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Neonazi-Überfall in Ballstädt aufgeklärt?

Kai Budler
Einleitung

15 Monate nach dem brutalen Überfall von Neonazis in Ballstädt im Landkreis Gotha (Thüringen) hat die Staatsanwaltschaft Erfurt nun eine Anklage wegen Körperverletzung gegen 15 Neonazis erhoben. Bei der Gewalt­attacke hatten bis zu 20 vermummte Neonazis am 9. Februar 2014 in Ballstädt eine Feier der Kirmes-Gesellschaft gestürmt, zehn Menschen teils schwer verletzt und in den Räumen erheblichen Sachschaden angerichtet.1 Die LKA-Ermittlergruppe „Zentrale Ermittlungen und Strukturaufklärung — rechts“ (ZESAR) hatte daraufhin 17 Verdächtige ermittelt und knapp 200 Spuren ausgewertet. Eine Woche nach dem Überfall waren vier Männer und eine Frau festgenommen worden, der einschlägig vorbestrafte Thomas Wagner, Frontmann der Rechtsrock-Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD), kam in Untersuchungshaft. Weil er gestand, an der Tat beteiligt gewesen zu sein, kam er im April 2014 wieder auf freien Fuß.

Foto: Screenshot von facebook.com

Thüringer Neonazis posierten unter dem Titel „NSU Reloaded“ öffentlich mit Anschein-Waffen. In der oberen Reihe zeigten sich Thomas Wagner (1.v.l.) und Steffen Mäder (1.v.r.). In der unteren Reihe präsentierten sich Tony St. (2.v.r.) und Rocco B. (2.v.l.).

Erneutes Behördenversagen?

In dem Ort mit 700 Einwohner_innen ist die Angst geblieben. Daran hat auch die Verleihung des Thüringer Demokratiepreises an die „Ballstädter Allianz gegen Rechts“ für ihre Arbeit gegen Neonazis nichts geändert. Noch immer wartet man hier auf die juristische Aufarbeitung, und auch nach der Anklageerhebung ist der Prozessbeginn noch nicht in Sicht. Im Juli 2014 berichtete die parteilose Bürgermeisterin Erika Reisser über die Stimmung im Ort: „Es hat sich nichts geändert, die Angst steckt schon in den Leuten noch drinnen“. Politiker_innen der Partei „DIE LINKE“ kritisierten im Zusam­men­hang mit der Anklageerhebung zum Ballstädt-Überfall, dass in der Presseverlautbarung der Staatsanwaltschaft das in der rechten Gesinnung wurzelnde Motiv der Tat keine Erwähnung gefunden habe. Auch der Thüringer Verfassungsschutz geriet in diesem Fall wieder einmal unrühmlich in die Öffentlichkeit. Der Fernsehsender MDR hatte im Februar 2014 darüber berichtet, dass er die telefonische Verabredung zum brutalen Überfall von Ballstädt zwar abgehört, aber angeblich erst Tage danach ausgewertet habe.

Von Crawinkel nach Ballstädt

2013 war Thomas Wagner in die ehemalige Bäckerei („Gelbes Haus“) in Ballstädt gezogen, die der Neonazi André K. mit Steffen Mäder aus dem Umfeld der Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) erworben hatte. Doch anders als ursprünglich geplant konnte Steffen Mäder dort nicht einziehen: Er wurde im Jahr zuvor in Österreich verhaftet und später wegen Beteiligung am extrem rechten, kriminellen Netzwerk „Objekt 21“ zu knapp vier Jahren Haft verurteilt.1  Die Rechtsrock-Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) war 2005 gegründet worden  und benannte sich nach der SS-Sondereinheit Dirlewanger von Oskar Dirlewanger, die in großem Ausmaß Kriegsverbrechen beging. Auf den Covern ihrer Tonträger kokettiert SKD ungeniert mit dem Hakenkreuz. Die Band produzierte mehrere CDs und ist auf zahlreichen Split-CDs und Samplern vertreten. Dazu gehören auch Veröffentlichungen der im Jahr 2000 verbotenen „Division Deutschland“ des Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“. Vor dem Umzug nach Ballstädt hatte die Neonazi-Band ihren Schwerpunkt in einem von Bandmitgliedern gekauften Haus im 30 Kilometer entfernten Crawinkel, das daraufhin zum Ort für Neonazi-Konzerte und –Feiern wurde. Die Bewohner und ihr Umfeld nannten sich „Hausgemeinschaft Jonastal“ und wählten wohl nicht zufällig die Abkürzung „HJ“. Die Gruppierung fiel seit 2012 immer wieder durch gewalttätige Aktionen auf: Vor einem linksalternativen Hausprojekt sollen Mitglieder eine „Kugelbombe“ gezündet haben, für ein Foto unter dem Titel „NSU Reloaded“ posierten sie mit Anscheinswaffen. So wundert es nicht, dass aus dem Umfeld dieser Kameradschaft der Großteil der Personen stammt, die verdächtigt werden, an dem Überfall in Ballstädt beteiligt gewesen zu sein. Dazu gehören die dritte Bewohnerin vom „Gelben Haus“ in Ballstädt Christina H., die seit 2012 zum Umfeld des ehemaligen rechten Hausprojekts in Crawinkel zählte, und ihr Freund Tony St.. Der mindestens seit knapp zehn Jahren aktive Neonazi zählt seit langem zur Gothaer Kameradschaftsszene und zum Umfeld der „Hausgemeinschaft Jonastal“. Durch die langjährigen Verbindungen zu SKD führen die Spuren des Überfalls auch in die Thüringer Rechtsrock-Szene wie zu dem Rechtsrock-Musiker Rocco B. sowie Mitgliedern der extrem rechten Bands „Skuld“ und „Unbeliebte Jungs“ oder „Volksverhetzer“. Die Ermittlungen richten sich auch gegen die langjährige Neonazi-Aktivistin Ariane Sch., die der „Kameradschaft Jonastal“ zugerechnet wird und nach der Verhaftung von Thomas Wagner ein Spendenkonto eingerichtet hat. Damit sollten offenbar Zahlungsschwierigkeiten bei der Abzahlung des Hauskredites aufgefangen und die Beschuldigten während des laufenden Verfahrens finanziell unterstützt werden. Im Visier der Ermittler steht auch Marcus R., der seit 2005 durch Straf- und Gewalttaten von sich reden macht und als Model für das Neonazi-Mode-Label „Ansgar Aryan“ posierte.

