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Die Mentalität des ewigen Deutschen

Werner Mittenzwei

Spiegel der Gesellschaft

Als die Anhänger der NSDAP am Abend des 30. Januar 1933 die Machtübergabe an ihre Partei mit einem Fackelzug durch das Berliner Regierungsviertel zwischen Brandenburger Tor und Wilhelmstrasse feierten, führte sie ihr Marsch auch an der Preußischen Akademie der Künste vorbei. Wenige Monate später war die Akademie als Sozietat des deutschen Geisteslebens nicht mehr wiederzuerkennen. Linke, jüdische und demokratische Schriftsteller waren ausgeschlossen worden und auf der Flucht ins ungewisse Exil. Der Literaturwissenschaftler Werner Mittenzwei untersucht die Rolle nationalkonservativer Schriftsteller als Wegbereiter und Poeten des schönen Scheins des Dritten Reiches.

Was sich auf den ersten Blick wie eine dröge Institutionsgeschichte ausnimmt, entpuppt sich bei der Lektüre als wesentlicher Beitrag zur Literaturgeschichte der Weimarer Republik. Der Autor beginnt seine Studie im Jahr 1918, als die Preußische Akademie der Künste, Jahrhunderte lang ein Hort aristokratischen Kunstverständnisses, durch die revolutionären Veränderungen in Deutschland unter Reformdruck gerät. Es ist der Maler Max Liebermann, der mit Geschick und diplomatischem Takt eine Öffnung der Akademie zur literarischen Moderne und eine Demokratisierung der Strukturen erreicht.

Doch der gesellschaftliche Antagonismus zwischen republikanisch-liberalen und nationalistisch-konservativen, später rechts­extremen Positionen spiegelt sich auch in der Akademie wieder. Während Künstler wie Kollwitz und Huch vehement für die Republik eintreten, artikulieren Dichter wie Hans Grimm, der Verfasser des Buches Volk ohne Raum, weiterhin ihr Unbehagen an der nationalen Mythenarmut der Weimarer Demokratie und ihren Verständigungsversuchen mit den Westmächten. Im weiteren Verlauf des Buches wechselt der Autor die Perspektive. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die verschiedenen Fraktionen der nationalkonservativen Dichter. Der Autor beschreibt sowohl das Gesamtensemble der nationalkonservativen Literatur, als auch deren verschiedene ästhetischer und politischer Fraktionen entlang der literaturpolitischen Debatten der Weimarer Zeit.

Mittenzwei beleuchtet dies exemplarisch anhand der literarischen Gattung der Romane über den I. Weltkrieg. Deutlich werden die unterschiedlichen mentalen, ästhetischen und politischen Akzente, die Autoren wie Ernst Jünger, als Vertreter des neuen Nationalismus, andere Positionen vertreten lassen als altkonservative Dichter wie von Münchhausen oder Vertreter der aufstrebenden völkischen Blut-und-Boden-Literatur. So führt denn von den nationalkonservativen Literaturgruppen kein gerader Weg in den Nationalsozialismus. Auch hier dominieren Machtkämpfe um Deutungshoheit und Einflussbereiche. Doch die Feindschaft zur Demokratie und ein mehr als nur latenter Antisemitismus eint die nationalkonservativen Dichter.

Nach dem 30. Januar 1933 geht dann alles sehr schnell. Heinrich Mann wird als Leiter der Sektion Dichtkunst zum Rücktritt gezwungen, Mitglieder wie Käthe Kollwitz und Alfred Döblin erklären ihren Austritt. Es ist Gottfried Benn, der sich zum Exekutor der neuen Verhältnisse macht. Doch auch er wird, da er zwar Faschist, sehr wohl aber kein völkisch-rassistischer Nationalsozialist ist, alsbald von der sich entwickelnden Radikalisierung der NS-Machtübernahme auch im Bereich der Kunst überholt. Denn obwohl die NS-Führung in der Kulturpolitik nach 1933 darauf bedacht ist, große Skandale, wie die Auflösung traditioneller Institutionen, zu vermeiden, sucht sie doch nach Wegen, ihre ideologische Hegemonie unumkehrbar zu gestalten. Mittenzwei beschreibt atmosphärisch dicht, wie Goebbels den Aufbau der Reichsschrifttumkammer betreibt, um die Kontrolle über das literarische Leben zu vollenden. Denn Publikationsrecht hat nur, wer Mitglied der Reichsschrifttumkammer ist. Welche Lobgesänge deren Mitglieder auf die NS-Ideologie verfassen, während die Wehrmacht Europa in Schutt und Asche legt, ist Gegenstand des letzten Teils des Buches. Im Frühjahr 1947 ist es der Alliierte Kontrollrat, der die Akademie als Teil des Preußischen Staates für aufgelöst erklärt.

Der Band ist ein exzellenter Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik und führt exemplarisch die Teilhabe bürgerlich-konservativer Intellektueller an der Zerschlagung der geistigen Grundlagen der Demokratie vor Augen. Zu diesem Buch sollte greifen, wer zu Recht der interessengeleiteten, entpolitisierten Darstellung mancher nationalkonservativer Schriftsteller dieser Zeit im Feuilleton der JUNGE FREIHEIT misstraut.

Werner Mittenzwei
Die Mentalität des ewigen Deutschen
Nationalkonservative Dichter 1918–1947 und der Untergang einer Akademie

2. Aufl. – Verlag Faber & Faber
Leipzig; 2003
580 S. 29,80 EUR