zeigen. Die Demonstranten hatten dieses Jahr auf dem »Russischen Marsch« zwar auf das Mitführen von hakenkreuzähnlichen Symbolen verzichtet, dafür war aber der Großteil der meist jugendlichen Teilnehmer vermummt.

Mitten im schwarz-gelb-weißen Fahnenmeer2 flatterte auf dem »Russischen Marsch« die blau-weiß-rote Flagge Norwegens. Der Hintergrund war eindeutig: Auch in den extrem rechten Kreisen Russlands hat der Massenmord von Anders Breivik ein breites Echo gefunden. Die Bluttat von Breivik verstärkt bei der russischen Szene das Gefühl, dass man mit dem Kampf gegen die Gastarbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus auf dem richtigen Weg ist. 

Ein wichtiger Erfolg aus der Sicht der Veranstalter des »Russischen Marsches« war der Auftritt von Aleksej Navalny auf der Abschlusskundgebung. Der populäre Blogger, der 2007 wegen seiner nationalistischen Ansichten aus der kleinen sozialliberalen Partei »Jabloko« (Apfel) ausgeschlossen worden war, wird in der Öffentlichkeit wegen seines Eintretens gegen die Korruption in Russland immer noch als Liberaler wahrgenommen. Auf der Abschlusskundgebung des »Russischen Marsches« beendete Navalny seine Rede mit dem Nationalisten-Gruß »Es lebe Russland«.

Von Schwarzhemden zu Bürger-Aktivisten

Die russischen Rechtsradikalen haben in den letzten zwanzig Jahren eine erstaunliche Transformation durchgemacht. Heute versuchen sie von dem Aufschwung des Rechtspopulismus in Europa zu lernen. Russlands Rechte treten heute nicht mehr so auf wie noch Anfang der 1990er Jahre, als Mitglieder der Pamjat oder der Russisch-Nationalen Einheit (RNE) in Uniform und schwarzen Hemden auftraten. Viele Rechtsradikale haben heute bürgerliche Berufe und sind auf Anhieb nicht zu erkennen.

Die russischen Rechtsradikalen verändern zwar ihr Auftreten, doch sie drohen im Kreise ihrer Anhänger weiter unverhohlen mit Gewalt. »Vielleicht sollten wir zu den Maschinenpistolen greifen?« fragte rhetorisch Aleksandr Below von der Organisation »Russkije« (»Russen«) auf der Abschluss-Kundgebung des diesjährigen »Russischen Marsches« in Moskau. Erste Kundgebungsteilnehmer riefen schon begeistert, »Ja, ja.« Doch Below sagte, »nein, wir sind für eine friedliche Lösung der Probleme in Russland.«. Er schloss jedoch sogleich die Warnung an: »Guckt, was sie mit Mubarak, was sie mit Gaddafi gemacht haben.« Auch in Russland gäbe es »Leute, die sich Gedanken machen müssten«. Das war eine Anspielung auf die Macht in Russland und ihre Weigerung, den nationalistischen Parteien die Teilnahme an den Duma-Wahlen zu erlauben.

Die russische rechtsradikale Szene verfügt heute über ein großes Netz in allen gesellschaftlichen Schichten. Nach Angaben des Soziologen Aleksandr Tarasow habe sich die Zahl der Neonazi-Skinheads zwar von 70.000 auf die Hälfte halbiert. Dafür gäbe es aber heute in Russland 80 rechtsradikale Organisationen.  Den Rechtsradikalen gelingt es außerdem, in neue Schichten vorzudringen. Die Massen-Unruhen in Moskau, welche letztes Jahr nach dem Tod eines russischen Fußball-Fans ausbrachen (siehe AIB 90: »Hitlergruß vor dem Kreml«), gingen, so der Soziologe, nicht auf das Konto der Neonazis, sondern wurden vor allem von Fußball-Fans getragen.

Die Rechtsradikalen hatten sich aktiv in die Kampagne eingeklinkt, die in der Forderung alle Gastarbeiter aus Moskau zu vertreiben, gipfelte. Der russische Fußball-Fan Swiridow war im Dezember letzten Jahres bei einer Schlägerei mit kaukasischen Jugendlichen gestorben. Die Forderung, alle Kaukasier müssten aus Moskau verschwinden, fand wegen dem getöteten Fußball-Fan Verständnis in der Moskauer Bevölkerung. Offenbar um den Rechtsradikalen vor dem diesjährigen »Russischen Marsch« den Wind aus den Segeln zu nehmen, fällten Moskauer Gerichte unmittelbar vor dem russischen Feiertag der »Volkseinheit« zwei drastische Urteile gegen die beschuldigten Kaukasier. Einer von ihnen wurde wegen Mordes zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte zu seiner Verteidigung erklärt, er habe in Notwehr gehandelt, doch eine Verurteilung wegen Totschlags zog das Gericht nicht in Betracht. Das erste Mal hatten am diesjährigen Feiertag der »Volkseinheit« auch Moskauer Antifaschisten und Linke zu einer eigenen Aktion aufgerufen. An der Demonstration, die allerdings nur an einem abgelegenen Ufer der Moskwa erlaubt wurde, nahmen 300 Menschen teil.3

Die Kreml nahe Jugendorganisation »Naschi« organisierte dieses Jahr, wie schon im Jahr zuvor, wieder einen alternativen »Russischen Marsch«. Dieses Jahr fand er auf dem Moskauer Ausstellungsgelände »WWZ« statt, auf dem bis 1991 die Sowjetrepubliken ihre wirtschaftlichen Leistungen ausstellten. Zu einem anschließend von »Naschi« veranstalteten Volksfest der Nationalitäten waren alle  eingeladen, »die einen russischen Pass haben und Russisch sprechen«.
 

  • 1Wichtigster Organisator des diesjährigen Russischen Marsches war die im Mai dieses Jahres von Aleksandr Below (Pseudonym für Alexander Potkin) und Dmitri Demuschkin gegründete Organisation »Russkije« (Russen). Below und Demuschkin leiteten die inzwischen verbotenen Organisationen »Bewegung gegen illegale Migration« und »Slawische Union«
  • 2Die schwarz-gelb-weiße Fahne, die »Imperski Flag«, war von 1858 bis 1883 die offizielle Fahne des Zarenreiches. Diese Flagge nutzt seit ihrem Verbot 2005 auch schon die Nationalbolschewistischen Partei (NBP) des Schriftstellers Eduard Limonow als »Ersatz-Flagge«. Bis dahin hatten die NBPler auf Demonstrationen eine Flagge mitgeführt, die der Flagge der NSDAP ähnlich war. Statt des Hakenkreuzes sah man auf weißem Feld allerdings ein Hammer-und-Sichel-Symbol.
  • 3www.youtube.com/watch?v=H9tHRPQMIbM