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Celle: Kundgebung gegen Treffen der "Ritterkreuzträger"

Einleitung

Am Samstag, den 16. Oktober 1993 fand in Celle das Bundestreffen der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“ (OdR) vor dem Celler Schloß statt.

Foto: Faksimile Postkarte

Wolfram Kertz war Oberleutnant des Heeres, Führer 8. Kampfgruppe "Bruhn" im II. SS-Panzerkorps und später Oberst der Bundeswehr.

Die OdR ist ein militaristischer, die »Heldentaten« der faschistischen Wehrmacht bejubelnder, Verband. Logistische Unterstützung erhalten die »alten Kameraden« von der Bundeswehr: sie übernimmt den Transport der Nazi-»Helden« und spielt mit ihrer Kapelle zum Tanz auf. Die OrganisatorInnen der antifaschistischen Gegenkundgebung schreiben in ihrer Presseerklärung vom 20.10.93:

"An dem Protest gegen das Bundestreffen der Ritterkreuzträger vor dem Celler Schloß beteiligten sich am 16. Oktober 400-500 Personen. Viele PassantInnen äußerten großes Verständnis für unser Tun. Mitglieder des Celler Schloßtheaters trugen Rollenspiele und Sprechgesänge vor. Die Feier der Ordensträger ging weitgehend in Sprechchören und Trillerpfeifen unter. Wir möchten uns bei allen TeilnehmerInnen für ihre Zivilcourage bedanken. Durch die Mobilisierung und Informationsarbeit im Vorfeld und durch die Kundgebung und das Lärmen vor dem Schloß wurde den Ritterkreuzträger deutlich gezeigt, daß lange nicht alle Cellerlnnen solche Treffen dieser ewig Gestrigen kritiklos zulassen. Hervorheben möchten wir auch die oftmals engagierte und kritische Berichterstattung in verschiedenen Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, sowie in etlichen Zeitungen und Zeitschriften. Kritischen JournalistInnen hatte die Ordensgemeinschaft im Vorfeld »Laufbahnschwierigkeiten« prophezeit - für alte Opas, die nur ihr Bier trinken wollen, ein äußerst ungewöhnliches Verhalten. Unsere Einschätzung über die „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“ bestätigte sich. Etliche begrüßten sich freudig mit »Heil Hitler«, andere sahen sich wohl in die Zeit ihrer »Heldentaten« zurückversetzt als sie riefen: »Dieses rote Gesocks - da müßte man mit dem Maschinengewehr zwischenhalten.« Da trat diese „KZ-Mentalität“ hervor, die keine Achtung vor dem menschlichen Leben kennt. Zu den Klängen des Heeresmusikzuges 3 der Bundeswehr sangen die Ordensträger geschlossen die erste Strophe des »Deutschlandliedes« (»Von der Maas bis an die Memel«). Alle Ritterkreuzträger haben ihren Orden mit dem Hakenkreuz von Adolf Hitler persönlich verliehen bekommen. Sie sind darauf ungebrochen stolz, wie die Tage in Celle zeigten. Uns hat dabei vor allem die völlig kritiklose Unterstützung dieses Verbandes durch die Bundeswehr und die Verantwortlichen der Stadt erschreckt und empört. Die Polizei hat zum Schutz der Nazihelden fünf Hundertschaften (darunter ein Sondereinsatzkommando), eine Hundestaffel und zwei Wasserwerfer aufgefahren - ein völlig überzogener und entsprechend teurer Einsatz. Der Schloßpark war hermetisch abgeriegelt; die Innenstadt großräumig abgesperrt. Das Fliegen einiger Hühnereier nahm die Polizei zum Anlaß, die Demonstrantinnen auseinander zu treiben. Dabei wurde eine ältere Frau von der Polizei niedergeschlagen und überrannt. 19 Personen wurden vorläufig festgenommen, gegen die - so die Cellesche Zeitung - »wegen Landfriedensbruch« ermittelt werden soll. Als die Feier der »alten Kameraden« bereits beendet war, sie ihren Kranz wieder eingepackt hatten und die DemonstrantInnen sich langsam auf den Heimweg machten, schlug die Polizei erneut zu. Mit der völlig fadenscheinigen Begründung »Verhinderung weiterer Ausschreitungen« (wo hatte es welche gegeben?), kesselte sie auf der Stechbahn gut einhundert Personen ein. Dies gab einigen Polizeibeamten die Gelegenheit, vielfältige Schikanen auszuüben: Schubsen, an den Haaren ziehen, Arme ausrenken, beleidigen usw. Exakt 109 Personen mußten ihre Personalien abgeben. Ein Polizeikessel ist gesetzlich äußerst umstritten, aber so hatte die Polizei die Berechtigung für ihr massenhaftes Aufgebot selbst geschaffen."

