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Nicht nur Spinnerei

Eike Sanders (apabiz)
Einleitung

Über die politischen Dimensionen  der Esoterik

Esoterik kann man durchaus bequem als Spinnerei abtun und sich zum Zeitvertreib Filme wie »Die Mondverschwörung« oder »Iron Sky« ansehen. Sich als Antifaschist_innen aber ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen, heißt nicht nur, nach den Neonazis in der Esoszene zu suchen, auch wenn es derer mehr als genug gibt. Es gilt, ein Jahrzehnte altes Phänomen zu analysieren, das, je näher man es betrachtet, mehr und mehr Raum einzunehmen und immer schwerer zu fassen scheint.

Zur Relevanz des seit Jahrzehnten expandierenden Esoterikmarktes seien ein paar Zahlen genannt: 10,6 Prozent des Umsatzes von Sachbüchern entfiel 2011 in Deutschland auf die Warengruppe »Psychologie, Esoterik, Spiritualität, Anthroposophie«1 . Schätzungen gehen davon aus, dass im gesamten Bereich der Esoterik 18–25 Milliarden Euro Umsatz jährlich gemacht werden, inklusive der zahlreichen Seminare, Behandlungen etc2 .  In Berlin erreichen die beiden sich über Anzeigen finanzierenden Zeitschriften »SEIN« und »KGS – körper geist seele« Auflagen von monatlich 20.000 bzw. 18.000 Exemplaren. Sie sind nicht nur in einschlägigen Praxen und Läden umsonst zu haben, sondern liegen in fast jedem Bioladen rum. Doch wovon reden wir bei Esoterik? Vom Yoga-Hype? Von Horoskopen und Feng Shui? Von Sekten und Heiden? Von UFOs und Neu­schwa­ben­land? Von Verschwörungstheorien und Reichsbürgern? Eine eindeutige Definition gibt es nicht.

Laut einer Shellstudie aus dem Jahr 2006 glauben 46 Prozent der Befragten, dass Schicksal und Vorherbestimmung ihr Leben beeinflussen, 23,8 Prozent glauben an den Einfluss von Engeln und guten Geistern – an Satan und böse Geister glauben allerdings nur 8,8 Prozent3 . Rund 77 Prozent der Deutschen lesen regelmäßig oder zumindest manchmal ihr Horoskop in der Zeitung4 . An die Existenz von UFOs glauben 13 Prozent. Bei der Gründung des sich spirituell gebenden »Königreich Deutschland« waren immerhin rund 450 Menschen anwesend, wie die SEIN berichtete5 .

All diese Leute glauben also an etwas, von dem wir nichts wissen, weil es nicht rational und wissenschaftlich nachvollziehbar ist. Allerdings glauben auch 58 Prozent »an Gott«6 – ein guter Grund, sich der Esoterik nicht nur kapitalismuskritisch und antifaschistisch, sondern auch religionskritisch zu nähern.

Esoterik vor dem NS – zwischen  Elitarismus und Massenphänomen

Etymologisch hergeleitet bedeutet »esoterikós« [griechisch] nach innen gerichtet oder dem inneren Bereich zugehörig und »okkult« [latein] verborgen, verdeckt, geheim. Tatsächlich bezeichnete Esoterik schon relativ früh geheimes Wissen, das in elitären Zirkeln verbreitet wird. Paradox scheint, dass Esoterik heute ein Massenphänomen und alles andere als elitär und geheim ist. Jedoch positionierte sich die Esoterik schon immer gegen den herrschenden Zeitgeist, den Materialismus und die Entzauberung der Welt durch die Naturwissenschaften. Auch heute verstehen sich Esoteriker_innen als »alternativ«, als »neue Menschen« und als »Liebe-voll« im Gegensatz zum egoistischen besitzorientierten Menschen im Kapitalismus.

Ihren Ausgangspunkt als Massenphänomen nahm die Esoterik 1888, als Helena Petrowna Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, ihr Buch »Die Geheimlehre« veröffentlichte und damit eine Mischung aus diversen mystischen und fernöstlichen Lehren, christlichem Glauben und evolutionärer »Rassenlehre« einem breiten Publikum zugänglich machte. Die Vorstellung von Karma und Reinkarnation, aber eben auch der Glaube an die rassistische  »Wurzelrassentheorie«7 , fanden so nahezu weltweite Verbreitung und wirkt bis heute in den meisten esoterischen Lehren nach – nicht zuletzt in der Anthroposophie Rudolf Steiners. Wäh­rend für Steiner Blavatsky zu unchristlich war, waren für Jörg Lanz von Liebenfels und Guido von List ihre Lehren zu ungermanisch: Die Ariosophie entstand und wurde die absurde spirituelle Zuspitzung aller rassistischen, antisemitischen und ariophilen Weltherrschaftsphantasien am Vorabend des Nationalsozialismus. Die Suche nach einer »arteigenen« Religion beschäftigt auch heute noch vor allem in Deutschland Heiden und Heidinnen, darunter nicht wenige extreme Rechte. Die Konstruktion eines nicht christlich-jüdischen Glaubens prägt die kulturellen Praktiken von völkischen Neonazis.

