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Kein Fußball den Faschisten?

Einleitung

Der SV Babelsberg 03 wehrte sich konsequent gegen ein Urteil des Sportgerichts vom Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV), bis dieser sogar mit Zwangsabstieg drohte. Ein Gespräch Anfang März 2018 konnte den Konflikt vorerst lösen. Ob sich der Verband dem Problem der extremen Rechten im Fußball nun ernsthaft stellt, darf bezweifelt werden.

Foto: Presseservice Rathenow

Spieltag

Die Regionalliga Nordost am 28. April 2017: Der FC Energie Cottbus ist beim SV Babels­berg 03 zu Gast. Für die Fans im Karl-Lieb­knecht-­Stadion wird es eines der wenigen Spieltage der Saison, an dem im Gäste­block eine grö­ßere Anzahl gegnerischer Fans zu erwarten ist. Die Freude darüber hält sich bei vielen Babelsberg Fans aus der linksalternativ geprägte Nordkurve trotzdem in Grenzen. Schließlich ist damit zu rechnen, dass sich unter den Cottbuser AnhängerInnen einige Neonazi-Hools aus dem Umfeld von „Inferno Cottbus“ befinden werden. Beste Voraussetzungen für ein Hochsicherheitsspiel also.

Kurz nach Anpfiff betritt eine Gruppe von etwa 30 bis 40 teils vermummten Personen den Gästeblock. Mit im Gepäck: Böller und Raketen, die in Richtung Nordkurve gefeuert werden. Um die 30igste Spielminute muss das Spiel unterbrochen werden, weil ein Teil der Gruppe auf den Zaun steigt und versucht, auf das Spielfeld zu gelangen, was einzelnen auch gelingt. Während des Spiels fallen immer wieder rassistische und antisemitische Parolen wie „Babelsberg 03, Zecken, Zigeuner und Juden“ oder „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“. Passend dazu werden einschlägige Banner präsentiert, unter anderem eines von der Chemnitzer „New Society“ („NS-Boys“). Außerdem zeigen mindestens zwei Personen offen den Hitlergruß, anscheinend ohne Hemmung, dabei in Großaufnahme gefilmt zu werden.

Als das Spiel wegen eines zweiten Platz­sturms Anfang der zweiten Halbzeit erneut unterbrochen wird, steht es kurz vor dem Abbruch. Dass die Schiedsrichter entschei­den, die Partie trotzdem irgendwie zu Ende zu bringen, ermöglicht den Heimfans eine zumindest sportliche Genugtuung: Mit der letzten Szene des Spiels gelingt den Babelsbergern der 2:1 Siegtreffer im Brandenburg-Derby.

Skandalurteil

Der Einsatz von Pyrotechnik, zwei Spielunterbrechungen wegen versuchten Platzsturms: Dass der SV Babelsberg 03 mit einem Sportgerichtsverfahren und einer Geldstrafe rechnen musste, war zu erwarten. Denn wie in den höchsten Spielklassen ist der gastgebende Verein für die Sicherheit im Stadion verantwortlich. Mitte Juni 2017 geht dann das Urteil des Sportgerichts des NOFV auf der Babelsberger Geschäftsstelle ein. Im schriftlichen Verfahren, ohne Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung, enthält es eine Strafzahlung in Höhe von 7.000 Euro sowie die Androhung eines „Geisterspiels“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wegen „fortgesetzt unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger“.1  Der eigentliche Skandal aber zeigt sich im Text zur Urteilsbegründung: Zu den Gründen wird aufgezählt, dass „eine Person mit rotem Punkerhaarschnitt aus dem Babelsberger Fanblock in Richtung des Cottbuser Fanblockes: „Nazischweine raus“ [rief]“.1

Von den rassistischen und antisemitischen Paro­len im Gästeblock und selbst vom Zeigen des Hitlergrußes ist im Urteilstext hingegen keine Rede. Ob als Beweis dafür, auf dem rechten Auge blind zu sein oder für juristisches Unvermögen: Beides wäre skan­dalös genug.

Auf Seiten des NOFV hatte man offenbar damit gerechnet, dass sich der Fall durch die Zahlung der Strafe erledigen werde. Einen Einspruch vom SV Babelsberg 03 hatte man mit dem Hinweis auf einen Formfehler nicht zugelassen. Doch die Vereinsführung rund um den Präsidenten Archibald Horlitz machte unmissverständlich klar: „Die Höhe der auferlegten Strafe und die Begründung sind für den SV Babelsberg 03 skandalös, unverständlich und unakzeptabel.“2  So lange der Hinweis auf den „Nazischweine“-Ruf in der Urteilsbegründung enthalten ist, werde man das Urteil nicht akzeptieren.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen?