Nachtrag:

Für die Presse erklärt Wolfram Kertz sinngemäß, daß sich lediglich ein paar alte Opas zum Bier treffen. Kritischen Journalisten kündigte er im Falle negativer Berichterstattung »Laufbahnschwierigkeiten« an. Im „Ritterkreuz" wird vom Bundesvorsitzenden Wolfram Kertz die Machtübertragung an die Nationalsozialisten als „2. Revolution" bezeichnet, als „unglaublicher Volksaufbruch", von dem die Menschen "eine Wende in Wirtschaft und Politik erhofften und im Glauben an ein besseres Leben und an die Befreiung von Kriegsschuld, Bürden und Lasten ein neues Deutschland erträumten". Dies war für ihn eine Reaktion auf den „unseligen Versailler Vertrag" und die „Besatzung der Siegermächte". Kertz weiter: „Was Wunder, daß auch uns der Zug der Zeit erfaßte, wir diskutierten in der Schule, zu Hause, in den Sälen und schrieen am Ende auf den Straßen ,Deutschland erwache'! (Wie sich die Zeiten gleichen, wenn uns heute der Ruf ,Wir sind das Volk' so ähnlich erklingt)." 1 .

In der Antwort der Bundesregierung auf eine "Kleine Anfrage" der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste2 ist zu erfahren:

- Zwischen der Bundeswehr und der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger e. V. (OdR), der neben einer Vielzahl von ehemaligen Soldaten der Bundeswehr auch eine Reihe von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehören, bestehen seit über drei Jahrzehnten kameradschaftliche Verbindungen. Hierzu zählen neben vielen regelmäßigen Kontakten auf örtlicher Ebene auch die Beteiligungen der Bundeswehr an allen bisherigen Bundestreffen der OdR. In den vergangenen drei Jahren fanden diese Bundestreffen in Bruchsal (1990), Koblenz (1991) und Arolsen (1992) statt.

- An dem diesjährigen Bundestreffen der OdR in Celle beteiligt sich die Bundeswehr durch die Ausrichtung eines Truppenbesuches beim Panzerbataillon 334 am 15. Oktober 1993 im Standort Scheuen sowie durch die Abstellung einer militärischen Ehrenformation zu der am 16. Oktober 1993 geplanten Gedenkfeier für die gefallenen und verstorbenen Soldaten.

- Das jährliche Bundestreffen der OdR, das in diesem Jahr zum 39. Mal ausgerichtet wird, dient der Pflege und Förderung der soldatischen Kameradschaft der in der Organisation zusammengeschlossenen Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes und der Begegnung ihrer Familien.

- Die Bundesregierung wertet die Beteiligung der Bundeswehr an der diesjährigen Veranstaltung der OdR in Celle wie auch die Teilnahme an allen bisherigen Bundestreffen als Zeichen der kameradschaftlichen Verbundenheit mit den ehemaligen Soldaten und ihren Familien. Derartige Begegnungen sind Ausdruck eines gelebten Traditionsverständnisses.

  • 1Ritterkreuz, 1/90, S. 4
  • 2Drucksache 12/5770, Treffen der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger e. V." vom 14. bis 16. Oktober 1993 in Celle und die Beteiligung der Bundeswehr