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Mäander in Bewegung

Maik Fielitz
Einleitung

Die griechische Χρυσή Αυγή / Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) ist grenzübergreifend zum Aushängeschild der neonazistisch inspirierten, extremen Rechten geworden. Mit hegemonialem Anspruch setzt sie neue Strategien und Konzepte durch und erntet breite Unterstützung in Europa. Dieser Text widmet sich ihrem Einfluss auf (sub-)kulturelle Vereinigungs- und Radikalisierungstendenzen innerhalb der europäischen extremen Rechten und zeichnet geschichtliche Kontinuitäten in einem sich wandelnden Spektrum nach.

Foto: Andrea Ronchini © 2014 Demotix, all rights reserved

V.l.n.r: Die Neonazi-Politker Roberto Fiore (Forza Nuova/Italien), Antonis Gregos (Chrysi Avgi/Griechenland) und Nick Griffin (BNP/England) bei dem Neonazi-Kongress „Europa erwacht““ am 1. März 2014 in Rom.

Es ist kaum mehr überraschend, den hakenkreuzähnlichen Mäander — das Parteisymbol der Chrysi Avgi — bei Kundgebungen und Demonstrationen, in Fußballstadien, auf Konzerten oder der Kleidung von Neonazis und faschistischen Gruppen in ganz Europa (und teils auch darüber hinaus) wiederzufinden. Griechische Nationalfahnen werden gehisst, um Anteilnahme am Erfolg der Chrysi Avgi zu nehmen und die Partei gegen staatliche Repression und antifaschistische Interventionen ideologisch, finanziell und materiell zu unterstützen. Für sie steht fest: „Golden Dawn is Greece!“1

„Ein neues Europa“

Der Bezug zur Chrysi Avgi baut auf deren kontinuierlich transnationale Ausrichtung auf. Bereits kurz nach ihrer Gründung als neonazistische Szenezeitschrift 1983 nahm man Kontakt zu europäischen Faschisten und (Alt-)Nazinetzwerken wie dem spanischen CEDADE aber auch rechtsterroristischen Gruppen wie der Afrikaner Weerstandsbeweging in Südafrika auf. Persönliche Kontakte zentraler Akteure nach Italien und Russland weiteten dieses Netz aus, wobei sich dessen Ausgestaltung ständig änderte.

Dabei stellte sich Chrysi Avgi in die Tradition „des deutschen Nationalsozialismus und des neuen Europas der Waffen-SS“, das „ein leuchtendes Beispiel in einer dunklen Epoche“2 gewesen sei. Ausdruck dessen war die Organisation im internationalen Nazi-Netzwerk NSDAP-AO sowie die Teilnahme an den jährlich stattfindenden Waffen-SS-„Heldengedenken“3 in Budapest  oder den Demonstrationen in Dresden. Auch spielt der Mythos um Rudolf Hess eine zentrale Rolle: So nehmen griechische Neonazis fälschlicherweise an, dass Hess eine griechische Mutter gehabt hätte.4 Die Adaption jeder Art von Nazi-Kitsch und die ideologische Durchsetzung in Griechenland verschaffte ihr ein authentisches Ansehen in der internationalen Szene.

Dieses wurde gerade auch durch subkulturelle Aktivitäten ausgeweitet. So gründete sich 1999 mit finanzieller Unterstützung der Partei die griechische Sektion des Blood & Honour-Netzwerks.5 Weiterhin kommt ein großer Teil des griechischen NS Black Metal Spektrums aus den Reihen der Chrysi Avgi.6 Ähnliches galt für die durch die heutigen Abgeordneten Ilias Panagiotaros und Antonis Gregos geleitete Hooligangruppe der Nationalmannschaft Γαλαζια Στρατια / Galazia Stratia (Blaue Armee), die eng mit den Fans von Lazio Rom kollaborierte und durch pogromartige Überfälle Ansehen erlangte.7 Die tiefen Bindungen zur neonazistischen Musik- und Hooliganszene Europas ermöglichen es, internationale Beziehungen aufrechtzuerhalten und gemeinsame Diskurse herauszubilden.

Mit der Entscheidung, sich parlamentarisch aufzustellen, konzentrierte sich Chrysi Avgi in den 2000ern mehr auf europäische Parteibündnisse wie die European National Front. In Anlehnung an das deutsche „Fest der Völker“ organisierte Chrysi Avgi aber auch internationale Musikfestivals, wo Politik und Subkultur als Einheit auftreten. Erst jüngst erschien auf dem deutschen Label PC Records ein Sampler, dessen Titel allmählich zum Bekenntnis extrem rechter Gruppen geworden ist: „I stand with Golden Dawn“.8

Vorbild und Schrittmacher Chrysi Avgi

Zu einer Zeit, in der die extreme Rechte in Europa inneren Spaltungen ausgesetzt war/ist und sich der Trend zu kleinen, geschlossenen Gruppen allmählich durchsetzt, wirkt der Aufstieg der Chrysi Avgi — eine zentral organisierte, nicht vor NS-Referenzen oder Gewalt zurückschreckende Partei mit einem starken Fokus auf außerparlamentarische Massen­mobilisie­rung — katalysierend. Die Verbindung von Straßenkampf und parlamentarischer Vertretung  bei gleichzeitig erhöhter Wahrnehmung durch Medien und Politik — verbreitete durch die Erschließung neuer Wählerkreise Euphorie in ganz Europa.

