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Die Brandstifter aus der Nachbarschaft

Einleitung

Eine Welle rassistisch motivierter Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte überzieht seit Monaten die Bundesrepublik. Die Initiative „Rechtes Land“ verzeichnet für das Jahr 2015 158 Brandanschläge und Sprengstoffdelikte, die sich gegen Geflüchtete richteten, das Bundeskriminalamt (BKA) spricht von 95 Brandstiftungen. Das es bisher nicht zu Toten kam ist reiner Zufall. Die TäterInnen konnten nur in Einzelfällen von der Polizei ermittelt werden. Das Spektrum reicht hierbei von rassistischen „Wutbürgern“ aus dem bürgerlichen Milieu1 bis hin zu organisierten Neonazis. Dazwischen befinden sich die vielen AnhängerInnen einer rechten Lebenswelt, welche als potentielle TäterInnen in Betracht kommen. Wir wollen hier auf zwei der wenigen aufgeklärten rassistische Brandanschläge konkreter eingehen, um darzustellen, welche TäterInnen, welches Umfeld und welche Dynamiken hinter solchen Anschlägen stehen können.

  • 1In Eschenburg in Schleswig Holstein zündete Anfang Februar 2015 der 39-jährige Finanzbeamte Kim M. ein benachbartes Haus an, in dem Flüchtlinge einziehen sollten.
Foto: Sören Kohlhuber

Die rassistischen Brandstifter Thomas Hocke (links mit Sonnenbrille) und Florian Hillner (mitte mit grauer Kapuze) bei einer NPD-Demonstration am 1. Mai 2014 in Rostock.

Salzhemmendorf (Niedersachsen)

In den frühen Morgenstunden des 28. August 2015 wurde ein brennender Molotow-Cocktail durch das Erdgeschossfenster einer Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf bei Hameln geworfen. In der Wohnung lebte eine Frau mit ihren drei Kindern (4, 8 und 11 Jahre). Betroffen von dem Angriff war das Kinderzimmer des 11-jährigen Kin­des, das zum Glück in dieser Nacht in einem Nebenraum schlief. Durch Zeugenaussagen konnten die TäterInnen schnell ermittelt werden. Der 25-jährige Sascha Dohme aus Salzhemmendorf befindet sich seit Ende August 2015 wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Ebenso die 24-jährige Saskia Börger aus Springe und der 31-jährige Dennis Lemke aus Lauenstein.

In der Garage von Dennis Lemke hatten die Drei RechtsRock der Bands „Kategorie C“, „Sturm­wehr“ und „Nordfront“ gehört und sich über die massiven rassistischen Angriffe auf die Flüchtlingsunterkunft in Heidenau (Sachsen) unterhalten. Im Laufe des Abends begannen Lemke und Dohme den für den Brandanschlag verwendeten Molotow-Cocktail herzustellten. Anschließend fuhr Saskia Börger mit Sascha Dohme und Dennis Lemke in die Nähe der Flüchtlingsunterkunft, wo Lemke die Brandflasche durch das Kinderzimmer-Fenster warf. Nach der Tat holte Sascha Dohme noch seine Feuerwehr-Ausrüstung ab, um bei der Löschung des gelegten Brandes mithelfen zu können.
Dennis Lemke wurde von seinen Freunden und Bekannten als „nicht rechts“ beschrieben. Doch in „Whats App“-Chats mit seinen Freunden wurde das Gegenteil deutlich. Der 16-jährige Florian R. beschwerte sich im Chat über ein angebliches „Asylantenheim“ und herumlaufende „paselacken“. Lemke riet ihm daraufhin „Schmeiss mit Pflastersteine!“. Das reichte Florian R. offenbar als Handlungsoption nicht aus. Denn er fuhr mit den Worten fort: „Die grundschule wird n asyl heim (...) Ich bete drum das sie abgefackelt wird.“ Zur Bekräftigung schickte er noch ein Bild einer Figur mit Hitlergruß und Hakenkreuz hinterher.

