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Die "Kameradschaft Wittenberg"- Ein Portrait

Einleitung

Die Aufmärsche militanter Neonazis in den vergangenen Monaten zeigen eine eindeutige Tendenz. Das größte Mobilisierungspotential der NS-Szene liegt in den neuen Bundesländern. Die dortige Szene holt ihr Defizit an Organisierung allmählich auf und dadurch sind neue Zentren entstanden. Eines dieser Zentren ist die Lutherstadt Wittenberg. Wittenberg gehört mit Naumburg und der Harzregion zu den wichtigsten Kristallisationspunkten der Neonazis in Sachsen-Anhalt.

Foto: Infothek Dessau

In der Wohnung von Andreas Mattheus (links), dem früheren Vorsitzenden des Kreisverbandes der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH), explodierte 1994 ein Sprengsatz vorzeitig. Die Bombe galt einer Wahlkampfveranstaltung der PDS. Hier im September 2008 bei einem Neonazi-Aufmarsch in Dessau.

Die ersten Ansätze fester Strukturen lassen sich bis ins Jahr 1992 zurückverfolgen. Am 25. Oktober 1992 gründete sich in Wittenberg ein Kreisverband der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH) unter Beteiligung des damaligen DLVH Landesvorsitzenden Brandenburg, Frank Schwerdt. Vorsitzender des Kreisverbands wurde der damals 29-jährige Andreas Mattheus.

Die Kontakte zu Frank Schwerdt, mittlerweile Vorsitzender der Neonazi-Partei „Die Nationalen e.V.“ wurden in den Folgejahren intensiviert. Frank Schwerdt bot an, bei der Herstellung von Kontakten nach Berlin behilflich zu sein. Er bemühte sich besonders um einige jugendliche Neonazis, die „Wehrsportübungen“ auf dem WASAG-Gelände, einer Sprengstofffabrik aus dem zweiten Weltkrieg, bei Wittenberg durchführten. Aus diesem Kreis rekrutierte er etliche Mitglieder für die Mitte 1993 als ein Freundeskreis der Gruppierung „Die Nationalen e.V.“ gegründete „Kameradschaft Wittenberg“.

Wittenberger Neonazis aus der Kameradschafts-Szene planten im Februar 1994 einen Sprengstoffanschlag auf eine Wahlkampfveranstaltung der PDS in Wittenberg. Der Anschlag fand nicht statt, da der Sprengsatz noch in der Wohnung von Andreas Mattheus explodierte. Neben Mattheus nahm die Polizei noch Marco Strebe und zwei weitere Neonazis fest. Sie gestanden, daß die Bombe für den an der Wahlkampfveranstaltung teilnehmenden Lothar Bisky bestimmt war, doch die Staatsanwaltschaft blendete den politischen Hintergrund mehr oder weniger aus. Andreas Mattheus wurde freigesprochen, der vorbestrafte Marco Strebe zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Ende 1994 wurden Ermittlungsverfahren gegen die „Kameradschaft Wittenberg“ wegen dem Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Nach einigen Hausdurchsuchungen löste sich die Kameradschaft auf, um sich am 19. November 1994 als „Kameradschaft Elbe-Ost“ neu zu formieren. Die Kontakte nach Berlin wurden intensiviert und im Dezember 1994 in Zahna bei Wittenberg das „Junge Nationale Spektrum“ (JNS), Jugendorganisation der Gruppe „Die Nationalen e.V.“, gegründet. Die ersten Flugblätter der Nationalen e.V. tauchten im Juli 1995 in Wittenberg auf. Im Impressum erscheint der Kreisverband Elbe-Ost mit Postfach in Zahna.

