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Tim Kellner: Paradebeispiel für den florierenden Hass auf YouTube

Samira Alshater
Einleitung

Der vorbestrafte Rocker und ehemalige Polizist Tim Kellner ist heute einer der einflussreichsten rechten YouTuber. Seine Videos sind geprägt von Dehumanisierung, Rassismus und antisemitischen Erzählungen. Warum funktionieren solche Hass-Videos so gut auf YouTube?

Bild: Screenshot YouTube

Der vorbestrafte Rocker und ehemalige Polizist Tim Keller auf YouTube.

Jede Minute werden auf der Videoplattform YouTube 400 Stunden Videomaterial hochgeladen. Angesehen werden pro Tag über eine Milliarde Stunden an Videos, mehr als auf Netflix und Facebook zusammen. Besonders junge Menschen informieren sich schon lange nicht mehr linear über das klassische Fernsehen. Viel attraktiver sind für sie Plattformen wie Instagram oder YouTube. Heute erreicht YouTube allein auf mobilen Endgeräten mehr 18- bis 49-Jährige als Nachrichtensender und das Kabelfernsehen.

Das muss nicht per se schlecht sein. Doch besonders YouTube birgt die Gefahr, dass sich hier Menschen radikalisieren. Etwa dann, wenn sie auf rassistische, ideologisch argumentierende Accounts stoßen und diese nicht gleich als das einordnen können, was sie in der Regel sind – nämlich menschenverachtend, mit Falschinformationen hantierend und diskriminierend. Anders als beim klassischen Fernsehen findet hier keine Moderation statt. Die Inhalte werden nicht eingeordnet. Faktenbasierte und recherchierte Informationen stehen neben emotionalisierenden und mit Verve vorgetragenen Lügen. Wenn Nutzer*innen in den Bann eines volksverhetzenden oder Desinformationen verbreitenden Accounts gezogen wurden, birgt das die Gefahr, dass sie sich noch weiter radikalisieren – oder zumindest einen sehr falschen Eindruck vom Geschehen in der Welt bekommen.

Und auch der YouTube-Algorithmus trägt sein Übriges dazu bei. Neben jedem Video, das sich ein User anschaut, schlägt YouTube weitere Videos vor, die die Zuschauer*innen auch interessieren könnten. Hat man Autoplay eingeschaltet, starten die vorgeschlagenen Videos automatisch. Und je länger die User*innen auf der Plattform bleiben, desto profitabler ist es für das Google-Unternehmen YouTube. Denn umso mehr Werbung kann den User*innen eingespielt werden, womit das Unternehmen Geld verdient. Das muss nicht unbedingt schlecht sein und kann für die User*innen auch Vorteile haben. Das Problem ist allerdings, dass der YouTube-­Algorithmus dazu tendiert, den User*innen immer drastischere Videos vorzuschlagen, um sie zu fesseln. So kann man auch von harmlosen politischen Inhalten in wenigen Schritten zu extremen Inhalten gelangen. Denn der Algorithmus versucht auch dadurch, das Interesse der User*innen zu behalten, indem er vor allen Beiträge aus der gleichen politischen Richtung einspielt. Schaut man sich also auf der Plattform Politik-Videos von rechten Kanä­len an, ist es sehr schwer aus dieser Blase wieder herauszukommen – denn YouTube schlägt selbst ständig weitere solcher Quellen vor. Das Portal erzeugt so Filter­blasen.

Dazu kommt, das rechte Akteur­*innen überaus produktiv auf YouTube sind. Einer dieser YouTuber, die Videos wie am laufenden Band produzieren, ist der vorbestrafte Rocker und ehemalige Polizist Tim Kellner. Kellner spricht im Internet über das Weltgeschehen – jeden Tag aufs Neue. Wen das interessiert? Seine Videos haben im Monat mehrere Millionen Views und das obwohl oder weil er extrem rassistische Inhalte verbreitet. Nach Eigenangaben hat er in der Bundes­wehr gedient. Im Jahr 2000 wird er Kreispolizist in Lippe (NRW). Über sein Leben hat Kellner 2011 ein Buch verfasst. Hierin beschreibt er, dass er sich als Polizist mit einem Mitglied des "Hells Angels MC" anfreundet. Er entwickelt Sympathie für die Lebensweise der Rocker, was zu Problemen mit seinen damaligen Polizei-Kolleg*innen führt.

Für die Mitte der Gesellschaft?

Wegen seiner Kontakte ins Rockermilieu ermittelt auch die Polizei gegen Kellner. Die Vorwürfe gegen ihn lauten: Förderung der Prostitution, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere räuberische Erpressung. Das hätte bei einer Verurteilung für eine Gefängnisstrafe von mindestens acht Jahren gereicht. Kellner kommt nach sieben Monaten in Untersuchungshaft mit einer Bewährungsstrafe von neun Monaten wegen Körperverletzung davon.

