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Konzerte, Knarren, Kriminelle - RechtsRock in Thüringen

Kai Budler
Einleitung

Viele Beobachter waren überrascht, als der Richter im „Ballstädt-Prozess“ vor dem Landgericht Erfurt gegen 15 Angeklagte Urteile sprach, die teils deutlich über den Forderungen der Staatsanwaltschaft lagen. Dazu führten auch die „erheblichen strafrechtlichen Vorbelastungen“ und „das hohe Maß an krimineller Energie“, die das Gericht bei den meisten Angeklagten ausmachte.

Bild: Recherche Nord

Der Neonazi und Angeklagte im Ballstädt-Prozess Thomas Wagner auf dem Neonazi-Großevent „Rock gegen Überfremdung“ im Juli 2017 in Themar.

Mitglieder von RechtsRock-Bands können ein hohes Maß an krimineller Energie aufweisen. Das zeigt eine Antwort der Thüringer Landesregierung aus dem Jahr 2013 zur Thüringer Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) um den Neonazi Thomas Wagner. Ihre ehemaligen und aktiven Mitglieder wurden zwischen 1991 und Ende Januar 2010 in 34 Fällen verurteilt. Neben den einschlägigen Strafen gehörten zu den Delikten u.a. Raub in mehreren Fällen, Verstöße gegen das Waffengesetz, besonders schwerer Fall des Diebstahls und gefährliche Körperverletzungen.

Aus der RechtsRock-Band, die sich nach dem Kommandeur einer Sondereinheit der Waffen-SS benannte, die in großem Ausmaß an Verbrechen gegen die Menschheit beteiligt war, und aus ihrem Umfeld stammen die Täter des Neonazi-Überfalls auf eine Feier in Ballstädt, bei der im Februar 2014 zehn Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.1 Die Täter zogen vom „Gelben Haus“ in Ballstädt los, das zwei Neonazis 2014 gekauft hatten.

Ein hohes Ausmaß an krimineller Energie kann auch den Mitgliedern der Bruderschaft „Turonen“ attestiert werden, die seit 2015 verstärkt öffentlich auftritt und sich ebenfalls um die Neonazi-­Immobilie in Ballstädt gruppiert. Mindestens fünf Angeklagte im „Ballstädt-Verfahren“2 gehören zu dem Netzwerk, das RechtsRock-Konzerte organisiert und als Einlass- und Sicherheitsdienst bei Neonazi-­Veranstaltungen auftritt. Die Liste der Straftaten, die Mitgliedern der „Turonen“ zugeordnet werden, umfasst knapp 20 verschiedene Delikte, darunter „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“, „besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs“, „gefährliche Körperverletzung“ sowie „Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Spreng­stoff­gesetz“. Dazu kommen immer wieder Drogenfunde bei Hausdurchsuchungen.

Bei Wagner stellten Ermittler bereits 2013 chemische Drogen sicher. Seit dem Beginn seiner kriminellen Laufbahn wurde er mehrfach bei Einbrüchen, Raub und Bandendiebstahl erwischt. Doch es sind nicht nur die einzelnen Straftaten, die in der kriminellen Energie von Angehörigen dieses Netzwerks der Thüringer Neonazi-­Szene zu Buche schlagen, es sind auch länderübergreifende Kontakte zur organisierten Kriminalität, die eine wichtige Rolle spielen.

So zum Beispiel bei Steffen Mäder aus dem Umfeld der Band SKD, der mit Andre K. das „Gelbe Haus“ in Ballstädt gekauft hatte, nachdem die Gemeinde ein Vorkaufsrecht für die vorherige Neonazi-­Immobilie im 30 Kilometer entfernten Crawinkel geltend gemacht hatte. Doch der Käufer Mäder konnte nicht in das von ihm mit erworbene Haus in Ballstädt einziehen, denn er saß mittlerweile in Haft in Österreich, wo er wegen Beteiligung an einem Brandanschlag, Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und Einbruch zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Mäder der Gruppierung „Objekt 21“ angehörte, die im März 2010 von „Blood & Honour“-Anhängern in der oberösterreichischen Gemeinde Desselbrunn gegründet worden war, wo sich mit einem ehemaligen Bauernhof auch das gleichnamige Gebäude des Vereins befand.3 Der angemeldete Verein hatte sich offiziell die „Erhaltung und Pflege unserer tausende Jahre alten Kultur mitsamt ihrem Brauchtum“ auf die Fahnen geschrieben und startete schon kurz nach seiner Gründung illegale Aktivitäten. Die Gruppe „Objekt 21“ begann mit dem Aufbau eines länderübergreifenden kriminellen Netzwerkes und knüpfte u.a. Kontakte zu den Strukturen des ehemaligen „Thüringer Heimatschutz“ (THS) in der deutschen Neonazi­szene. Der Verein umfasste einen harten Kern von 30 Personen und ein Umfeld von etwa 200 SympathisantInnen.

