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Berlin: Repression nach antifaschistischer Fahrradtour

Berliner Bündnisses gegen Rechts (Gastbeitrag)
Einleitung

Als Sara* mit ihren Freund*innen ins nicht EU-Ausland fliegen will, wird sie an der Passkontrolle intensiv befragt und kontrolliert. Ihre kleine Reisegruppe muss lange warten, mit Glück erreichen sie noch rechtzeitig ihr Flugzeug. Gerald* will einen Freund im Bundestag besuchen. Security-­Beamte kontrollieren seinen Ausweis und wollen ihn nicht hineinlassen. Die Situation ist angespannt, weil Gerald sich nicht abweisen lassen will. Erst der hinzugerufene Freund kann die Situation deeskalieren. Er darf Gerald mit in sein Büro nehmen. Naemi* ist ehrenamtliche Kampfrichterin. Ihre Bewerbung auf Teilnahme an einem internationalen Sportwettkampf wird ohne Begründung abgelehnt. Dies sind drei Beispiele für die Erfahrungen von 34 Antifaschist*innen, die am 17. August 2017 an einer Fahrradtour teilgenommen haben, um zu den Protesten gegen den Neonaziaufmarsch zum Todestag von dem Nazi-Kriegsverbrecher Rudolf Heß nach Berlin Spandau zu fahren.

Die Fahrradtour an diesem Tag endete nach ein paar hundert Metern in einem Polizeikessel. Es hieß, ein AfD-Stand sei umgekippt worden und es sei zu Auseinandersetzungen gekommen. Personalien wurden aufgenommen, Kleidung durchsucht, Antifa-Sticker und Kartenmaterial beschlagnahmt und Fotografien der Fahrradfahrer*innen angefertigt. Erst zwei Stunden später konnte die Fahrt nach Spandau fortgesetzt werden. Erst fast zwei Jahre später erfuhr eine betroffene Person zufällig über ein Auskunftsersuchen1 beim Bundeszentralregister, dass gegen sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit besonders schwerem Landfriedensbruch ermittelt wird.

Durch Recherchen konnte aufgedeckt werden, dass sich eine LKA-Beamtin am Vorabtreffpunkt für die Fahrradtour an der Technischen Universität Berlin einfand, sich dort als Antifaschistin ausgab und sich Kartenmaterial aushändigen ließ, um die Route nach Spandau an die Einsatzzentrale durchzugeben. Ein weiteres Polizeiteam war im Umfeld in zivil mit dem Auto unterwegs. In der Nähe hatten sich mehrere uniformierte Einheiten in ihren Mannschaftswagen postiert. Es ist davon auszugehen, dass von Anfang an geplant war, die Fahrradtour nicht unbehelligt nach Spandau fahren zu lassen.

Bekannt wurde auch, dass ein an diesem Tag vom AfD-Bezirksverband Charlottenburg an der Otto-­Suhr-Allee aufgebauter Stand durch einen Polizeibeamten in zivil beschützt wurde. Ebenfalls bekannt ist, dass es eine Auseinandersetzung zwischen einer Handvoll Fahrradfahrer*innen und Anwesenden des AfD-Standes gab, im Zuge derer der Stand umkippte und Flyer auf den Boden fielen. Ein Zivilpolizist gab an, einen Mann geschlagen zu haben, der versucht haben soll, ihn am Filmen zu hindern. Ein AfD-­Standbetreuer gab zu, ebenfalls Menschen geschlagen und im Schwitzkasten gehabt zu haben. Die Situation dauerte weniger als eine Minute. Kurz darauf baute die AfD den Stand wieder auf. Alle Radfahrer*innen, die sich zu dieser Zeit auf dem Teilstück der Otto-Suhr-Allee befanden, mussten polizeiliche Maßnahmen wie Identitätsfeststellung, Durchsuchung und Fotografiert werden über sich ergehen lassen. Ein Fahrradfahrer wurde von gewalttätigen Zivil­beamten vom Rad geholt und erlitt dabei Verletzungen.

Folge der oben beschriebenen Situation waren polizeiliche Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 StGB. In Anbetracht der Tatsache, dass die Fahrradtour öffentlich mit dem Ziel beworben wurde, eine angemeldete Kundgebung gegen einen Aufmarsch von Neonazis gemeinsam zu erreichen, erscheinen derartige Ermittlungen juristisch vollkommen absurd. Denn damit würde der Gruppe der Fahrradfahrer*innen unterstellt werden, eine Vereinigung mit dem Ziel gegründet oder sich an ihr beteiligt zu haben, um gemeinsam Straftaten zu begehen.

Der Paragraph 129 StGB bietet den Behörden jedoch die Möglichkeit, linke Aktivist*innen mit weitreichenden polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen wie Observationen, Telefon- und Internetüberwachungen auszuspionieren. Ebenso wie Paragraph 129b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland), der häufig gegen die kurdische Linke angewendet wird, um solidarische Strukturen zu durchleuchten, gehören diese Paragraphen seit vielen Jahrzehnten zum Standardrepertoire der Repressionsorgane, um linke und solidarische Strukturen auszuforschen, Menschen zu verunsichern und von ihrer politischen Arbeit abzuhalten.

