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(R)echte Karrieren in Ulm?

Gruppe "Rechte Umtriebe Ulm"
Einleitung

In ihrer Jugend waren sie in Neonazi-Kameradschaften und Neonazi-Organisationen aktiv, bedrohten Antifaschist_innen, planten Anschläge oder verübten Überfälle, um Strukturen zu finanzieren. Dann verschwinden sie für einige Zeit von der Bildfläche. Jahre später tauchen nun zwei Neonazis der 1980er und 1990er Jahre in Ulm wieder auf.

Foto: "Rechte Umtriebe Ulm"

Markus Mössle auf einer Querdenken Demonstration auf dem Ulmer Münsterplatz am 09.05.2020.

Vom bewaffneten Kampf in den Ulmer Gemeinderat

Markus Mössle war in den 1980er Jahren in verschiedenen Neonazi-Strukturen in Ulm aktiv. Bis 1983 war er in der »Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten« (kurz ANS NA), genauer gesagt beim »Gau Baden-Württemberg/NA Kameradschaft 15 Ulm« organisiert. 1983 trat er für »NPD« bei der Bundestagswahl und 1984 für die mittlerweile verbotene »FAP« bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg an.

In der Neonazi-Zeitung »Neue Front« erschien 1984 ein Artikel über die Kandidatur Mössles und seinem Wahlkampf in Ulm. Darin wird er wie folgt beschrieben: „Ein Nationalsozialist, der sich offen zur Idee der Volksgemeinschaft, zu seinem Glauben an ein freies Großdeutschland und zu Adolf Hitler als Vorbild bekennt!1

Neben seinen parteilichen Aktivitäten beging Markus Mössle 1984/85 bewaffnete Raubüberfälle in drei Banken und einem Sexshop. Bei den Überfällen erbeutete er 100.000 DM. Ein Teil davon ist in den Kauf eines Bauernhauses in Rheinland-Pfalz geflossen, das auch als »Nationales Zentrum« in Weidenthal unter der Führung des Nazis Ernst Tag bekannt wurde. Tag war damals einer der bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Naziszene. Am 30. April 1985 und am 13. März 1987 wurde Mössle für einen Banküberfall und drei weitere Überfälle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Heute behauptet Markus Mössle, er sei durch seine Verurteilung und Inhaftierung resozialisiert, ja sogar zur Demokratie bekehrt worden und hätte sich von der Naziszene getrennt. Ob das der Wahrheit entspricht, erscheint fragwürdig. Zu Beginn seiner Inhaftierung stand er noch auf einer Postliste der »HNG«, einer mittlerweile verbotenen neonazistischen Gefangenenhilfe. In einem Prozess 1988 sagte Mössle gegen seinen einstigen Kameraden Ernst Tag aus. Sie stritten und bedrohten sich gegenseitig im Gerichtssaal. Nach seiner Aussage gegen Tag war für Mössle der Weg zurück in die Szene verschlossen. Es scheint so, als hätte er sich nicht für die Demokratie oder gegen die Naziszene entschieden, sondern als hätte er sich dazu entschlossen, durch Kooperation so schnell wie möglich seine Freiheit wieder zu erlangen. Mössle wurde nach sechs Jahren und vier Monaten Haft entlassen. Danach machte er eine Ausbildung zum Betriebswirt und betreibt heute eine Pension in Ulm.

Seit mindestens 2017 ist Mössle im »AfD Kreisverband Ulm/Alb-Donau« aktiv, Fotos zeigen ihn bei Veranstaltungen in Ulm. Auch im Hintergrund war er tätig und soll Flyer sowie Konzepte für Wahlkämpfe entworfen haben. 2019 wurde er Spitzenkandidat für die »AfD«-Liste in der Kommunalwahl, was bundesweit kritische Berichterstattung auslöste, die zu einer innerparteilichen Debatte und zu einer Distanzierung des Landesverbands der »AfD Baden-Württemberg« führte.

Trotz alledem zog Mössle mit 1,7% in den Gemeinderat der Stadt Ulm ein. Bis heute ist es ihm untersagt für die »AfD« zu sprechen, da er offiziell kein Parteimitglied ist. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich im »AfD Kreisverband Ulm/Alb-Donau« auf die Landtagskandidatenwahl 2021 zu bewerben. Er unterlag jedoch dem „Flügel“-nahen Eugen Ciresa. Mössle scheint auch danach noch im Kreisverband mehr als willkommen gewesen zu sein, veranstaltete Kundgebungen und hängte Wahlplakate auf.

Seit Beginn seines Mandats im Gemeinderat befasst sich Mössle inhaltlich mit politisch motivierter Gewalt von Links, Geflüchteten und Seenotrettung. Neu entdeckte er 2020 das Thema Corona für sich. So verteilte er Schulhofflyer mit Falschmeldungen zur Pandemie wie "Kinder & Jugendliche sind nicht ansteckend" und war auf mehreren Demonstrationen des Querdenken-Spektrums Ordner, zum Beispiel bei einer Demonstration in Ulm am 27.03.2021.

