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Neonazis töteten sich in Berlin: Mehr Fragen als Antworten

Einleitung

Am 28. November 1997 endete der Prozeß gegen die beiden Berliner Neonazikader Detlef Nolde (ehemals Cholewa) und Lutz Schillok mit Freiheitsstrafen von 30 Monaten und 14 Jahren ohne Bewährung. Sie waren angeklagt, die beiden Wittenberger Neonazis Chris Danneil und Olaf Schmidke getötet bzw. schwer verletzt zu haben (siehe AIB Nr. 39).

Lutz Schillok

Berliner FAP-Aktivisten im Juni 1989 zu Besuch bei der Neonazi-Gruppe DNSB in Dänemark. Lutz Schillok (2.v.l) im Kreis von Manfred H. (2.v.r.) und Arne K. (1.v.r.).

"Die nationale Bewegung ist sich einig: Der Mord ist unentschuldbar (...) Die Täter sind bekannt. Sie gehörten bisher der Kameradschaft Treptow an (...) Ein Zurück in die Reihen der nationalen Bewegung kann und wird es für die Täter nicht geben. Als Autor des Textes gilt in der Szene der Neonazi-Kader Frank Schwerdt. Auch auf »Solidarität« ihrer ehemaligen Mitstreiter können sie nicht hoffen,« hieß es noch in der August/September-Ausgabe der Neonazi-Zeitung "Mitteldeutsche Rundschau". Der Hamburger Neonazi Thomas Wulff ("Steiner") verfasst ebenfalls ein "Rundschreiben", das im "Thule Netz" kursiert. Einem Kameraden sei demnach die "Kehle durchschnitten" worden, die Täter seien kein Teil der "Gemeinschaft" mehr.

Nur einen Monat später war in der Internet-Ausgabe der übergerordneten Neonazi-Zeitung "Berlin Brandenburger Zeitung" (BBZ) schon von einer »Wende im Prozeß gegen Nolde und Schillok« zu lesen. Detlef Nolde sei kein konkreter Tatvorwurf zu machen, denn dieser habe weder aktiv noch passiv Anteil am Tötungsdelikt gehabt. Er habe teilnahmslos am Rande des Geschehens gestanden, während sich die Tat vollzog. Schillok hingegen werde von ehemaligen Kameraden nachgesagt, daß er manchmal unkontrolliert und jähzornig sei. Die »Entsolidarisierung« für Nolde war somit aufgehoben. Offenbar war innerhalb der Berliner Neonazi-Strukturen entschieden worden, den vielseitig aktiven, langjährigen Kader Detlef Nolde auf Kosten von Lutz Schillok freizubekommen.

Kameradschaftl'er unter sich

Mehrere der Beteiligten können als Kader der Neonazi-Szene eingeschätzt werden. Die Getöten waren Aktivisten der "Kameradschaft Elbe Ost". Chris Danneil galt zeitweilig als Führer der Wittenberger "Kameradschaft". Danny Thüring und Frank Schwerdt ("Die Nationalen") versuchten mit der "Kameradschaft Elbe-Ost Wittenberg e.V." sogar einen offiziellen Verein für die "Kameradschaft" zu gründen. Im "Thule Netz" soll sich Danny Thüring hinter dem Alias "Starbuck" verbergen und deutschlandweit mit Neonazis vernetzen. Detlef Nolde war bereits NPD-Chef in Ost-Berlin, NPD-Wahlkandidat, JN-Verantwortlicher in Ost-Berlin, Vorsitzender des FAP-Kreisverbandes Berlin-Treptow und Wahlkandidat der "Die Nationalen" gewesen. Lutz Schillok war in den Kreisen der "Wiking Jugend" und der FAP unterwegs. In West-Berlin war er "Parteipräsident" der Neonazi-"Freiheitspartei" gewesen. Unter seiner Führung kandidierten Anfang 1989 immerhin bekannte West-Berliner Neonazi-Kader wie Reinhard Golibersuch, Andreas Pohl (NF) und Arnulf Priem im Berliner Wedding für das Abgeordnetenhaus.

Für eine Pro-Nolde-Linie sprechen auch die Aussagen, die Noldes Mitstreiter vor Gericht für ihn machten. Frank Schwerdt ("Die Nationalen"), Mike Penkert ("Die Nationalen"), Hans-Jörg Rückert (auch "Hann") -junior- aus dem Vorstand der "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen" (BKP) und das Ehepaar Lars T. und Babette T. waren sichtlich bemüht, Nolde als absolut betrunken zu entlasten. So hätte er kaum noch laufen können und soll sogar Tische umgeworfen haben. Die Polizeizeugen hingegen hatten zwar bei Nolde nach dessen Verhaftung eine Alkoholfahne, aber kein ausfallendes Verhalten bemerkt. Er hatte sogar noch versucht, von seiner Zelle aus mit seinem Handy zu telefonieren. Da die Polizisten aber, trotz ständiger Ermahnungen von Lutz Schillok, das Blut der beiden Verhafteten erst zwölf Stunden nach der Tat abnahmen, mußten die ermittelten 0,0 Promille zugunsten der Angeklagten auf 2,4 Promille hochgerechnet werden.