2015 finden Polizeibeamte bei einer Hausdurchsuchung eine scharfe Neun-­Millimeter-Patrone bei ihm. Das Amtsgericht Detmold verurteilt Kellner daraufhin wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu 800 Euro Strafe. Kellner behauptete, Polizist­*innen hätten ihm die Patrone untergeschoben. Im selben Jahr ist Kellner Gründungsmitglied des Motorradclubs „Brothers MC Germany“. 2017 trennt sich der MC von Kellner. Ihm wird vorgeworfen, angeblich Biker-Brüder durch zwielichtige Geschäftsmodelle über den Tisch gezogen zu haben. Kurze Zeit später ist Kellner Präsident des Biker-Chapters „Brothers MC Salt City“ mit Sitz in Horn in Ostwestfalen-­Lippe. Kellner legt Wert darauf, dass er einen deutschen Club führt, in dem nur Menschen „aus dem westlichen Kulturkreis, keine Migranten, keine Moslems“ Mitglied werden können.

Anfang 2016 beginnt Kellner dann seine "Karriere" in der (extrem) rechten Medien-­Szene. Seit 2017 verbreitet er seine Weltsicht auf YouTube, die häufig auch Hetze und rassistische Positionen beinhaltet. Damit ist er leider recht erfolgreich: Insgesamt wurden seine rassistischen Videos schon fast 58 Millionen Mal angeklickt (Stand November 2019). Und dies, obwohl die Aufmachung wenig spektakulär ist: Kellner spricht in die Kamera.

Sehnsucht nach klassischer Männlichkeit

Doch Kellner hat die YouTube-Logik verstanden: Beinahe täglich veröffentlicht der Rentner-Rocker Videos auf der Plattform. Das gefällt YouTube. Hier werden Accounts besser ausgespielt, die stetig Videos mit mehreren hunderttausend Views produzieren. Denn das zählt reichweitentechnisch mehr als einzelne Hochglanz-Inhalte. Und so hat sich Kellner einen veritablen Abonnenten-Stamm aufgebaut: 186.000 User­*innen haben seinen Kanal abonniert (Stand November 2019), Tendenz steigend.

In süffisanter Art und Weise spricht Kellner täglich von den Themen, die die rechte Sphäre umtreiben. Was beinahe allen seinen Videos gemein ist, ist Rassismus. Flüchtlinge, Muslim*innen, Feminist*innen und weitere marginalisierte Gruppen werden von Kellner in seinen Videos regelmäßig dehumanisiert.

Was macht Kellner so erfolgreich? Kellner kommentiert das Weltgeschehen in seinen Videos meist auf ironische Weise. Das macht die politischen Inhalte seiner Videos einem großen Publikum zugänglich. Er versucht erst gar nicht, sich als Intellektuellen auszugeben und tritt auch nicht mit übertriebenem Pathos als politischer Aktivist in Erscheinung. Er sitzt einfach lässig und zurückgelehnt in einem Stuhl und kommentiert mal witzig, mal empört, doch immer etwas plump, das Weltgeschehen. Viele seiner Fans sehen in Kellner einen „gestandenen“ Mann, der sagt, was er denkt und sich durch nichts und niemanden einschüchtern lässt. Er scheint für viele Menschen eine bewundernswerte Verkörperung von traditionaler Männlichkeit darzustellen.

Rechtsradikale Weltsicht

Mittlerweile hat sich Kellner eine eigene Video-Plattform aufgebaut: „Prometheus Deutschland“. Gehostet sei die Plattform auf einem russischen Server. Hier könne er angeblich „komplett frei sprechen“ und müsse keine Sorge haben, dass er zensiert würde, so Kellner. Hier könne er endlich sagen, dass Deutschland „eine große Invasionsarmee“ beheimate, deren Anführerin in Berlin sitze.

In seinen Videos nutzt er antisemitische Schlagwörter wie „Ostküste“ und „Rotschild“, seine Anhängerschaft weiß, dass hier Jüdinnen und Juden gemeint sind. Kellner behauptet, Angela Merkel bereite einen Krieg gegen das „Deutsche Volk“ vor. Wer letztendlich dahinter stecke? Der jüdische Milliardär George Soros. Er sei der „Lenker und Leiter der deutschen Bundeskanzlerin“, so Kellner. Soros gilt für viele rechte Verschwörungsideolog*innen als Symbol einer gierigen jüdischen Finanzelite, die ohne Rücksicht auf Verluste nur auf ihren eigenen Gewinn bedacht sei und letztendlich die „weiße Rasse“ versklaven will.

Mal offen, mal weniger offen spricht Kellner von einem Krieg gegen das deutsche Volk. Flüchtlinge sind für ihn Kriminelle und eine Armee von feindlichen Inva­soren, die es zu bekämpfen gelte. Solche Erzählungen rufen implizit zu Gewalt auf. Spätestens seit dem anti­semitischen Terrorakt in Halle ist bekannt, dass Internet-Hetze Zuschauer*innen bis zum Mord radikalisieren kann. Das ist dem Ex-Polizisten aber offenbar egal.