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Unsere Straße

Jan Petersen

Das erstmals 1936 in Prag erschienene Buch »Unsere Straße« des Berliner Schriftstellers und Kommunisten Jan Petersen (1906–1969) ist ein unter schwersten Bedingungen entstandener Tatsachenroman der verschiedene Aspekte des antifaschistischen Widerstands zu einer Erzählung verdichtet und damit einen Blick aus dem Inneren der Aktionen gegen den Nationalsozialismus ermöglicht.

Das Buch wurde, eingebacken in einem Kuchen, unter Lebensgefahr ins Ausland gebracht. Eine Liste von Menschen die in der Wallstraße durch nationalsozialistische Hand ums Leben kamen, ist dem Buch beigefügt. Namen, spezielle Orte und Beschreibungen die auf lebende Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen hinweisen konnten, wurden durch Petersen geändert um Menschen im Widerstand zu schützen. Der Schriftsteller Petersen, selbst im kommunistischen, antifaschistischen Widerstand tätig, erzählt die Geschehnisse kurz vor und vor allem nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bis Mitte des Jahres 1934. Die Handlung des Romans spielt hauptsächlich in der Wallstraße, einer ehemaligen Hochburg der kommunistischen Arbeiterinnen und Arbeiter in Berlin. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten konzentriert sich hier vielfältiger Widerstand, aber auch die Repression gegen Kommunisten und Andersdenkende.

Eindrucksvoll beschreibt Petersen die Arbeit im Widerstand bei der Herausgabe einer illegalen kommunistischen Zeitung, die Hoffnungen welche die Arbeiterinnen und Arbeiter auf einen möglichen Generalstreik richten, die Ohnmacht beim Verschwinden von Genossinnen und Genossen, den Rückzug einiger ins Private oder aber auch die Kontaktaufnahme der Kommunisten zu Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, die sich ebenfalls im Widerstand betätigen. Vor allem die Schilderung der klandestinen Herstellung der Zeitung, die aufwendigen Vertriebsstrukturen, das lebensgefährliche Verteilen in den öffentlichen Verkehrsmitteln vor den Industriestadtteilen und die Resignation auf das Ausbleiben einer Resonanz in der Arbeiterklasse werden durch Petersen detailgetreu und ausgiebig, wenn auch mit einer Portion Tragik und Melancholie beschrieben. Herausragend und selten zu finden ist die Perspektive aus welcher Petersen das Buch schreibt.

Literatur aus dem Widerstand in demselbem geschrieben, ohne das Wissen vom Ausgang der »Menschheitskatastrophe« des Nationalsozialismus und Auschwitz, findet man wenig und es schafft eine interessante, wenngleich auch tragische Sicht auf historische Ereignisse. Wenn Petersen 1934 zum Beispiel schreibt, dass alles darauf hinweist, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter bis weit in die SA hinein unzufrieden mit dem Nationalsozialismus sind und sicher bald von ihm lassen werden, dann ist dies aus unser Sicht, mit dem historischen Wissen der Nachwelt um Auschwitz, eine unbegreifbare Perspektive. Petersens eigenes politisches Kalkül und auch der Propagandanutzen des Buches dürften hier eine Rolle gespielt haben.

Bei dem Vertrauen Petersens in die revolutionäre Tatkraft der deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen handelt es sich um eine klare Fehleinschätzung, die leider durch die Realität eingeholt wurde und sich dementsprechend ausdrückte, dass der Nationalsozialismus, selbst unter noch schwierigen sozialen Bedingungen, noch bis zur Befreiung durch die Alliierten von der deutschen Bevölkerung getragen wurde.

Das für jede Antifaschistin und jeden Antifaschisten außerordentlich lesenswerte und zu empfehlende Buch ist derzeit durch keinen Verlag aufgelegt, lässt sich aber in Antiquariaten und Internetbuchhandlungen bestellen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Buch aus dem Widerstand ist uneingeschränkt zu empfehlen.  (LK)

Jan Petersen
Unsere Straße
Dietz, 1947