Etwa zur selben Zeit wurde in einer Wittenberger Kneipe ein Brief aus Bielefeld gefunden. In dem Brief werden die Kameraden über die Waffen-SS »aufgeklärt« und um Gründung einer Einheit gebeten, ferner wird Werbung für Bundeswehr-Tarnkleidung gemacht. Der Brief stammt von Peter Schulz, einem Ex-Wittenberger, der über gute Kontakte in der Neonazi-Szene NRW's verfügt. 1996 outete sich Peter Schulz in der Zeitschrift „Der Spiegel“ als Spitzel "Fraga" des Verfassungsschutz.1

Zu den Aktivitäten der „Kameradschaft Wittenberg“ gehört aber ebenso die Organisierung von sogenannten Heldengedenkfeiern, z.B. am 17. November 1996 in Kropstädt (Landkreis Wittenberg) und ideologische Schulungen. Als Produkte dieser Schulungen werden dann Flugblätter mit dem Grundsatzprogramm der Kameradschaft und immer wieder platte Hetze gegen AntifaschistInnen vor allem gegen den PDS-Landtagsabgeordneten Matthias Gärtner verteilt. Ganz im Zuge der momentanen anvisierten Belegung der sozialen Frage von Rechts werden Arbeit, Ausbildung und Wohnraum für Deutsche gefordert. Als Problemlösung kündigt die Kameradschaft an, daß sie »kompromißlos in der Sache und hart in der Auseinandersetzung mit (ihren) Feinden« vorgehen wird. Weiterhin wird in  deutschtümelnden Bildern die Volksgemeinschaft beschworen, die »Krieg und Kommunismus mit ungebrochener Lebenskraft überstanden« hat. Da ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich die "Kameradschaft Wittenberg" zusammen mit den „unabhängigen Berliner Kameradschaften“, im Streit zwischen NS-Nostalgikern und den sog. »progressiven Nationalisten«, weit für die NS-Fraktion aus dem Fenster gelehnt hat.

Als Verantwortlicher wird auf den Flugblättern der Kameradschaft ein Dr. Walter Menz angegeben. Dieser Name findet sich auch im Impressum der Neonazi-Publikation „Mitteldeutsche Rundschau“ (MR), einem Ableger der Neonazi-Zeitung „Berlin-Brandenburger-Zeitung“ (BBZ).2 Die MR berichtet in ihrem Regionalteil fast ausschließlich aus Sachsen-Anhalt. Der Sachsen-Anhalt-Korrespondent der BBZ und neonazistische Multifunktionär Steffen Hupka ist auch für die MR mitverantwortlich. Der Vertrieb der Zeitung erfolgt über das Postfach der „Kameradschaft Elbe-Ost“ in Zahna. Die Zeitung wird in Wittenberg durch Gruppen von ca. 20 Neonazis verteilt, von denen einige die Zeitungen in die Briefkästen stecken und der Rest die Aktion absichert. Auch der zuständige Dessauer Staatsschutz weiß von diesen Aktivitäten, jedoch muß einer der Mitarbeiter eingestehen, daß diese nicht zu unterbinden sind: »Dafür sind sie zu stark etabliert«.

Ein weiterer politischer Schwerpunkt der "Kameradschaft Elbe-Ost" ist die Anti- Antifa Arbeit. Mehrfach wurden von ihr Flugblätter verbreitet, die gegen den »Schweitzer Garten«, ein von linken Jugendlichen besetztes Haus in Wittenberg und aktive Antifaschistinnen hetzen. Gewalttätige Übergriffe gegen Linke sind keine Seltenheit, und auch der „Schweitzer Garten“ wurde mehrfach angegriffen. Die Kameradschaft betont jedoch immer wieder, eigentlich Politik auf die »ruhige« Art machen zu wollen. Nach dem bewaffneten Überfall auf einen Discobus im Februar 1996 und den danach stattfindenden Gesprächsrunden mit Landrat, Polizei und Kameradschaftsvertretern, behaupteten letztere, sie hätten mit dem Angriff nur ihrer Suche nach eigenen Räumlichkeiten Nachdruck verleihen wollen. Bei den Gesprächen, an denen von Seiten der Kameradschaft der „Bombenbauer“ Andreas Mattheus, der Kameradschaftschef Danny Thüring und sein Stellvertreter Silvio Z. teilnahmen, zeigten die Kommunalvertreter viel Mitgefühl und Verständnis für die Neonazis. Aufgrund von Protest durch Wittenberger BürgerInnen, wurden die Gespräche nach dem zweiten Mal eingestellt.