Ungebremster Neonazi-Aktionismus

Die regionalen Neonazis sind in ihrem Aktionismus trotz der drohenden Verfahren weiter ungebremst, wie spätestens die Ereignisse in Ballstädt Anfang Dezember 2014 zeigten. Dort entpuppte sich eine „private Weihnachtsfeier“ in der alten Bäckerei als ille­gales Neonazi-Treffen mit knapp 100 Teilnehmenden aus mehreren Bundesländern. Inzwischen wird das „Gelbe Haus“ auch als Sitz des Labels „Frontschwein Records“ mit seinem Geschäftsführer Thomas Wagner genannt. Über die Mailadresse des Labels können Karten für Rechtsrock-Konzerte im knapp 50 km entfernten Kirchheim bezogen werden. Die dortige „Erlebnisscheune“ ist einer der zentralen und zeitweise der meist frequentierte Veranstaltungsort der extremen Rechten im Freistaat Thüringen. Dort begann drei Wochen nach dem Neonazi-Treffen in Ballstädt die von Wagner initiierte Rechtsrock-Konzertreihe „Rock am Kreuz“ mit fünf angekündigten Bands. Bei der zweiten Auflage im April 2015 traten u.a. „Die Lunikoff Verschwörung“ des ehemaligen „Landser“-Sängers Michael Regener auf sowie die Rechtsrockband „Radikahl“, deren „Hakenkreuz-Lied“ sich in der Szene großer Beliebtheit erfreut. Darin heißt es: „Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um, hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz“.

Politischer Umgang vor Ort gesucht

Die Antifa Suhl/Zella-Mehlis formulierte anlässlich einer „Demonstration gegen Naziterror und alltäglichen Rassismus in Gotha“ den antifaschistischen Anspruch „(...) die Nazis nicht bloß aus Ballstädt, Crawinkel und Kirchheim ins nächste Kaff zu verjagen, sondern ihnen die Bedingungen ihrer Existenz zu entziehen — wohlgemerkt, nicht in der Weise, sie zu töten, sondern den Prozess, der Einzelne zu Nazis werden lässt, aufzuhalten.“ Ihr Aufruf lautete: „Organisiert euch in antifaschistischen Initiativen, vernetzt euch mit anderen, bildet euch und andere.“ Für ihren Ort Ballstädt wünscht sich Bürgermeisterin Reisser eine Normalisierung des Alltagslebens, dafür aber brauche es einen Schlussstrich und zunächst einmal eine Anklage. Die liegt jetzt zwar vor, nachdem alle der etwa 30 Rechtsanwält_innen Akteneinsicht erhalten haben. Doch selbst wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommen sollte, weckt ein Vergleichsfall im nahen Erfurt schlimme Befürchtungen. Zwei Jahre nach einem Überfall auf die Besucher_innen einer Kunstausstellung mit mehreren Verletzten mussten sich vor Gericht sieben Personen u.a. wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung, Widerstand und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verantworten. Doch nach der langen Zeitspanne wurde nur gegen den Hauptangeklagten eine Haftstrafe verhängt, drei Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen, zwei Personen wurden freigesprochen. Gegen einen weiteren angeklagten Neonazi war das Verfahren schon vor der Urteilsverkündung eingestellt worden. Die meist gehörte Aussage im Gerichtssaal lautete zwei Jahre nach dem Überfall: „Ich weiß es nicht mehr, ich kann mich nicht erinnern“.