Wiederholt konnte 2020 die Nähe zu Mitgliedern der »Identitären Bewegung Schwaben« beobachtet werden, man schien sich zu kennen.

Viele seiner Narrative sind ähnlich wie die, die er bereits in den 1980er Jahren nutzte:

Früher: Die Alten Parteien versagen.
Heute: Alle Parteien sind linksgrün-versifft oder rückratlos.

Früher: Millionen von Scheinasylanten und Ausländer, alle raus, Deutschland gehört uns.
Heute: Geflüchtete sind nicht asylberechtigt, kriminell/gefährlich und generell zu viele.

Das zeigt deutlich wie sich die heutigen Inhalte der AfD nahezu nahtlos mit dem Weltbild von Neonazis verbinden lassen. Die Inhalte sind nicht neu, nur die Wortwahl ist anders.

Früher Bomben, heute Motoren bauen

In den 1990er Jahren war Markus Kalenborn aktiver Anhänger der Anti-Antifa-Gruppe »Volkswille«. Der damalige Maschinenbaustudent der RWTH Aachen soll zu den Gründern der Organisation gehört haben. Die Gruppe versuchte gezielt Antifaschist_innen, Geflüchtete und Initiativen für Homosexuelle durch Drohungen und Angriffe einzuschüchtern. Einige aus der Gruppe manipulierten Autos, sprühten Todesdrohungen an Wohnhäuser von Antifaschisten_innen und hingen fiktive Fahndungsplakate mit Gesichtern ihrer Opfer auf.

1992 nahm die Gruppe am "Rudolf-Hess-Marsch" in Rudolstadt teil. Kalenborn führte dabei einen Sprengsatz mit sich, der dazu gedacht war, ihn auf antifaschistischen Gegenprotest zu werfen. Kurz danach im Dezember 1992 fand die Polizei bei Hausdurchsuchungen der Gruppen u.a. Stahlhelme, Sturmgepäck, verfassungsfeindliches Material und Waffen. Bei Kalenborn wurden zudem Unmengen an Chemikalien, Zündern und Elektrobauteilen zur Bombenfernzündung gefunden. Laut Polizei genug, um halb Bochum in die Luft zu jagen.

Im Frühjahr 1995 kam es in Dortmund zu einem Prozess gegen elf Personen der Gruppe. Ihnen wurden 30 einzelne Straftaten vorgeworfen. Angeklagt wurden sie wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129. In Zeitungsartikeln zum Prozess wurde Markus Kalenborn als "Sprengmeister" bezeichnet und von konkreten Plänen der Gruppe einen linken Aktivisten umzubringen berichtet. Die Angeklagten stellten ihre Straftaten als »nächtliche Saufaktionen« dar und erhielten alle Bewährungsstrafen. Mit 21 Monaten erhielt Kalenborn die höchste Strafe.

Er blieb weiterhin politisch aktiv. Er engagierte sich in der »NPD Aachen«, wurde dort Vorsitzender und trat für sie zur Bundestagswahl 1998 an. Außerdem fiel er mehrfach im Zusammenhang der NPD-nahen Burschenschaft »Libertas Brühn« auf.

Ab Anfang der 2000er Jahre wurde es ruhiger um ihn. Vermutlich widmete sich Kalenborn in dieser Zeit seiner wissenschaftlichen Karriere. 2010 wird er von der RWTH Aachen mit der Borchers-Plakette für seine Promotion ausgezeichnet. Auf seinem Gebiet wird er anerkannte Spezialist und meldet einige Patente an, zum Beispiel 2014 in Kooperation mit einem weltweit führenden Hersteller von Einspritzsystemen für Großdieselmotoren.

Heute arbeitet Markus Kalenborn als Professor an der Technischen Hochschule Ulm. Er engagierte sich in den letzten Jahren als Schriftführer und Pressebeauftragter im Ulmer Reservistenverband. Auch er scheint mit seiner früheren ideologischen Einstellung nicht gänzlich gebrochen zu haben. Im Frühjahr 2018 spendete er 100 Euro an Martin Sellner von der »Identitäre Bewegung«.

Diese beiden Biografien zeigen beispielhaft, wie früher gewalttätige Neonazis heute ein bürgerliches Leben führen und weiterhin mit »extrem rechtem« Gedankengut sympathisieren bzw., wie Mössle, es offen nach außen hin vertreten. Sie haben beide ihren Platz (in Ulm) gefunden – nicht nur in rechten Strukturen, sondern auch in ihren bürgerlichen Karrieren, trotz ihrer bewaffneten und neonazistischen Vergangenheit.

  • 1Die Neue Front Nr. 11 / Ausgabe 4, 1984