Nachdem der Druck auf den NOFV durch die kritische Berichterstattung und das Einschalten des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel immer weiter zunahm, wies der Verband jegliche Verantwortung von sich. Zur Frage, weshalb das Gericht die Vorfälle im Gästeblock ignoriert hatte und man erst durch Druck des DFB ein zweites Verfahren gegen den FC Energie Cottbus einleitete, behauptete der Vorsitzende des Sportgerichts Stephan Oberholz in einem Radio-Interview Ende Januar 2018: „Da wussten wir nichts von, schlicht und ergreifend.“3

Möglich ist diese Behauptung dadurch, dass der Verband nicht auf schriftlichem Wege über die Vorfälle informiert worden ist. Denn anscheinend hielten es weder die Schiedsrichter noch der NOFV-Spielbeobachter Mario Pinkert für nötig, die rassistischen und antisemitischen Parolen in ihren Berichten festzuhalten. Von den Vorfällen gewusst haben muss Oberholz aber unabhängig vom Spielbericht: Denn im Urteil selbst wird darauf hingewiesen, dass sich dieses auf „Inaugenscheinnahme der TV-Bilder über die Vorfälle“ (u.a. RBB, YouTube, Facebook) bezieht.

Laut Vereinssatzung des NOFV hat dieser die Aufgabe „rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen sowie anderen diskriminierenden und menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen zu treten“. Dass hier eine große Diskrepanz zwischen angeblichem Engagement gegen Rassismus und dem  hierbei gegenteiligen Handeln besteht, zeigt sich an diesem Konflikt mehr als deutlich.

Im gleichen Radio-Interview vom Januar  2018 gab Oberholz zu, die Bemerkung zum „Nazi­schweine“-Ruf „hätte man besser rausgelassen“.3 Ein konsequentes Eingeständnis ist das allerdings nicht, denn gegenüber dem SV Babelsberg 03 drohte man gleichzeitig mit dem Ausschluss aus dem Ligabetrieb, wenn dieser nicht zahle.

Solidarität

Die Babelsberger Strategie der konsequen­ten Haltung gegen das Urteil fand nicht nur in der lokalen Presse weitgehende Unterstützung. Letztlich wurde der Fall des Viertligisten, der sich gegen seinen Verband stellt, sogar international verfolgt, mit Berichten in der Washington Post bis zur New Zealand Herald. Der NOFV sah sich nun weltweiter Aufmerksamkeit und Kritik ausgesetzt. Offensichtlich hat der Verband die Tragweite der Entscheidung, den Einspruch gegen das Urteil abzulehnen, völlig unterschätzt.

Der SV Babelsberg erfuhr durch die positive Berichterstattung eine breite Solidarität: Unterstützung kam nicht nur von nahe stehenden Vereinen wie der BSG Chemie Leipzig, sondern auch von Klubs und Fanszenen der oberen Spielklassen. Von dieser breiten Solidarität motiviert startete man die Kampagne „Nazis raus aus den Stadien!“, die offensichtlich einen Nerv getroffen hat. Denn mittlerweile wird die Initiative von Vereinen mit großer Reichweite unterstützt, darunter Bundesligisten wie Werder Bremen, Borussia Dortmund oder der 1. FC Köln. Unter anderem stellen diese Spendenboxen auf und verkaufen Solidaritäts-Shirts. Mit dem Gewinn werden kleinere Vereine bei ihren Antirassismusprojekten sowie freie Fanprojekte in ihrer Arbeit gegen Rechts unterstützt.

Konflikt gelöst?

Anfang März 2018 fand ein Gespräch zwischen dem SV Babelsberg 03 und dem NOFV statt, nachdem sich der Potsdamer Oberbürgermeister als Schlichter im festgefahrenen Konflikt angeboten hatte. In einer gemeinsamen Presseerklärung wurde der Streit nach gut acht Monaten für beendet erklärt. Zwar wird der Satz mit dem „Nazischweine“-Ruf aus dem Urteil gestrichen, doch die 7.000 Euro Geldstrafe bleibt bestehen. Dennoch ein Erfolg, denn die Hälfte der Strafe kann der Verein „für sicherheitstechnische, infrastrukturelle, gewaltpräventive Maßnahmen oder Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus“ einsetzen. Gleichzeitig wird der NOFV die übrigen 3.500 Euro für die „Finanzierung von Aktionen gegen Rassismus und Rechtsextremismus, für Fairness, Respekt und Toleranz“ verwenden. „Wenn man sieht, welche Bewegung sich entwickelt hat, hat sich der Kampf gelohnt“, so Horlitz.

Keine Rücktritte der Verantwortlichen beim NOFV, stattdessen Absichtserklärungen, sich nun wirklich konsequent gegen extreme Rechte einzusetzen. Wie ernst es dem Verband damit ist, muss von einer breiten Öffentlichkeit beobachtet werden.