Bei mehreren Hausdurchsuchungen beschlagnahmte die österreichische Polizei Propagandamaterial, Sprengstoff und Schusswaffen, zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppierung gehörten u.a. bewaffnete Raubüberfälle, Erpressung, Körperverletzung, Entführung, Drogen- und Waffenhandel. Auch ins Rotlichtmilieu hatte der Verein kriminelle Verbindungen. Ein Brandanschlag auf ein Bordell in Oberösterreich ging beispielsweise auf das Konto der „Objekt 21“ Gruppierung. Hier soll der Geschäftsführer entführt und mit einer Motorsäge gefoltert worden sein. Den Gesamtschaden der kriminellen Aktivitäten des Vereins beziffern die Behörden mit etwa 3,5 Millionen Euro, die Straftaten füllten später Akten mit insgesamt mehr als 20.000 Seiten. Nachdem die neonazistischen Aktivitäten öffentlich gemacht wurden, kam es Ende 2010 zu einem Verbot und wenig später zur behördlichen Auflösung des Vereins „Objekt 21“.4

Im Jahr 2013 hob eine Sonderkommission der österreichischen Kriminalpolizei das kriminelle Netzwerk aus. Es folgten Prozesse und Verurteilungen nicht nur für Neonazis aus Österreich, sondern auch aus Bayern und Sachsen-Anhalt. Drei bekannte Neonazis aus Thüringen sahen sich auf einmal ebenfalls auf der Anklagebank. Zu ihnen gehörte Andreas Putyra aus Gotha, der als „Nummer Drei“ im streng hierarchischen Gefüge des „Objekt 21“ für den so genannten „Escortservice“ — im Klartext: Prostitution — verantwortlich gewesen sein soll. Putyra stammt aus der „Hausgemeinschaft Jonastal“, dem Umfeld der Ballstädter Neonazis. Nach Ansicht der Bundestagsabgeordneten Martina Renner „einem ähnlichen Projekt wie das ‚Objekt 21‘ in Oberösterreich“. Putyra machte nach seiner Festnahme umfangreiche Aussagen, die zu weiteren Ermittlungsverfahren und Verhaftungen von Neonazis aus Thüringen führten. Dazu gehörte auch Mäder, der im August 2013 festgenommen, an die österreichischen Strafverfolgungsbehörden überstellt und im März 2014 vom Landesgericht Korneuburg zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde.

Der netzwerkartige Verein in Oberösterreich und seine wechselseitigen Verbindungen nach Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen ergeben laut Renner „das Bild einer kriminellen und zugleich hoch ideologisierten Szene. So finden sich neben klassischen Verfahren aus dem Bereich rechter Straftaten, wie dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, dem Verstoß gegen das Uniformverbot oder Körperverletzungsdelikte, auch Verstöße gegen das Waffengesetz, Raub, Diebstahl und Drogenhandel“.

Die Zerschlagung des Vereins in Österreich führte auch zu polizeilichen Maßnahmen in Thüringen, wo das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Erfurt seit Juli 2013 gegen vier Neonazis wegen des Verdachts des „Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ ermittelten — zu ihnen gehörte auch der Haupttäter beim Überfall in Ballstädt, Thomas Wagner und Marco Zint aus dem SKD-Umfeld. Die Männer wurden verdächtigt, ein Sturmgewehr AK47 illegal besessen und weiter verkauft zu haben. Zeitgleich zu Mäders Festnahme durchsuchten Ermittler in diesem Zusammenhang eine Wohnung im Erfurter Orsteil Bischleben-Stedten und die von Neonazis erworbenen Häuser in Crawinkel und Ballstädt.

Doch nicht nur Mäder spielt bei Verstößen gegen den §129 StGB eine Rolle, auch andere Neonazis aus dem „Gelben Haus“ und seinem Umfeld gerieten 2013 ins Visier der Thüringer Ermittler. Sie verdächtigten mehrere Personen, eine terroristische Vereinigung gegründet bzw. sich an ihr beteiligt zu haben. Mit Matthias S. wurde ein weiterer Neonazi aus dem Umfeld der Neonazis aus Crawinkel und Ballstädt als Beschuldigter im Verfahren gegen „Objekt 21“ geführt. Wegen einer rassistischen SMS zu einer „Operation Weiße Weihnacht“ wurde gegen ihn auch wegen Volksverhetzung ermittelt, in der Kurznachricht forderte er u.a. zum „Häuten und mir ne schicke Mütze aus Moslemfell machen“ auf.

Unter den Verdächtigen befanden sich außerdem Wagner, Zint und das SKD-Mitglied Mario Kelch. Der mehrfach vorbestrafte Kelch war ehemals Mitglied bei der Neonazi-Band „PAK 88“ aus Erfurt, Angehöriger der „Kameradschaft Jonastal“ und Bassist bei SKD. Außerdem soll er in mehrere Diebstahlsaktionen des „Objekt 21“ verwickelt gewesen sein. Die Ermittler verdächtigten die sechs Personen, durch ihre teils engen Kontakte zum österreichischen Neonazi-Netzwerk Handgranaten nach Deutschland gebracht zu haben. Außerdem sollen Kelch, der wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz einschlägig vorbestrafte Mäder und Wagner versucht haben, Waffen, die bei der Zerschlagung in Österreich nicht gefunden wurden, an einen anderen Neonazi aus Erfurt zu verkaufen. Die Ermittler vermuteten, eine Frau aus dem Verein „Objekt 21“ habe mehrere Besuche in Thüringen genutzt, um Waffen bei den Neonazis sicher zu lagern.

Spätestens im „Ballstädt-Prozess“ zeigte sich allerdings, dass sich die Angeklagten und ihr Umfeld von Ermittlungen und juristischen Schritten überwiegend unbeeindruckt gaben. Während das Verfahren vor dem Landgericht Erfurt lief, wurden weiterhin Konzerte organisiert, große Geldsummen generiert und neue Organisationsformen wie die „Turonen“ initiiert. Unterdessen haben sich die Neonazis aus dem Umfeld von SKD und dem „Gelben Haus“ noch ein zweites Standbein geschaffen und im knapp zehn Kilometer entfernten Ort Henningsleben eine neue Immobilie erworben.