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Messer, Knüppel, Lügen

Vincent Arcangelo (Italien) (Gastbeitrag)
Einleitung

Mailand/Italien: Am 16. März 2003 wurde unser Freund und Genosse Davide »DAX« Cesare von Faschisten in Mailand/Italien ermordet. Ein weiterer Genosse, Alex, liegt noch mit schweren Verletzungen im Kranken­haus. Freunde und Freundinnen der beiden, die im Krankenhaus San Paolo warteten, wurden von der Polizei brutal angegriffen. Eine weitere »chilenische Nacht« in Italien.

Messer

Am Sonntag, den 16. März 2003, gegen 23 Uhr waren vier Aktivisten des centro sociale O.R.SO (Officina Delle Resistenze SOciali) im Mailänder Viertel »Ticinese« unterwegs. In diesem südlichen Stadtteil sind mehrere besetzte Häuser und centri sociali beheimatet. Andererseits ist »Ticinese« auch ein beliebtes Ausgehviertel mit vielen Bars und Restaurants.
Als die vier die von vielen Linken frequentierte Kneipe »Tipota« passierten, wurden sie unvermittelt von drei mit Messern bewaffneten Faschisten angegriffen. Gezielt stachen die Faschisten auf Vitalpunkte ein: Hals, Brustkorb, Lunge. Sie ließen erst von den Genossen ab, als zwei von ihnen regungslos am Boden lagen. Davide »DAX« Cesare schnitten die Faschisten die Kehle durch. Alex erhielt acht Stiche in den oberen Rücken, wovon einer die Lunge traf. Der dritte Aktivist erhielt zum Glück nur Stiche in ungefährdete Körperregionen, wie z.B. die Arme. Die Täter konnten flüchten.

Straßensperren

Während DAX in einer sich ständig vergrößernden Blutlache auf den Notarztwagen wartete, erreichten drei Streifen der Policia und eine der Carabinieri den Tatort. Sofort sperrte die Polizei die umliegenden Straßen ab. Somit war es dem Rettungswagen erst nach einer erheblichen Zeitverzögerung möglich, die Schwerverletzten zu erreichen. Noch auf dem Weg in das nahe gelegene Krankenhaus San Paolo verblutete unser Genosse DAX. Mit 26 Jahren hinterläßt er eine vierjährige Tochter. Der sich in Lebensgefahr befindende Alex wurde im Laufe der Nacht mehrmals operiert.

Knüppel

Freunde und Freundinnen, Genossen und Genossinnen der Schwerverletzten warteten in dem Krankenhaus, um zu erfahren, wie es um DAX und Alex steht. Nachdem der diensthabende Arzt den Tod von DAX mitgeteilt hatte, folgte die zweite Angriffswelle: Die Wartenden wurden von Polizia und Carabinieri angegriffen. Ohne Anlaß und ohne Vorwarnung wurden sie attackiert. Mit Schlagstöcken, Eisenstangen und mindestens einem Baseballschläger schlugen die Polizisten auf alles ein, was sich in und um die Notaufnahme aufhielt.

Unter Rufen wie »comunisti bastardi ... vi ammazziano tutti« (»verdammte Kommunisten ... wir bringen alle um«) machten sie selbst vor Pflegern, Notärzten und Patienten nicht halt. Gegen sieben Uhr Morgens konnten die letzten, nicht verhafteten Aktivisten das Krankenhaus verlassen. Bilanz dieses Angriffs: Mehr als vierzig Platzwunden, ausgeschlagene Zähne, eingeschlagene Köpfe, Verletzungen innerer Organe und verunstaltete Gesichter.

Lügen

Die italienische Presse, die zu einem überwiegenden Teil vom rechten Regierungschef Silvio Berlusconi kontrolliert wird, stellte den Angriff der Faschisten zunächst als unpolitische Schlägerei dar. Im weiteren Verlauf wurde versucht, eine Auseinandersetzung um die Kontrolle im Drogenhandel zu konstruieren. Die Vorfälle im Krankenhaus San Paolo wurden gänzlich verschwiegen. Von den italienischen GenossInnen wurde dieses Vorgehen mit dem wachsenden  Einfluß der Alleanza Nazionale einerseits und dem sich auf einen Anti-Terror-Krieg vorbereitenden italienischen Staat in Verbindung gebracht. Erst nachdem in fast allen größeren italienischen Städten Solidaritätsaktionen stattfanden, kehrte die Presse zur Darstellung des tatsächlichen Hintergrunds zurück.