Mit Aussicht auf ähnliche Erfolge kopieren verschiedenste Gruppen die Strategie der Chrysi Avgi. Essensausgaben nach „ethnischen Kriterien“ finden nun auch in Spanien durch die neonazistische MSR oder in Italien unter der Ägide des langjährigen faschistischen Partners Forza Nuova statt.9 Aber auch auf Namen und Symbole scheint es kein Copyright zu geben. In Ungarn, Italien und England gründeten sich mehrere Parteien, die sich in ihrer Namensgebung und/oder Symbolik direkt an Chrysi Avgi orientieren.10

Besonderen Eindruck macht allerdings das Straßenbild der Chrysi Avgi. Militärische Organisation, einstudierte Rituale, eindeutige Symboliken und aggressiver Habitus imponieren über die Ländergrenzen hinweg. Die zentrale „Imia“-Demonstration im Februar avanciert daher seit Jahren zu einer der größten Neonazidemonstrationen und gleichzeitig Koordinierungsgelegenheit für die extreme Rechte Europas. Nicht umsonst verteilen internationale Foren Einladungen zu diesem Event und kommen zu dem Schluss: „The heart of the White world beats in Athens“.11

Von der Szene für die Szene...

­Mit der Verhaftung der Parteispitze im September 2013 und der Erschießung zweier Mitglieder im November 2013 ist der „Mythos Chrysi Avgi“ international nur noch weiter gewachsen. Die in Untersuchungshaft Sitzenden werden als politische Gefangene und die Gefallenen als Märtyrer der (transnationalen) Bewegung verehrt.12 In mindestens 30 Ländern fanden Solidaritätsaktionen statt, die eine neue Verbundenheit untereinander ausdrückten. Selbst in Ländern wie Mexiko, Kolumbien und Ecuador fühlten sich Neonazis von den Ereignissen angesprochen. Anhand dieser nationalistischen Solidaritätswelle verdeutlicht sich nicht nur die zentrale Stellung der Chrysi Avgi in internationalen Neonazi-Netzwerken, sondern auch ihre hegemoniale Position, Gruppen im Ausland in der Ausrichtung zu beeinflussen und transnationale Handlungs- und Aktionsfelder auszubilden, was wiederum forcierend auf nationale Kontexte zurückwirkt.

Es ist auffällig, wie schnell sich die Nachrichten rund um Chrysi Avgi verbreiten — und wie schnell international auf Ereignisse reagiert wird. Dabei helfen verschiedene Foren und Kanäle. So betreiben Sympathisant_innen der Chrysi Avgi einen englisch-sprachigen „Newsroom“, der aktuelle Entwicklung für ein internationales Publikum zugänglich macht. Ebenso tauschen sich Neonazi-Aktivist_innen über Online-Foren über den aktuellen Stand der Dinge aus. Eine besondere Stellung nimmt das Portal stormfront.org ein, aus dessen griechischer Sektion sich die erste sogenannte „Auslandszelle“ der Chrysi Avgi in New York gründete. Jene versucht sowohl die Diaspora als auch Neonazis aus den USA über Podcasts, direkte Aktionen und Vernetzungsaktivitäten, an Chrysi Avgi zu binden. Seit einigen Monaten bietet nun auch der sogenannte „Freundeskreis Golden Dawn“  um Matthias Fischer vom „Freien Netz Süd“ / „Dritten Weg“ regelmäßige Updates über die Lage, organisiert Spenden und versucht so den Zusammenhalt der europäischen Neonazis zu stärken.

Ausblick

Als Chrysi Avgi während einer Serie von rassistischen Übergriffen im Juni 2012 ins nationale Parlament einzog, sah dann auch der Vorsitzende Nikolaos Michaloliakos eine weitere Vision des Erfolges: „Das Europa der Nationen ist zurück. Griechenland ist nur der Beginn.“13 Der Einzug ins Europaparlament wird die gegenseitige Unterstützung wohl noch weiter vorantreiben, obwohl (oder gerade weil) fast alle Partnerparteien schlecht abschnitten. Der Aufstieg der Chrysi Avgi hat erheblich dazu beigetragen, dass extrem rechte Interessen breiteren Widerhall finden. Mehr und mehr stellte sich aber auch die polarisierende Wirkung der Chrysi Avgi auf die extreme Rechte Europas heraus. Spektrenübergreifend sah sich so gut wie jede extrem rechte Partei veranlasst, sich für oder gegen die Partei zu positionieren.14 Dies verdeutlicht die Konturen einer extremen Rechten, die immer mehr als transnationale Bewegung auftritt.