Extrem rechte Esoterik heute

Auch wenn viele Esoteriker_innen sich heute Mühe geben, sich von Rassismus und Antisemitismus abzugrenzen und Menschenverachtung als unvereinbar mit ihrer Spiritualität sehen, so sind weder Geschichtsbewusstsein noch eine politische Gesellschaftsanalyse Stärken der Szene. Nicht alle Esos sind Neonazis, aber einige sind es. Und diese – ja, im Vergleich wenige – haben Netzwerke, Verlage, Internetprojekte und gründen Pseudo-Staaten wie das Fürstentum Germania oder das Königreich Deutschland. Sie versuchen Menschen zu überzeugen und in ihre Projekte zu integrieren und schaffen es aufgrund von Ignoranz und falsch verstandener Toleranz unter dem Label des Unpolitischen, in den Mainstream-Zeitschriften der Esoterik-Szene eine Plattform zu finden. So druckte die SEIN 2010 den »Inkarnationsvertrag« des extrem rechten Autoren Jo Conrad ab, in dessen virtuellen und realen Projekten sich das ganze Spektrum von antisemitischen Verschwörungstheoretiker_innen und rechten Spirituellen zu Themen wie Zinsknechtschaft, »grenzwissenschaft­liche Phänomene«, AIDS-Verschwö­rung, Chemtrails und der Annahme, die BRD existiere nicht, äußern kann. Conrad ist zusammen mit Medi Becker und Michael Vogt (Vgl. AIB Nr. 80: »Die deutschen Mitglieder der Kontinent Europa Stiftung.«) federführend beim »Aufbruch Gold-Rot-Schwarz – Das Deutschland-Projekt«, an dem nach Eigenangaben »mehr als 80 verschiedene Gruppierungen und zahlreiche Aktivisten« teilnehmen8 . Der »Aufbruch Gold-Rot-Schwarz« traf sich zuerst am 9. November 2012, um »eine politische Alternative zum herrschenden System in Deutschland« zu verabschieden. Während in den »Alsfelder Beschlüssen« esoterisch-ökologisch von einem »nachhaltigen und respektvollen Umgang mit der Natur und allen Lebewesen und inspiriert von weiblicher und männlicher Energien und Spiritualität« die Rede ist, wird Michael Vogt in seinem »Manifest« »Der Weg in die Freiheit aus dem Zustand tiefster Erniedrigung: Manifest zur tatsächlichen Neuordnung Deutschlands« deutlicher: »[...] neben Kultur und Sprache [ist] die Abstammung zentraler Bestandteil des Nationsbegriffs […]. Aus dem deutschen Nationsverständnisses [sic] ergibt sich eine Abwehr des momentanen demographischen Imperialismus […]. Wir stehen in dieser Phase für Widerstand gegen Unrecht, für Freiheit und Menschenrechte, für das Überleben unseres Volkes und damit für eine sozial- und nationalrevolutionäre Veränderung und eine tatsächliche Neuordnung unserer Gesellschaft, unseres gesellschaftlichen und sozialen wie wirtschaftlichen Systems und unserer Nation«9 . Die spirituellen extremen Rechten entwickeln derzeit mit ihren konkreten politischen Projekten eine höhere Integrationskraft sowohl in die Esoterik- als auch in die Truther-Szene. (Vgl. AIB Nr. 87) Sie übersteigt die der NS-nostalgischen Reichsbürger-Bewegung von Horst Mahler bei weitem. Die Sollbruchstellen nur vermeintlich basisdemokratischer politischer Arbeit sollten allerdings nicht unterschätzt werden. In den Foren zeigt sich, wie schnell begeisterter Hingabe frustrierter Ausstieg folgen kann.

Ein anderes Beispiel für die Präsenz extrem rechter Esoterik im spirituellen Mainstream ist der Rüggeberg-Verlag: Sowohl die SEIN als auch die KGS drucken seit Jahren regelmäßig Anzeigen des esoterischen extrem rechten Verlags. Dieter Rüggeberg vertritt die These, ein zionistischer Geheimbund habe sich Hitlers bedient, um die mitteleuropäischen Juden zu zwingen, nach Palästina auszuwandern und ihren Staat zu bevölkern. Juden und Jüdinnen hätten demnach den Holocaust selbst gezielt entfesselt und gefördert. Er vermutet, die füh­renden Nazis seien »selbst jüdischer Abkunft bzw. mit jüdischen Familien verwandt« gewesen10 .