Zu den Freunden von Sascha Dohme zählte der 22-jährige Robert Sch. aus Salzhemmendorf. Robert Sch. war Jugendwart bei der Feuerwehr und kannte daher auch Sascha Dohme, der mit ihm zusammen in der Einsatzabteilung der Feuerwehr aktiv war. In privaten Chats wurde auch mit ihm offen geredet. So schrieb Robert Sch. an Dennis Lemke: „Diese Gruppe ist hitlertastisch“ und „Sieg Heil sieg heil ist unser Schrei, mit eurem eu eu eu ist es jetzt vorbei!!!“. Als Ende Oktober 2014 etwa 4.000 rechte Hooligans, Neonazis und RassistInnen auf einer Demonstration der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) in Köln demonstrierten und randalierten wurde dies von Dennis Lemke und Robert Sch. live kommentiert. Der Feuerwehr-Jugendwart Robert Sch. wusste hierzu fachkundig beizusteuern: „Alle anstecken!!!“ und „die Sala­fisten in Brand stecken!!“.
Sascha Dohme und Dennis Lemke zeigten auf ihren facebook-Accounts diverse Sympathien für „patriotische“ bis neonazis­tische Musik-Projekte. So markierte Dohme die Neonaziband „Kraftschlag“, den Sänger der RechtsRock Band „Kategorie C“ Hannes Ostendorf und die Band „Frei.Wild“ mit „Gefällt mir“. Dennis Lemke gefielen „Hannes Ostendorf“, „Frei.Wild“ und die „Böhsen Onkelz“. Die facebook-Kommunikation zwischen den Beiden war von Gewalt und Menschenverachtung geprägt: „Schlagt sie tot!!!“ — „Wen denn jetzt schon wieder“ — „Für manche Menschen hätte eine Dusche aufbleiben sollen !! :-)“ — „Hehe“.
Verhältnißmäßig moderat trat Saskia Börger bei facebook auf. Sie postete lediglich den Spruch „Leg mir Steine in den Weg und ich schwöre dir, ich werf sie dir in die Fresse“. Und wie den anderen beiden Beschuldigten gefiel auch ihr der RechtsRocker „Hannes Ostendorf“. Doch in „Whats App“-Chats zeigt sie deutlich politischere Ansichten. In einem Chat mit Sascha Dohme freute sich dieser darüber, daß sein 2-jähriger Sohn bereits das Wort „Hitler“ sagen kann. Daraufhin berichtete Saskia Börger, daß ihr 2-jähriger Sohn bereits „Sieg Heil“ aussprechen kann.
Das Sascha Dohme auch im real life Bezüge zur rechten Lebenswelt hatte belegt einen schwarz-weiß-rote Reichsfahne, die er zu Hause hatte. Der Polizei war er bereits durch ein Ermittlungsverfahren wegen des Rufens von Neonazi-Parolen bekannt. Bei Dennis Lemke fand sich eine Kundenkarte der „Thor Steinar“-Firma „Skytec Outlets GmbH“ aus Brandenburg. Die Modemarke „Thor Steinar“ erfreut sich seit einigen Jahren in der rechten Szene einer hohen Beliebtheit und wird dabei auch als eine Art diskretes politisches Erkennungszeichen genutzt.

Wegen versuchter schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes erhielt Dennis Lemke acht Jahre Haft, sieben Jahre Haft erhielt Sascha Dohme und viereinhalb Jahre Haft gab es für Saskia Börger. Die drei Angeklagten handelten nach Ansicht der Schwurgerichtskammer aus "ideologischem, besser gesagt: nationalsozialistischem Fremden- und Rassenhass"

Groß Lüsewitz (Mecklenburg Vorpommern)

Bereits in der Nacht zum 12. Oktober 2014 verübten Rassisten einen Brandanschlag auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft in Groß Lüsewitz in Mecklenburg Vorpommern, nahe Rostock. Einer der Brandsätze setzte dabei ein Fenster in Brand und nur durch Glück kam niemand zu Schaden. Schon zuvor war von Unbekannten die Parole „Dieser Block wird brennen“ an die Hausfassade geschrieben worden. Bereits im Dezember 2013 stand die elf Meter lange Parole „Dass Deutsche Volk geht vor, Ausländer Nein Danke wir haben genug“ an der damals noch geplanten Flüchtlingsunterkunft.

Nach mehreren Monaten Ermittlungsarbeit gelang es der Polizei zwei Männer aus der Region als Tatverdächtige für den Brandanschlag zu ermitteln. Unter den EinwohnerInnen im Dorf waren die beiden Täter bis dahin schon lange bekannt. Die Beiden sollen sich beim Biertrinken erst über die „Ausländerproblematik“ ausgetauscht haben, bevor sie sich mehr oder weniger spontan zu dem rassistischen Brandanschlag entschieden. Die entsprechenden Gerüchte und Stadtgespräche erreichten mit langer Verzögerung schließlich auch die Polizei. Der 26-jährige Florian Hillner aus Kösterbeck/Broderstorf befindet sich seit Mitte August 2015 wegen versuchtem Mord und Brandstiftung in Untersuchungshaft. Ebenso der 25-jährige Thomas Hocke aus Groß Lüsewitz.