Da Polizei und Staatsanwaltschaft nicht dazu verpflichtet sind, die Betroffenen über Ermittlungsverfahren gegen sie zu unterrichten, ist es der hartnäckigen Recherche der Fahrradfahrer*innen zu verdanken, dass sie von den Ermittlungen gegen sich erfahren haben. Sie haben Auskunftsersuchen gestellt, Rechtsanwält*innen engagiert, Abgeordnete eingeschaltet und Journalist*innen informiert. Durch eine kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ im Berliner Abgeordnetenhaus haben sie erfahren, dass die Ermittlungsverfahren gegen sie nach mehr als zweieinhalb Jahren immer noch nicht eingestellt worden sind2 .

Durch die Anfrage kam auch heraus, dass das Berliner LKA und die politische Staatsanwaltschaft dafür gesorgt haben, dass alle Betroffenen inzwischen im polizeilichen Informationssystem des Bundeskriminalamts mit dem Vermerk “Politisch Motivierte Kriminalität – links” geführt werden. Dieser Vermerk erscheint immer, wenn Personalien von Aktivist*innen irgendwo kontrolliert werden. Der angegebene Grund: Paragraph 129 - Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die oben aufgeführten Beispiele zeigen, dass solche laufenden Ermittlungsverfahren, von denen die Betroffenen nicht einmal unterrichtet werden, massive Auswirkungen auf deren Lebensführung haben können. Denn was ihnen durch diesen Eintrag verwehrt oder genehmigt wird und wohin sie reisen dürfen oder eben nicht, ist nunmehr bei allen behördlichen Kontrollen von der persönlichen Einschätzung die jeweiligen Beamt*innen abhängig. Von Rechtsanwält*innen haben die Betroffenen zudem erfahren, dass bisher nicht aktiv gegen sie ermittelt wird. Die Verfahren werden in der Schwebe gehalten, obwohl die Einstellungen absehbar sind. Das Ziel der Behörden liegt auf der Hand: Die Aktivist*innen sollen verunsichert und durch das laufende Ermittlungsverfahren davon abgeschreckt werden, sich an künftigen Protesten gegen Neonaziaufmärsche zu beteiligen.

Doch die Betroffenen lassen sich nicht einschüchtern. Sie haben sich zusammengeschlossen, informieren sich über den Stand der Ermittlungen und suchen die Öffentlichkeit, um Druck auf die Repressionsorgane zu erzeugen. Auch nach einer Einstellung der Ermittlungen müssen die Betroffenen noch dafür sorgen, dass ihre Namen aus dem Register „Politische Gewalttäter – links“ gestrichen werden. Denn das geschieht nicht automatisch, sondern muss einzeln beantragt werden.

Die Kriminalisierung antifaschistischer Proteste gegen Neonaziaufmärsche ist nur einer von unzähligen Versuchen, antifaschistisches Engagement zu diskreditieren. Dass sich in Zeiten des Rechtsrucks daran nicht nur AfD und Konservative beteiligen, sondern vielfach auch staatliche Verantwortungsträger*innen, wissen wir nicht erst seit Hans-Georg Maaßen. Berlins damaliger Innensenator Geisel (SPD) hatte vor dem Neonaziaufmarsch der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass auch für Neonazis die Meinungsfreiheit gelte und der Senat den Aufmarsch deshalb nicht verbieten werde. Berlin ist damit der einzige Ort, an dem ein Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß nach 12-jähriger Pause wieder möglich war. Überall sonst wäre der Aufmarsch untersagt worden. Dafür hatten die Proteste der 1990er und 2000er Jahre im bayerischen Wunsiedel und die Bestätigung des Verbots durch das Bundesverfassungsgericht 2009 gesorgt.

Die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen“ schrieb Ende 2018 in ihrer Auswertung des Aufmarsches von 2017, man sei zu dem Schluss gekommen, dass auch das Nicht-­Laufen (die Neonaziroute musste aufgrund von Blockaden stark verkürzt werden) der Neonazis vor allem politisch gewollt war. So konnte sich der Berliner rot-rot-grüne Senat damit rühmen, dass die Zivilgesellschaft für ein “buntes, tolerantes” Berlin auf die Straße gegangen sei. Das hatte zur Folge, dass Antifaschismus im Gegenzug zwar toleriert wurde, sich aber in bestimmten Bahnen zu bewegen hatte. Alles, was von dieser Doktrin abwich, wurde mit Polizeigewalt und Strafverfahren überzogen.

Im Folgejahr war die Situation eine andere: Es gelang nicht gegen den politischen Willen der Behörden den Aufmarsch zu stoppen. Im Aufruf hieß es dazu: “Wir wollen keinen auf Konsum ausgerichteten Protest. Jed*er sollte sich mit seinen*ihren Leuten Gedanken machen, wie er*sie an diesem Tag aktiv werden kann. Man werde sich in seinem Handeln nicht von Entscheidungen des Senats oder der Polizei abhängig machen und wolle an Aktionsformen anschließen, welche ein würdevolles Agieren jenseits der polizeilich „gegönnten Rahmenbedingungen“ ermöglichen, wobei sich vielfältige Protestformen ergänzen können."