Nachdem vor Gericht die Kontakte von Danny Thüring zum Verfassungschutz von Sachsen-Anhalt öffentlich wurden, tauchte wieder die These des »Feme-Mordes« auf: Die Tat habe eigentlich Danny Thüring gegolten, dessen Vornahmen Danny mit dem Nachnahmen Danneil (zeitweilig Chef der
"Kameradschaft Elbe-Ost") verwechselt worden sein soll. Die Redakteure der BBZ wurden daraufhin mit Aussagen diesbezüglich vorsichtiger. Hieß es noch in der "Mitteldeutschen Rundschau" »Presseberichte, wonach es sich um einen sogenannten »Feme-Mord« gehandelt haben soll, entbehren jeder Grundlage. Anhaltspunkte, die darauf deuten würden, sind nicht erkennbar.«, war von solchen Beteuerungen in der BBZ-Internet-Ausgabe schon nichts mehr zu lesen. Stattdessen wurden nur noch die Fragen aufgeworfen »Warum eskalierte der Streit?« , »Welchen Anteil hatten die Angeklagten wirklich am Tatgeschehen?« und »Wo liegt das Motiv für diese abscheuliche Tat«.

Lutz Schillok wurde schließlich wegen zweifachen Totschlages zu 14 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht bescheinigte ihm aber noch, daß er nicht aus niedrigen Motiven oder politischen Gründen, sondern aus »Verärgerung, die ihn plötzlich überkam« gehandelt hätte. Detlef Nolde kam mit einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei davon. Ihm wurde bei der Urteilsverkündung sein Teilgeständnis und sein Bedauern positiv angerechnet. Außerdem hätte seine Tatbeteiligung zu keinen größeren Verletzungen geführt.

Trotz der langen Prozeßdauer blieben im Endeffekt mehr Fragen als Antworten übrig. Der Richter spielte den Mord zu »einer sinnlosen Tat aus banalem Anlaß« herunter, so daß im Prozeß nicht ausreichend geklärt werden konnte, warum die beiden Wittenberger Nazis sterben mußten. Auch die Hintergründe der Verfassungsschutzkontakte des zeitweiligen Kameradschaftsführers Danny Thüring blieben weiterhin im Dunkeln. Detlef Nolde hat mittlerweile Revision eingelegt und befindet sich momentan wieder auf freiem Fuß.

Totschlag nach Neonazi-Feier

Die Frage nach dem "Tatgeschehen" zumindestens erübrigt sich nach dem Prozeß. Sie ist mit die einzige, die im Laufe der Verhandlung halbwegs geklärt werden konnte.

In der Nacht zum 17. April 1997 feierte der Chef der Berliner "Kameradschaft Beusselkiez" Mike Penkert zusammen mit Bekannten aus der Neonazi-Szene seinen Polterabend im Vereinslokal "Waldesgrund" in Berlin-Johannistal. Dieses Vereinslokal einer Laubenkolonie diente nach Aussagen örtlicher AntifaschistInnen immer wieder als Treffpunkt für Mitglieder der militanten "Kameradschaft Treptow", in deren Kreisen sich die beiden Angeklagten bewegten.

In den frühen Morgenstunden des 17. April machten sich die Wittenberger Neonazis Olaf Schmidke (32), Chris Danneil (26), Manuela G. (19), Enrico P. (23) und Danny Thüring (22) mit ihrem Auto auf den Nachhauseweg. Sie entschlossen sich, Lutz Schillok und Detlef Nolde bis zum nahegelegenen Berliner S-Bahnhof Adlershof mitzunehmen. Im Laufe der Fahrt entwickelte sich zwischen den Angeklagten, die sich irgendwie mit in den PKW gequetscht hatten, und den beiden Opfern ein Streit, der letztendlich die Morde verursacht haben soll.

Die Frage, worum es bei diesem Streit nun aber genau ging, konnte das Gericht bis zum Schluß nicht endgültig aufklären. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll sich der Streit um das Datum des Verbots der FAP gedreht haben. Nach Aussagen von Lutz Schillok hätten ihn die Wittenberger während der Fahrt mit zielgerichteten Fragen über seine politischen Kontakte und persönliche Sachen provoziert. Er legte dem Gericht nahe, daß einer der Wittenberger ein Spitzel gewesen sei, der ihn aushorchen wollte. Über das Datum des FAP-Verbotes hätte sich niemand gestritten. Nolde gab an, überhaupt keine Ahnung zu haben, worum sich der ganze Streit gedreht habe, da er total betrunken gewesen sei und ab 22 Uhr einen Filmriss gehabt hätte. Die Wittenberger erklärten, daß Schillok die ganze Zeit lautstark über sich und seine Wichtigkeit in der FAP berichtet hatte, worüber sich wiederum Chris Danneil aufgeregt hätte.