Hocke hatte zuvor noch erfolglos versucht die Ermittler mit einem falschen Alibi seines Bekannten Ronny Sch.-B. aus Rostock zu täuschen. Doch dieser räumte die falsche Aussage später bei einer erneuten Vernehmung ein. Der 26-jährige Ronny Sch.-B. wusste zu berichten, das Thomas Hocke politisch eher „neutral“ sei, aber schon mal zu Aufmärschen gegangen sei. Er selbst hätte an einer PEGIDA-Demonstration teilgenommen und sei der Auffassung, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben würden. Als Ronny Sch.-B. das falsche Alibi platzen ließ besorgte sich Hocke bei seinem Bekannten Sascha Tsch. Quarzsandhandschuhe. Diese bräuchte er, da ein „Kumpel“ vor Gericht „gelabert“ habe, hatte er ihm vorher erklärt. Seine Hände seien frisch tätowiert und dürften nicht „aufplatzen“.

Sascha Tsch. wohnte zu diesem Zeitpunkt in einer Gartenlaube auf einer Gartenparzelle von Hocke in Rostock. Als diese im Zuge der Festnahme von Hocke von der Polizei durchsucht wurde fanden die Ermittler u.a. eine Ausgabe des Mitteilungsblattes der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern „Der Ordnungsruf“, einen Pullover mit der Aufschrift „NS Hardcore — Brutal NS Music“ und mehrere Plakate der NPD („Arbeit statt Einwanderung!“, „Asylbetrüger raus!“) an den Wänden. Nichts davon werteten die Staatsschutz-Ermittler als „verfahrensrelevanten Gegenstand“.

Versuchter Mord als Protest ?

Als Motiv für den Brandanschlag sieht die Staatsanwaltschaft „Rassenhass und Ausländerfeindlichkeit“, obwohl beide Neonazis dem Staatsschutz unbekannt waren. Ein Blick auf die facebook-Profile, die Computer und die Handys der beiden Neonazis ließ keinen Raum für andere Interpretationen als eine „rechtextremistische Gesinnung“. Auf Hockes Computer befand sich u.a ein Foto, von Adolf Hitler mit dem Spruch: „Neger...? Es gibt keine Neger. Es gibt nur schlecht verbrannte Juden.“ Von Florian Hillner und Thomas Hocke wurden Fotos festgestellt, die sie mit Hitlergruß vor Hakenkreuzfahnen zeigten. Hillner trug dabei auch noch ein T-Shirt mit dem Zeichen der SS.

Im Internet kommentierten beide bereits im Dezember 2013 öffentlich eine Meldung über eine rassistische Parole an der geplanten Flüchtlingsunterkunft. Hocke alias „Thomas von Hier“ fragte „Warum soll ich denn nicht sagen dürfen was ich von Ausländern halte oder schon immer über Fremde gedacht habe? Huh?“ und gab Insider-Wissen zu der Wohnlage der Flüchtlinge in der Unterkunft preis: „Also man sagt ja die größte Scheisse schwimmt in Gülle immer oben aber in diesem Fall wohnt sie oben.“ Hillner verwies auf „Stahlgewitter“ — eine neonazistische Musikband und schrieb u.a.: „(...) es gibt genug schein asylanten die hier nach Deutschland kommen(...).

Hocke gab nach seiner Verhaftung gegenüber der Polizei an, der Brandanschlag sei eine „bloße Protestaktion“ für die Öffentlichkeit gewesen. Er habe sich nicht gegen Ausländer gerichtet. Die Politiker sollten vielmehr darauf hingewiesen werden, dass es nicht richtig sei, in „Ausländerfragen“ Entscheidungen über die Köpfe der Bürger hinweg zu treffen. Die beiden Neonazis wurden Anfang März 2016 zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Weitere Täter unbekannt ?