Im Selbstverständnis sehen sich die meisten Esoteriker_innen als dezidiert unpolitisch. Viele meinen auch, esoterische Praktiken rein pragmatisch zu nutzen, ohne das damit verbundene Weltbild selbst zu vertreten. Während andere große Religionen durch einen Kanon und ein Buch bestimmt sind und meist ein Glaubensbekenntnis verlangen, wird die Esoterik gerne als »Religionsersatz« apos­trophiert. Sie ist eine »Supermarkt-Religion«, die sich leicht an individuelle Bedürfnisse anpassen lässt, bei der nach Herzenslust die eine Lehre mit der anderen Praktik kombiniert werden kann, ohne sich zu widersprechen – alles ist möglich, die Wahrheit ist eine individuelle Erkenntnis, der Weg ist das Ziel und es hängt ja sowieso alles irgendwie miteinander zusammen. Und so sind esoterische Weltbilder auch dafür offen, extrem rechte Ideologieelemente zu integrieren. Und sie machen sich durch die Individualisierung kritik­resistent.

Wie unpolitisch ist die Esoterik?

Betrachtet man Esoterik im weitesten Sinne, geht es heute vor allem um nicht-wissenschaftlich erwiesene (gesundheitliche) Praktiken und Methoden, die mit einem religiösen Weltbild verbunden sind. Kauft man den Inhalt mit, so eignet man sich irrationale Welterklärungen an, beschäftigt sich mit übersinnlichen Phänomenen und dem Glauben an kosmische Gesetze. Man richtet sein eigenes Leben auf die Gesetzmäßigkeiten aus, verbündet sich mit Gleichgesinnten und strebt eine Gesellschaft an, die der angenommenen kosmischen oder natürlichen Ordnung unterworfen ist. Vorstellungen einer natürlichen Ordnung sind aber nicht gesellschaftlich aushandelbar – erst recht nicht, wenn sie durch Geis­ter, mythische Sagen oder Kornkreise übermittelt sind. So ist es kein Zufall, dass die meisten aktuellen esoterischen Lehren wenn nicht offen rassistisch so doch zumindest von einem zutiefst dualistischen und heteronormativen Geschlechterbild geprägt sind: Einer natürlichen Weiblichkeit – erdverbunden, emotional, lebensempfangend – steht eine natürliche Männlichkeit – kulturschaffend, rational, kämpferisch, penetrierend – gegen­über. Wer glücklich sein will, muss lernen, die ihr/ihm bestimmte Rolle auszufüllen, »zu sich selbst« zu finden und sich mit dem Gegenpart in Harmonie zu vereinigen. Widersprüche im eigenen Weltbild und im eigenen Leben werden aufgelöst, indem erklärt wird, dass alles nach dem Prinzip der Ganzheitlichkeit Sinn mache. Emanzipatorisches Handeln verstößt gegen den göttlichen Plan: das Schicksal muss akzeptiert und solle als Chance betrachtet werden, Leid sei die eigene Schuld, wenn nicht in diesem Leben (»Gesetz der Resonanz«), dann im vorherigen (Karma). Wenn es einen unberührbaren wahren Kern gibt, der sich rationaler und demokratischer Prozesse entzieht, wird gesellschaftliches Handeln, das auf die Änderung der Verhältnisse abzielt, überflüssig.

Auch die Praktiken der Wahrheits- und Sinnsuche entsprechen nicht einer demokratischen rationalen Aushandlung: Nicht nur werden Materialismus, Moderne und Aufklärung als zerstörerisch angesehen und von vielen abgelehnt. Die Nicht-Prüfbarkeit von Aussagen macht eine demokratische Verhandlung von Bedürfnissen und Interessen auf einer gesellschaftlichen Ebene unmöglich: Vor allem das Beziehen auf angebliche Erkenntnisfunktionen wie »Intuition«, »Erleben« oder komplett irrationale Techniken wie »Rückführungen«, Chanelling oder Telepathie zur individuellen oder kollektiven Erleuchtung ist hochgradig antidemokratisch. Ein elitärer Kreis der »Wissenden« kann sich von all den (noch) nicht eingeweihten Unwissenden abgrenzen. Zumal die Erleuchtung oft autoritär vermittelt wird: durch Gurus, Medien oder Sektenführer.

Esoterische Welterklärungsmodelle betreiben also eine anti-emanzipatorische »Entpolitisierung«, die ein fake ist: auf der Suche nach der Wahrheit und den übergeordneten kosmischen Werten werden die eigenen Politiken und Meinungen nicht in einen gesellschaftlichen Kontext und damit zur Disposition gestellt. Dadurch öffnet die Esoterik der Negierung von ungerechten Machtverhältnissen bis hin zur Rechtfertigung von Ungerechtigkeiten und Menschenverachtung Tür und Tor. Zum anderen verschleiert das Label des Unpolitischen den politischen Gehalt der Weltbilder und integriert sowohl historische als auch aktuelle extrem rechte Ideologien als einen möglichen Teil der Wahrheit.