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Der NSU-Prozess

Einleitung

Zwischenstand aus München

Nach großer Aufregung an den ersten Verhandlungstagen schien das öffentliche Interesse an dem NSU-Prozess über die Sommermonate deutlich nachzulassen. Mitt­lerweile sind wesentliche Beweiserhebungen für die einzelnen Morde erfolgt. Mit der Vernehmung von Angehörigen der NSU-Mitglieder und zahlreicher Neonazizeugen hat das Interesse der Presse aber wieder stark zugenommen.

Prozessauftakt: Pressepannen und Druck auf die Nebenklage

Über den missglückten Prozessauftakt, die fehlerhafte Auswahl und Zulassung der Pressevertreter_innen sowie das ungeschickte Agieren des Gerichts gegenüber der Öffentlichkeit wurde bereits ausführlich berichtet. Wichtig ist allerdings, dass der vorsitzende Richter mit seinem zum Teil sturen Verhalten von Anfang an deutlich gemacht hat, dass er im Zweifel seine Entscheidungen durchdrückt, auch wenn dies in der Öffentlichkeit auf erhebliche Kritik stößt. Damit hat Richter Götzl ein Bild von sich geschaffen, das er immer wieder erfolgreich einsetzt. Als er beispielsweise unmittelbar nach der Verlesung der Anklageschrift fast beiläufig anmerkte, es käme eine Abtrennung des den Anschlag auf die Kölner Keupstraße betreffenden Anklageteils in Betracht, wenn sich weiterhin neue Nebenkläger_innen melden würden, hatte dies auf einen Teil der Nebenklagevertretung eine stark disziplinierende Wirkung. Allein mit dieser Drohung erreichte Götzl nicht nur, dass sich nur noch sehr wenige weitere Verletzte des Bombenanschlags dem Verfahren anschlossen, sondern auch dass die Nebenklagevertretung zeitweise in die Defensive bzw. unter Rechtfertigungsdruck geriet.

Aussagen der Angeklagten

Lediglich die Angeklagten Carsten Schultze und Holger Gerlach haben Angaben zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen gemacht und beide spielten ihre Rolle völlig herunter. Schultze war zum Tatzeitpunkt Heranwachsender. Gegen ihn wird nach einem vorliegenden psychiatrischen Gutachten Jugendrecht angewandt werden. Er hatte bereits frühzeitig Angaben gemacht. Allerdings gab Schultze bei seinen Vernehmungen gegenüber dem BKA und der BAW immer gerade so viel zu, wie man ihm aus anderen Ermittlungen vorhalten konnte. Schultze ist der wichtigste Zeuge für die Tatbeteiligung des Angeklagten Wohlleben. Er hat angegeben, eine Pistole mit Schalldämpfer in dessen Auftrag gekauft und später an das Trio weitergegeben zu haben. Der Ankauf dieser Waffe durch Schultze und Wohlleben wurde gegenüber der Polizei von dem Verkäufer, einem Mitarbeiter eines Neo­naziszeneladens angegeben. Schul­tze konnte diese Ceska bei erstaunlich dilettantisch durchgeführten Wahllichtbildvorlagen nicht identifizieren.

Auch wenn bisher der genaue Weg der Ceska von der Schweiz bis zum Ankauf durch Schultze und Wohlleben noch nicht bewiesen wurde, steht fest, dass ansonsten keine andere Waffe mit Schalldämpfer Verwendung fand. Klar ist, dass Schultze und Wohlleben eine Waffe mit Schalldämpfer weitergeleitet haben, und die ursprünglich in der Schweiz verkaufte Ceska nebst Schalldämpfer wurde im Brandschutt des Hauses in Zwickau gefunden. Eine Verurteilung Schultzes und Wohllebens dürfte damit sicher sein. Weil eine solche Waffe mit Schalldämpfer offensichtlich nicht zum Drohen, sondern für Mordanschläge Verwendung findet, dürfte auch der Vorsatz der beiden feststehen.