Am S-Bahnhof Adlershof verließen dann die vier weiterhin Streitenden den Wagen. Warum auch die beiden Wittenberger mit aus dem Auto stiegen, ließ sich nicht klären. Auch über die Frage, wer wann und wo gesessen hätte und ausgestiegen sei, und wer dann wann und wo was gemacht hätte, konnten sich die Prozeßbeteiligten nicht einig werden.

Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sprühte zunächst Detlef Nolde den beiden Wittenbergern Reizgas ins Gesicht, um sie kampfunfähig zu machen. Als diese sich schützend die Hände vor die Augen hielten, trat Nolde hinter Olaf Schmidke und riss dessen Arme auf Schilloks Befehl nach hinten, so daß Schillok mit seinem Messer auf den wehrlosen Schmidke einstechen konnte. Anschließend wandte sich Schillok Danneil zu und versetzte ihm einen Messerstich in die Brust. Nachdem Danneil zusammengebrochen war, beugte sich Schillok nochmal über den am Boden Liegenden und stach auf dessen Rücken ein.

Nach den Aussagen von Schillok hingegen hätten die Wittenberger kurz miteinander getuschelt und seien dann vor ihm ausgestiegen. Als er dann ausstieg, sei er sofort angegriffen, von hinten festgehalten und niedergeschlagen worden. Dann hätte sein Gedächtnis bis zu dem Zeitpunkt, wo er mit vollgemachter Hose festgenommen wurde, ausgesetzt. Detlef Nolde behauptet, Schillok mit seinem Reizgaseinsatz in dessen Notlage habe helfen zu wollen. Anschließend hätten sich die Wittenberger wieder ganz normal ins Auto gesetzt, und er wäre wegen seines Reizgaseinsatzes seh- und hörunfähig gewesen.

Szene-Anwälte vor Gericht

Die Rechtsanwälte Hans Günter Eisenecker (NPD), Hans Günter Eisenecker (ehemals Wiking Jugend) und Joachim E. versuchten während des ganzen Prozesses, Widersprüche zu konstruieren, die Glaubwürdigkeit der Wittenberger anzuzweifeln und eine Notwehrsituation für ihre Mandanten zusammenzubasteln. Vor allem RA Eisenecker versuchte immer wieder, den Wittenbergerinnen - insbesondere Manuela G. - die Schuld für die Morde in die Schuhe zu schieben. Als ihm das Gericht  eine zweite Vernehmung von ihr nicht genehmigte, kam es zu einem merkwürdigen Zufall: Genau an dem Tag, als Eisenecker sie vernehmen wollte, tauchte sie ungeladen im Gerichtssaal auf. Sie gab bei der dann schließlich doch durchgeführten Vernehmung an, daß sie von ihrem Freund Tobias W. fälschlicherweise erfahren hätte, daß sie nochmal gerichtlich vorgeladen worden sei. Letztendlich erreichte Eisenecker aber, daß Nolde noch vor der Urteilsverkündung Haftverschonung bekam.

Viele offene Fragen

Abschließend bleibt, wie bei dem Prozeß gegen den Berliner Neonazi-Mörder Kay Diesner in Lübeck, festzustellen, daß zwar die Taten geklärt wurden, die Hintergründe aber im Unklaren blieben. Diese könnten durchaus interessant sein, wenn man bedenkt, daß der langjährige Chef der "Kameradschaft Wittenberg" bzw. der "Kameradschaft Elbe-Ost", Danny Thüring, mit dem VS-Sachsen-Anhalt in Kontakt stand. Schon 1996 outete sich der Ex-Wittenberger Peter Sch. im "Der Spiegel" als Spitzel des Verfassungsschutzes. Dies wäre nicht das erste und vermutlich nicht das letzte Mal, daß Verfassungsschutz-Informanten Neonazistrukturen aufbauen.

Vielleicht muß man auch bedenken, das in dem PKW zwei verschiedene Spektren der Neonazi-Szene betrunken auf engstem Raum zusammengepresst wurden. Nolde und Schillok waren 150% ideologisch gefestigte NS-Kader mit langer Parteikarriere während zumindest Enrico P. und Olaf Schmidke den Netzwerken zwischen Neonazismus, krimineller Halbwelt und Rotlicht-Milieu entstammten, die in vielen ost-deutschen Regionen existieren.

Lutz Schillok wird trotz der Pro-Nolde-Linie und dem Totschlag an zwei "Kameraden" im Gefängnis von der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." betreut. Warum? Eine Frage mehr...