Die nach eigenen Angaben 40 feste und etwa 20 weitere Mitglieder umfassende Kameradschaft prahlt mit ihrer Unterstützung aus Berlin und Brandenburg. So soll Frank Schwerdt den Druck von angeblich 20.000 Flugblättern ermöglicht haben.

Am 4. April 1996 kam es zu den bisher schwersten Auseinandersetzungen zwischen der Kameradschaft und AntifaschistInnen. Am »Piesteritzer Hof« in Wittenberg wurden ca. 15 jugendliche Punks und AntifaschistInnen von Neonazis attackiert. Diese gehörten zum größten Teil zur „Kameradschaft Elbe-Ost“ und waren mit Baseballschlägern, Gaspistolen und sogar einem Ninja-Schwert bewaffnet. Nach Angaben von AugenzeugInnen schallten Kommandos wie »Angriff«, »Sammeln« und »Rückzug« über den Platz. Ins Visier der Neonazis geriet dabei vor allem Daniel S. Als dieser von Michael Sp. verfolgt und mit einer Angelrute traktiert wurde, stach er den Neonazi in Notwehr nieder. Zwei Tage später stellte er sich der Polizei. (siehe AIB Nr. 36) Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen fand dann im Herbst 1996 der Prozeß gegen Daniel S. wegen versuchten Totschlags statt. Als Belastungszeugen traten u.a. Danny Thüring, Silvio Z,, Michael Sp. und Andreas N. auf. Der Prozeß endete überraschend mit einem Freispruch für Daniel S..

Der heute 18-jährige Andreas N. hatte kurz vor Prozeßbeginn Danny Thüring als Chef der "Kameradschaft Elbe-Ost" abgelöst. Als Grund hierfür werden interne Streitigkeiten angegeben. In einer Kleingartensiedlung betrieb die Kameradschaft eine kleine Gartenkneipe. Obwohl von der Mutter eines Kameradschaftsmitglieds angemeldet, wurde sie hauptsächlich von Danny Thüring geleitet. Die Kneipe verschuldete sich, und Danny Thüring wurde dafür verantwortlich gemacht. Die Vorwürfe lauteten, Danny Thüring habe zudem Geld unterschlagen und damit das Vertrauen der Kameradschaft verloren.

Auch während der letztjährigen Rudolf-Heß-Aktionswochen war die Kameradschaft aktiv: Am frühen Nachmittag des 3. August 1996 versammelten sich am Wittenberger Bahnhof etwa 150 Neonazis. Die anwesende Polizei verhinderte jedoch einen Aufmarsch. Im Laufe des Nachmittags bildeten die Neonazis einen Autokorso und fuhren Reichskriegsfahnen schwenkend durch Wittenberg.

Im April 1997 fand eine erneute Neugründung der Kameradschaft statt. Andreas N., der mit der Funktion als Kameradschaftsführer scheinbar überlastet war, zog sich immer mehr ins Privatleben zurück und gibt sich Gerüchten zufolge nunmehr ausschließlich dem Drogenkonsum hin. Neuer Kameradschaftschef wurde Chris Danneil. Die Kameradschaft »säuberte« ihre Reihen und der aktive Kern beschränkte sich auf sieben Personen. Der Name änderte sich wieder von „Kameradschaft Elbe-Ost“ in „Kameradschaft Wittenberg“. Inwieweit das Innenministerium Sachsen-Anhalts mit einem angedrohten Verbot der Kameradschaft seine Finger bei dieser Neugründung mit im Spiel hatte, ist nicht endgültig zu klären. Nach dem Ableben von Chris Danneil - er wurde von einem Berliner Neonazi erstochen - umfasst die Kameradschaft nurmehr sechs Personen. Danny Thüring, das Nesthäkchen von Frank Schwerdt hat dabei wieder die Zügel in der Hand.

  • 1Vgl. Der Spiegel, Gesunde Barbaren, 29.04.1996.
  • 2Dr. Walter Menz war zeitweilig im Vorstand der Partei "Die Nationalen" für die "Rechtsabteilung" zuständig.