Trotz allem bleibt es das Ziel der Verteidigung Schultzes, unter Anwendung der so genannten Kronzeugenregelung möglichst eine Bewährungsstrafe zu erreichen. Dies dürfte nach der bisherigen Beweisaufnahme allerdings sehr schwierig werden, lässt aber die Erwartung zu, dass Schultze im Laufe des Prozesses noch weitere Angaben machen wird. Dass Schultze mehr weiß, als er bislang erzählt hat, wird deutlich, denn er konnte im Prozess nicht nur von einem Telefonat Wohllebens mit einem der beiden Uwes berichten, in dem diesem erzählt wurde, die Abgetauchten hätten jemanden angeschossen, sondern berichtete auch von einem weiteren Sprengstoffanschlag in Nürnberg. Dieser Anschlag auf eine kleine Kneipe mittels einer »Taschenlampenbombe« konnte verifiziert werden.

Holger Gerlach hat zugegeben, den »Dreien« Ausweispapiere zur Verfügung gestellt und eine Waffe überbracht zu haben. Allerdings hat er bislang lediglich schriftliche Erklärungen über seine Verteidiger abgeben lassen. Seine Aussage, er habe bei der Unterstützung der drei nicht mit erheblichen Straftaten gerechnet, ist unglaubwürdig. Allerdings braucht ihn die Anklage auch, weil er die Rolle Beate Zschäpes als gleichberechtigtes Mitglied beschrieben hat. Aus diesem Grunde wurde Gerlach während der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren offensichtlich mit Samthandschuhen angefasst, sein Schweigen in der Hauptverhandlung verhindert bislang, dass auf ihn größerer Druck ausgeübt wird.

Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und André Eminger verweigern die Aussage. Eine Verurteilung der drei wird nur auf der Basis von Indizien möglich sein, wobei die Aussagen Schultzes und Gerlachs für die beiden Erstgenannten ausreichen dürften.

Von allergrößter Bedeutung sind die Funde in der Brandruine des Hauses in der Frühlingsstraße in Zwickau. Hier wurde u.a. ein Computer mit dem fertigen Bekennervideo des NSU sowie Vorversionen gefunden, Ausspähnotizen zu den Tatorten der vorgeworfenen Straftaten, zahlreiche Waffen und Sprengstoff, die Handschellen, die der ermordeten Polizistin Kiesewetter und ihrem Kollegen abgenommen wurden, sowie Bekleidung mit Spuren von Tat­orten. Es wurde deutlich, dass Beate Zschäpe sich im Alltagsleben zwischen all diesen Beweismitteln bewegt hat und diese gesehen haben muss. Sie hat den Computer benutzt, auf dem das Bekennervideo bearbeitet wurde. Ob sie selbst an dem Machwerk mitgearbeitet hat, muss sich noch herausstellen. Die Beweisaufnahme hat auch ergeben, dass Zschäpe in der Wohnung Feuer gelegt hat. Sie verließ das Haus als der Brand ausbrach und es fanden sich Benzinspuren an ihren Socken. Ihre Rolle als gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe dürfte sich so beweisen lassen.

Am unklarsten ist bislang die Beweissituation bezüglich André Eminger. Zwar wurden auf dem Rechner in der Frühlingsstraße Daten gefunden, die ihm zugerechnet werden, bislang stand er aber nicht im Zentrum der Beweisaufnahme. Bis zum Ablauf der Beweisaufnahme dürfte sich dies allerdings noch ändern.

Am bedrückendsten verlief die Beweisaufnahme zu den einzelnen Morden. Schleppend und nur schwer zu ertragen war die Beweisaufnahme zur Todesursache, zur jeweiligen Auffindesituation und zum familiären Umfeld. Deutlich wurde, dass die Morde in praktisch allen Fällen kaltblütige Hinrichtungen waren. Die Mörder betraten die Tatorte und schossen sofort mehrfach auf den Kopf ihrer Opfer. Im übrigen bestätigte sich die Annahme, dass an allen Tatorten die Polizei hauptsächlich gegen das Umfeld der Opfer selbst ermittelte und eine rassistische Tatmotivation mit Nachdruck ausschloss.