Für die Ermittler steht fest, dass nur die zwei inhaftierten Neonazis für den Brandanschlag angeklagt werden müssen. Ob es sich aber  tatsächlich um eine isolierte Tat handelt erscheint schon aufgrund der poli­tischen Verortung von Hockes Freunden Sascha Tsch. und Ronny Sch.-B. fraglich. Zumindest Hocke war außerdem so eng an die organisierte Neonazi-Szene angebunden, dass er an Demonstrationen in Rostock und Demmin teilnahm.

Auch andere Spuren in die rechte Szene scheinen nicht wirklich ernsthaft ermittelt worden zu sein. Einige Tage nach dem Anschlag geriet beispielsweise der Neonazi-Aktivist Björn A. in den Fokus der Ermittlungen. Zwei Personenspürhunde waren mit der Geruchsspur des Molotow-Cocktails in Sanitz unterwegs und führten die Ermittler unabhängig voneinander zu dessen Mehrfamilienhaus. Im Gegensatz zu Hocke und Hillner war Björn A. dem LKA als Besucher von Neonazi-Konzerten und rechten Demonstrationen bekannt. Die folgenden Ermittlungen ergaben Hinweise auf persönliche Kontakte zu führenden NPD-Funktionären. Doch nach Einschätzung der Ermittler ließ sich der Tatverdacht gegen Björn A. nicht weiter erhärten und das Ermittlungsverfahren wurde bereits Anfang März 2015 eingestellt.

Unklar blieb bisher auch die Rolle des deutschen Mitbewohners des angezündeten Objektes Ingo B. aus Groß Lüsewitz. Hocke gab an, über dessen facebook- Account Kenntnisse über die Flüchtlingsunterkunft im selben Haus erhalten zu haben. Der Rostocker Staatsschutz überprüfte den Account und gab Entwarnung: Es seien keine Einträge mit einem Zusammenhang zu der Flüchtlingsunterkunft in Groß Lüsewitz vorhanden. Das Ingo B. ein Bild mit dem Spruch: „Lieber mehr Rente für Oma und Opa als immer mehr für Integrationsunwillige aus Südosteuropa. Denn, wir haben genug eigene Bedürftige in unserem Land!“ veröffentlicht hatte, fiel dem Staatsschutz entweder nicht auf oder erschien ihm nicht relevant. Der öffentliche Kommentar von Ingo B. zu dem Bild: „dem kann man nur noch hinzufügen, dass oma und opa deutschland aufgebaut und das geld erarbeitet haben, das heute für asylbewerber ausgegeben wird, die in der mehrzahl wirtschaftsflüchtlinge sind,“ war dem Ros­to­cker Staatsschutz auch keine weiteren Nachfragen wert.

Von der Hetze zum Brandsatz

Die Brandanschläge aus Groß Lüsewitz und Salzhemmendorf zeigen, daß die TäterInnen in diesen Fällen keine angereisten Neonazi-Kader waren, die ihre Taten im Vorfeld besonders gut geplant und vorbereitet hatten. Dass es auch solche TäterInnen gibt ist anzunehmen, doch sie lassen sich offenbar nicht so leicht durch die Polizei ermitteln. Die TäterInnen in Groß Lüsewitz und Salzhemmendorf waren in den beschriebenen Fällen durch ihr mehr oder weniger spontanes und unprofessionelles Handeln leicht zu ermitteln. Sie sind in der Gegend wohnhaft und hatten im Vorfeld offen in sozia­len Netzwerken gegen Flüchtlinge gehetzt. Sie waren Teil einer rechten Lebenswelt am Rande von fest organisierten Strukturen und fanden sich über freundschaftliche Kontakte in gleichgesinnten Cliquen zusammen. Einige von ihnen nahmen an Neonazi-Aufmärschen teil, einige trugen Kleidung der rechten Szene, alle konsumierten RechtsRock und die meisten machten im engeren Freundeskreis kein Geheimnis aus ihrer Menschenverachtung und ihrer Sympathie für den Nationalsozialismus.Trotzdem wurden sie in mehreren Fällen von ihren Bekannten, Arbeitgebern oder Familienmitgliedern als nicht politisch oder schon gar nicht als rechts wahrgenommen und beschrieben.

Auch dieses Rand-Milieu der Neonazi-Szene müssen AntirassistInnen und AntifaschistInnen offenbar genau im Auge behalten, wenn sie der rassistischen Terrorwelle wirksam entgegentreten wollen. Die TäterInnen sind manchmal genau die, von denen man es erwartet: Die rassistischen facebook-HetzerInnen aus der Umgebung.