Skip to main content

Rudolf Steiner – Jubeljahr zum 150. Geburtstag

Peter Bierl
Einleitung

Nach vielen Negativ-Schlagzeilen nutzen Anthroposophen den 150. Geburtstag ihres Gurus in diesem Jahr für eine PR-Kampagne – und unbedarfte Journalisten helfen ihnen dabei. Rudolf Steiner wird gefeiert als verkannter Denker und Sozialreformer der Moderne. 

Bild: rudolf-steiner-2011.com/Presse-Downloads-Fotos

Eine Ausstellung über sein Leben und Wirken in Wolfsburg im Vorjahr verzeichnete einen Zuschauerrekord. Sie ist nun im Jubiläumsjahr im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen. In Vergessenheit gerät dabei, dass Steiner einer jener obskurer Gestalten aus dem braunen Sumpf der Lebensreform und des Okkultismus war, die von der Sinnkrise des deutschen akademischen Bürgertums profitierten.

Am 27. Februar 1861 wurde Rudolf Steiner als Sohn eines Bahnbeamten in Kraljevec, damals Teil der Donaumonarchie, heute Kroatien, geboren: Der Begründer der Waldorfschulen, von Demeter-Gemüse und Weleda-Kosmetik. Als Student bewegte er sich in deutschnationalen Kreisen und behauptete: »Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten«. Steiner schlug sich als akademischer Gelegenheitsarbeiter durch, bis er um 1900 eine Karriere bei den Theosophen begann und Generalsekretär der deutschen Sektion dieser esoterischen Strömung wurde.

Er entwickelte eine okkulte Rassenlehre, die Lehre von den sieben Wurzelrassen, die angeblich als körperliche Träger einer spirituellen Weiterentwicklung auf diesem Planeten fungieren. Schwarze galten ihm als triebgesteuerte, kindliche Wesen (»Der Neger hat also ein starkes Triebleben.«), Asiaten als dekadent, Indianer als vergreist und Juden als intellektualistisch-versteinert. Steiner warnte weiße Frauen davor, in der Schwangerschaft Romane zu lesen, in denen Schwarze vorkämen. Sie würden sonst Mulattenkinder bekommen, dabei hätte der »Neger« nichts in Europa zu suchen.

Solche und andere Hirngespinste nahmen und nehmen einige seiner Anhänger für bare Münze. Sie verehrten ihn als »Menschheitsführer« und glaubten, er sei die Wiedergeburt von Aristoteles und Thomas von Aquin. Seine Vorstellungen über Reinkarnation und Karma gelten bis heute als konzeptionelle Grundlage der Waldorfpädagogik. Darum sei »die gesamte Waldorfpädagogik in ihrem Kern auf einem Menschenbild (aufgebaut), für das Karma und Reinkarnation zentrale Tatsachen sind«, schrieb der Waldorfpädagoge Valentin Wember 2004 in der Zeitschrift Erziehungskunst, quasi das Zentralorgan der Waldörfler. Über frühere Erdenleben anderer zu spekulieren, gilt zwar als taktloses Eindringen in die Privatsphäre, für Waldorflehrer gibt es aber eine Ausnahme.

Ihnen ist »behutsames Spekulieren« erlaubt. Anthroposophen glauben, dass der Leib eines Kindes von Kräften geformt wird, die auf frühere Erdenleben zurückgehen. Wer in einem früheren Leben gelogen hat, dessen Leib sei in der nächsten Verkörperung davon geprägt, der werde als geistig Behinderter wieder geboren. »Jetzt kann der Mensch die Wahrheit nicht mehr richtig erfassen, er wird schwachsinnig«, schreibt Wember. Dieser Zusammenhang sei »eine spirituelle Gesetzmäßigkeit, die der Geistesforscher Rudolf Steiner entdeckt hat«. Der Erzieher solle sich vorstellen, dass er derjenige war, der im früheren Leben belogen wurde. Er müsse dem behinderten Kind verzeihen und ihm die Wahrheiten des geistigen Lebens beibringen. Der Erzieher arbeite auch »karmische Schuld« von Kindern ab.

Kritisches Denken vergifte Kinder und Jugendliche, meinte Steiner. Erst mit der Geschlechtsreife, wenn der »Ätherleib« enthüllt werde, dürfe der Lehrer die Urteilskraft der Jugendlichen entwickeln, sie dürfen sich »den Schnabel wetzen«. Allerdings solle reines »Kopfwissen« und »Intellektualismus« vermieden werden. Als didaktische Methode pries Steiner die Wiederholung. Intellektualität war ihm suspekt: »Alles Intellektuelle ist greisenhafter Wille, ist schon der Wille im Alter.« Über Sexualität und Erotik zu sprechen, ist in der Waldorfschule verpönt. Steiner empfahl stattdessen, den ästhetischen Sinn für das Erhabene und Schöne in der Natur zu fördern. Seit 2002 wird in Waldorfkreisen verklemmt über Sexualkunde debattiert.

