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Alte Konflikte, neue Probleme

Maik Fielitz
Einleitung

Ende Mai zog die neonazistische griechische Partei Chrysi Avgi (Χρυσή Αυγή) erstmalig in das Europäische Parlament in Brüssel ein und entsandte drei Abgeordnete, die wenig mit dem prototypischen Bild einer Neonaziorganisation gemein haben. Vor dem Hintergrund der Etablierung im politischen Mainstream und der anstehenden Prozesse gegen 76 Mitglieder versucht sich Chrysi Avgi ein neues Image zuzulegen und befindet sich in dem Dilemma extrem rechter Parteien, die zwischen ihren militanten Wurzeln und realpolitischer Neuausrichtung wählen müssen. Bisher gelang ihr dieser Balanceakt überraschend gut, die Entwicklungen um die Europawahl offenbaren jedoch Konfliktpotential.

Foto: www.xryshaygh.com / www.europarl.gr

Im Juni traten die Abgeordneten der Goldenen Morgenröte in die Gruppe der fraktionslosen Abgeordneten im Europaparlament ein, v.l.n.r. Lambros Foundoulis, Georgios Epitidios, Eleftherios Synadinos

Das Jahr 2014 begann schlecht für Chrysi Avgi (Χρυσή Αυγή). Nicht nur, dass die Partei aufgrund der ausbleibenden staatlichen Finan­­zie­rung1  zunehmend rote Zahlen schrieb und die Infrastruktur ohne die inhaftierte Parteiführung brachliegt, sondern auch der allmählich nachlassende Zusammenhalt angesichts der repressiven Maßnahmen machte ihr zu schaffen. So traten im März zwei Abgeordnete von ihrem Mandat zurück, weil sie — angeklagt wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung — plötzlich deren „verbrecherische Tätigkeit“ erkannt hätten.

Obwohl sich viele eine Kettenreaktion erhofften, kann eher im Gegenteil eine allgemeine Stabilisierung und Diversifizierung der Unterstützerkreise beobachtet werden. Mit Blick auf die Kandidatenliste zur Europawahl im Mai 2014 zeichnet sich zum Beispiel ein stark integrativer Trend ab, der bür­gerliche Kreise mit ins Boot holt und der Partei ein heterogenes Image verpasst. Nur eine knappe Mehrheit der 42 AnwärterInnen war Mitglied der Chrysi Avgi oder einer der ihr angegliederten Organisationen und Zeit­schrif­ten.
Ein Großteil derer, die sich auf die Liste der Chrysi Avgi setzten, sticht durch einen aka­demischen Hintergrund hervor: Ärzte, Anwälte, Wirtschaftswissenschaftler und Professoren — viele mit einer internationalen Vita.

Neues Terrain, angepasste Rhetorik

Das Rennen machten schließlich zwei ranghohe Generäle, von denen einer dem Militärstab der Europäischen Union diente und der andere die Spezialeinheiten der griechischen Armee, die traditionell ein enges Verhältnis zur Chrysi Avgi haben, ausbildete. Sie werden begleitet von Lambros Foundoulis, dem Vater eines im November 2013 erschossenen Mitglieds der Chrysi Avgi. Dieser untersagte es anfangs noch, dass sein Sohn als Märtyrer in die Parteigeschichte eingeht. Nun setzt er sich im Namen des Sohnes für die Freilassung „unseres [Partei-]Führers Nikolaos Michaloliakos“ auf europäischem Parkett ein, der seit September 2013 in Untersuchungshaft sitzt.2  Eine der ersten Aktionen der neuen Europaabgeordneten war die Entsendung eines Rundbriefs an die neuen Kolleginnen und Kollegen, in dem über die „Verschwörung“ gegen die Partei in Griechenland ‚informiert‘ wurde. Das Vorgehen gegen Chrysi Avgi sei antidemokratisch und korrupt, weshalb man sich auch schon an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt habe. Sie bitten daher die internationale Gemeinschaft um Unterstützung, ihren Kampf gegen „das Verbrechen, das zu Lasten der Demokratie und des [griechischen] Volkes“ von der Regierung verübt werde, auszuweiten.3

Sieht man genauer hin, dürften hinter solchen Imagekampagnen ideologisch gefestigtere Mitglieder den Ton angeben. So ziehen die beiden Militanten Konstantinos Boviatsos, der beste Kontakte nach Italien zur Casa Pound hat, und Alexandros Lyris, der vor kurzem erst durch den Angriff auf einen Polizisten Schlagzeilen machte, als Assistenten nach Brüssel. Neben diesen beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern stellten die Generäle gleich noch ihre beiden Töchter ein, womit sie einem innerparteilichen Trend folgen, engen Verwandten gerne mal zentrale Positionen in der Parteihierarchie zuzuschieben. Eine von vielen Praktiken, die von griechischen Neonazis heftig kritisiert wird.