Solidarität

In Mailand und Florenz gab es bereits am 17. März 2003 größere Demonstrationen. In Bergamo, Bologna, Brescia, Catania, Turin etc. wurden Sit-Ins vor Polizeiwachen und Rathäusern durchgeführt. In Rom gab es eine Spontandemonstration zum Innenministerium. Als eine Pizzeria, die als Treffpunkt für Faschisten diente, angegriffen und verwüstet wurde, schoß ein Zivilpolizist mehrere Male in die Luft. Nachdem abermals ein rechter Pub zerstört wurde, errichtete die Polizei Straßensperren. Daraufhin änderte die Demo ihre Route und ging zu den Redaktionsräumen der Zeitung »La Republica«, um gegen die Desinformation zu protestieren. In Neapel ging in der Nacht zum 17. März 2003 ein Lieferwagen mit Druckerzeugnissen der Alleanza Nazionale in Flammen auf. In Pisa explodierte ein Sprengsatz vor dem Sitz der Alleanza Nazionale.

Abschied

Am 22. März 2003 wurde DAX in Rozzano bei Mailand, dem Heimatort seiner Eltern, begraben. An der Beerdigung nahmen etwa 3.000 Personen aus der Linken Italiens, von Disobbedienti über Autonome, Anarchisten, Leuten aus den centri sociali bis zur Rifundazione Comunista teil. Um 14 Uhr begann in Mailand eine antifaschistische Demonstration, an der 15. bis 20.000 Menschen teilnahmen. Auch hierbei wurden mehrere Treffpunkte von Faschisten angegriffen, was jedoch an gut schützenden Stahljalousien scheiterte. Die noch immer sehr bewegten DemonstrantInnen machten ihrem Ärger im Laufe der Demonstration mit einem angezündeten Immobilienbüro und einer entglasten Einkaufszeile in der Innenstadt Mailands Luft. Die letzten Scherben hatte das Mailänder Zentrum vor 15 Jahren erlebt.

Faschisten

Die Faschisten, die vor 25 Jahren am 18. März 1978 Fausto Tinelli und Lorenzo Ianucci vor dem Centro Sociale »Leoncavallo« in Mailand ermordeten, wurden nie gefasst. Der Tod von Fausto und Iaio war der letzte gezielte faschistische Mord an linken Aktivisten in Italien: bis zur Ermordung unseres Genossen DAX am 16. März 2003, 25 Jahre und zwei Tage später. Die Faschisten, die DAX ermordeten, konnten allerdings schon bald nach der Tat verhaftet werden. Es handelt sich dabei um einen Vater und seine zwei Söhne, die ca. 100 Meter vom Tatort entfernt leben. Sie konnten identifiziert werden, weil sie ihren Hund dabei hatten. Als sie flüchteten, riefen sie diesen mit seinem Namen »Rommel« (!), der auch in der Nachbarschaft bekannt war. Neben Waffen und allerlei Nazi- und Faschistenpropaganda fand die Polizei blutgetränkte Kleidungsstücke bei den Tätern.

Aufwind

Die Faschisten in Italien scheinen Aufwind zu bekommen. Kaum verwunderlich, denn die neofaschistische Alleanza Nazionale sitzt in der Regierung und unterstützt andere italienische Organisationen der extremen Rechten finanziell und logistisch. So meldete die Forza Nuova z.B. für den 30. März 2003 einen Aufmarsch in Turin an – eine nicht gerade alltägliche Angelegenheit in Italien. Obwohl GegendemonstrantInnen versuchten, die Polizeiketten zu durchbrechen, konnte die Polizei  den Aufmarsch schließlich durchsetzen.
Verstärkt tauchen Naziskins auch in den Städten und im Hinterland auf. In Mailand sind sie zusammen mit Gabba-Fans sogar im Zentrum anzutreffen. Dies alles ist nicht weiter verwunderlich, wenn Rechtspopulisten und Neofaschisten regieren. Die Linke wird zunehmender Verfolgung ausgesetzt. Sei es durch die weitere Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, durch die Aushöhlung des Rechtsstaates und die brutale Repression gegen die antagonistische Linke.

Für DAX

DAX, wir werden Dich nie vergessen.
Du warst ein einzigartiger Mensch, ein wirklicher Freund – und leider jemand, den seine Freunde nun zu Grabe tragen. Wir werden Dein Lächeln nie vergessen. Du warst jemand, der immer lächelte – selbst in solchen Situationen, in denen niemand lächeln konnte, weil es nichts zu lachen gab.  Du warst ein aufmerksamer Mensch, jemand, der sofort jedem half – selbst solchen, mit denen Du nicht einer Meinung warst. Wenn Du jetzt gehst, darfst Du nicht denken, Du würdest nicht mehr existieren – für uns lebst Du immer noch. Du wirst für immer in unseren Herzen sein. Wenn Du jetzt gehst, darfst Du nicht vergessen, dass die, die Dir das angetan haben, ignorant und ohne zu denken handelten. Sie haben Dich ermordet, weil Du niemals weggelaufen bist. Sie werden von ihrer Grausamkeit nicht profitieren. DAX, wir haben Dich lieb – wie Du weißt, wirst Du für immer in unseren Herzen weiterleben.
Deine Freunde

(aus dem Italienischen)