Dass die rund 200 Waldorfschulen in Deutschland mit Steuergeldern unterstützt werden, ist angesichts des Umstandes, dass es sich um Einrichtungen handelt, die auf einer abstrusen und okkulten Lehre gründen, eigentlich ein Skandal. Hierzulande braucht sich also niemand zu mokieren, wenn in einigen amerikanischen Schulen der Kreationismus gelehrt wird, zumal auch die Anthroposophie mit der wissenschaftlichen Evolutionstheorie auf Kriegsfuß steht und davon ausgeht, dass der Affe vom Menschen abstammt. Nach Ansicht Steiners sind Affen und Indianer »dekadente« Seitenzweige auf dem Weg zum Arier.

Begriffe wie »Wurzelrassen« oder »Rassen« meiden Steiners Jünger heute, sie sprechen lieber von »Kulturepochen«. Dass sich Menschen nicht in »Rassen« sortieren lassen und menschliche »Rassen« nur in den Köpfen von Rassisten existieren, hat sich in anthroposophischen Kreisen noch nicht überall herumgesprochen. Darum zeigt sich immer wieder, dass rassistische und antisemitische Lehren Steiners bis heute in der Waldorfpädagogik eine Rolle spielen.

Ein Beispiel: »Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt«, schrieb der Waldorflehrer Ernst Uehli, ein enger Mitarbeiter Steiners. Das Buch war in einer Broschüre zu finden, die die Pädagogische Forschungsstelle des Bundes der Freien Waldorfschulen 1998 unter dem Titel »Literaturangaben für die Arbeit des Klassenlehrers an einer Freien Waldorfschule« herausgab. Das Heft enthält eine Übersicht über die Literatur, »die bei der Vorbereitung der Hauptunterrichtsepochen der Klassen 1–8 herangezogen werden kann«. Empfohlen wurde kein einziges seriöses Sachbuch, etwa über die NS-Zeit für den Geschichtsunterricht, sondern überwiegend anthroposophische Schmöker aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, einige davon, wie das Werk Uehlis, gespickt mit Geschichten über ominöse »Wurzelrassen« und die Wanderungen der »Arier«.

In den empfohlenen Büchern lesen wir, der Italiener sei heiter und impulsiv und lüge aus Höflichkeit, der Brite wäre dagegen kühl und materialistisch. Der Araber wird als hart, leidenschaftlich, kalt und berechnend dargestellt. Der Asiate gilt als dekadent, er ist ein cholerischer Mongole oder ein phlegmatischer Malaie. Der Japaner lebe in leichten Holzhäusern mit Strohdächern, er lächle immer und unergründlich, dahinter verberge sich mitleidlose Härte. Afrikaner seien kindlich, gläubig und fromm, sie würden von ihrem Blut und ihren Trieben gelenkt. Und weil sie wie Kinder seien, müssten sie von Weißen geführt werden. Russen werden als jähzornig, brutal, rücksichtslos, gewalttätig, herrisch, ungeduldig, launisch, schicksalsergeben, leidensfähig, unzuverlässig und unpünktlich dargestellt.

Im Herbst 2007 erklärte die Bundeszentrale für jugendgefährdende Schriften, zwei Steiner-Bücher enthielten Passagen, die heute als rassistisch eingestuft würden; das war die erste quasi offizielle Feststellung des Rassismus in Grundlagenwerken der Anthroposophie. Kurz darauf berichtete das Magazin Stern, dass Andreas Molau, ein früherer Waldorflehrer und damals Spitzenkandidat der NPD für die Landtagswahlen in Niedersachsen, zusammen mit Lorenzo Ravagli, einem langjährigen Waldorf-Funktionär, zusammen ein Buch publizieren wollte. Ravagli hat etliche Pamphlete produziert, in denen er Vorwürfe des Rassismus und Antisemitismus gegen die Anthroposophie zurückweist. Das Buch erschien nicht, aber Ravagli ist bis heute Redakteur der Zeitschrift Erziehungskunst, die der Waldorfschulverband herausgibt.

Leugnen und verdrängen – das ist die Strategie vieler Anthroposophen im Umgang mit braunen Anteilen ihrer Lehre. Daran wird sich in diesem Steiner-Jubeljahr wenig ändern.

Literaturtipp:

Peter Bierl
Wurzelrassen, Erzengel, Volksgeister.
Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik,

Hamburg 2005, zweite überarbeitete Auflage
Konkret Literatur Verlag.
Der Autor steht für Lesungen, Vorträge und Diskussionen zur Verfügung.