Auf Distanz

Denn obwohl die internationale Szene unumstößlich an der Chrysi Avgi festhält (vgl. AIB Nr. 103), wenden sich griechische Neonazis seit längerer Zeit vom Weg in den politischen Mainstream ab. Dieser Konflikt geht bereits auf einen Richtungsstreit Anfang der 1990er Jahre zurück, wo sich Chrysi Avgi erstmals als Partei zur Wahl aufstellen ließ und sich Militante zunehmend distanzierten. Heute gilt die damalige Nummer Zwei der Parteihierarchie, Antonis Androtsopoulos, als Idol der ‚autonomen Nationalisten‘ und subkulturell orientierten Neonazigruppen. Besser unter dem Namen ‚Periandros‘ bekannt, wurde er 2006 nach acht Jahren im Untergrund zu 21 Jahren Haft wegen eines Angriffs auf den Studenten Dimitris Kousouris verurteilt. Nachdem Chrysi Avgi auf Distanz zu ihm ging, wandte er sich gegen sie und drohte ihr jüngst, dass sich die Partei auflösen könne, sobald er den Mund aufmacht.4

Im Zentrum der Kritik stehen Vetternwirtschaft und innerparteiliche Korruption, Machtorientierung (anstatt ideologischer Verbundenheit) und nicht zuletzt die Verbindung zu finanzkräftigen Unterstützern, die die Aktivitäten der Partei nach Ansicht organisierter Neonazis eher in mafiöse Strukturen lenkten und den ideologischen Kampf vernachlässigten. Die anti-systemische Rhetorik der Chrysi Avgi wird so als Maskerade enttarnt und die jüngsten Distanzierungen von militanten Aktionen sowie vom Nationalsozialismus werden als Verrat an der Bewegung verstanden.

Einen weiteren Konfliktpunkt stellt die unumstößliche Unterstützung für Putin und Russland im Konflikt mit der Ukraine dar. Während Russland als natürlicher Verbündeter angesehen wird, werden die extrem rechten ukrainischen Gruppen von Chrysi Avgi als ‚vom CIA finanzierte Provokateure‘ denunziert, die dem Zionismus und US-Imperialismus dienen würden. Hinter dieser Haltung versteckt sich die Vorstellung einer ‚geopolitischen Wende‘, die eine Abkehr vom Westen und eine Hinwendung zu eurasischen Großraumvorstellungen impliziert. Diese Realpolitik stößt vielen militanten Neonazis in Griechenland auf, die vielmehr Inspiration im bewaffneten Kampf für die „weiße Rasse“ finden als in hypothetischen Machtspielchen.

Im Falle des Falles…

Die jüngsten Entwicklungen sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Möglichkeit eines militanten Backlashs gegeben ist. Nicht nur, dass der Parteivorsitzende Michaloliakos drohte, dass „sie“ die „Tore zur Hölle öffnen“ würden, wenn die Chrysi Avgi als kriminelle Organisation verboten werden würde,5   auch gewisse Codes aus der Neonaziszene weisen auf potentielle Praktiken im Einklang mit gängigen Bürgerkriegsphantasien hin.6  So betitelte Chrysi Avgi am 28. Dezember 2013 einen ihrer ideologischen Texte mit der lateinischen Phrase ‚Sic Semper Tyrannis‘ (im übertragenen Sinn: Tod den Tyrannen). Mit diesem Schriftzug auf dem T-Shirt führte der in der militanten Neonaziszene verehrte Timothy McVeigh 1995 einen Sprengstoffanschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City  aus, bei dem 168 Menschen starben. Die Verbindung zu der Tat wäre sicherlich weit hergeholt, wenn Chrysi Avgi nicht Anfang der 2000er das Standardwerk der Neonaziszene „Turner Diaries“, welches McVeigh maßgeblich beeinflusste, auf Griechisch übersetzt hätte.

Es verdeutlichen sich somit ambivalente Dimensionen im Auftreten, deren Diskurse sich einerseits über Insider-Codes und andererseits über einen aggressiven Populismus artikulieren. Mit der Gewissheit, sich im bürgerlichen Mainstream verfestigt zu haben, kämpft der ideologische Parteikern nun wieder vermehrt darum, den Anschluss an alte Seilschaften zurückzugewinnen.