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Neue italienische Rechtsaußenregierung

Einleitung

Welche Politik ist von der italienischen Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Chefin der extrem rechten Partei Fratelli d’Italia, zu erwarten? Personalentscheidungen sowie erste politische Schritte der Regierung geben Hinweise.

Bild: Screenshot La Repubblica

Der italienische Vizeminister für Transport und Infrastruktur Galeazzo Bignami mit Hakenkreuzarmbinde auf einem Junggesellenabschied im Jahr 2005.

Falls jemand noch Zweifel gehabt haben sollte, wo die Prioritäten der neuen italienischen Rechtsaußenregierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Chefin der Fratelli d’Italia (FdI, Brüder Italiens), liegen: Am letzten Oktoberwochenende 2022 hat die Regierung, kaum eine Woche im Amt, jeglichen Zweifel ausgeräumt. Mit großem Aufwand, unter Einsatz vieler hundert Polizist_innen, begleitet von weiträumigen Straßensperren, löste sie im norditalienischen Modena eine nicht genehmigte Rave-Party mit gut 3.500 Feiernden auf: Ordnung muss sein. Am selben Wochenende marschierten in Predappio in der Region Emilia-Romagna rund 2.000 AnhängerInnen des italienischen Faschistenführers Benito Mussolini zum hundertsten Jahrestag von dessen Marsch auf Rom auf, trugen dabei die klassischen Schwarzhemden der Faschisten, riefen faschistische Parolen und zelebrierten den Saluto Romano, den Römischen Gruß. Nein, das ist in Italien nicht erlaubt. Sollte man das Event also auflösen wie die Rave-Party in Modena? Nun – die Regierung von Georgia Meloni dachte nicht daran.

Nach außen sucht Meloni ihre Regierung wie auch ihre Partei als geläutert, als nicht mehr faschistisch, sondern nur noch konservativ darzustellen. Hat sie recht? Nun, was die Politik ihrer Regierung angeht – bereits ihre rassistische Flüchtlingsabwehr, ihr aggressives Vorgehen gegen Seenotretter sprechen eigentlich eine deutliche Sprache. Allerdings ist beinharte Flüchtlingsabwehr in Italien und anderswo in der EU kein Alleinstellungsmerkmal der extremen Rechten; die Regierung Meloni hat vieles von den Vorgängerregierungen übernommen, zumal von derjenigen, in der Matteo Salvini, Chef der Lega, als Innenminister amtierte und besonders das Vorgehen gegen Seenotretter auf die Spitze trieb. Salvini ist in der neuen Regierung Minister für Transport und Infrastruktur; er hat damit die Aufsicht über Italiens Häfen und die Küstenwache inne. Über welche Möglichkeiten er damit in Sachen Flüchtlingsabwehr verfügt, liegt auf der Hand.

Recht klare Aussagen ergeben sich daraus, wer so alles in der Regierung Meloni wichtige Posten erhält. Schlagzeilen gab es, als Galeazzo Bignami (FdI) zum Vizeminister für Transport und Infrastruktur ernannt wurde, also zu Salvinis Stellvertreter. Bignami kommt, wie Meloni, aus der faschistischen Traditionspartei Movimento Sociale Italiano (MSI), aus der er, gleichfalls wie Meloni, 1995 zu deren Nachfolgepartei Alleanza Nazionale (AN) wechselte, 2009 zu Berlusconis Popolo della Libertà (PdL), später zu den FdI. 2005 ließ er sich im traditionellen Schwarzhemd mit Hakenkreuzbinde fotografieren. Den Sturm im Wasserglas, den es deshalb kurz nach seiner Ernennung zu Salvinis Vize gab, hat er ohne größere Schwierigkeiten überstanden. Heute empfinde er über das Foto – angeblich ein Scherz auf einem Junggesellenabschied – „tiefe Scham“, erklärte er; mehr war nicht nötig.

Ärger bekommen hat kurzzeitig auch Claudio Durigon (Lega). Durigon hatte es schon in der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium gebracht, musste den Posten dann aber im September 2021 räumen: Er hatte sich dafür ausgesprochen, einen Park in der Stadt Latina südöstlich von Rom, die 1932 von Mussolini gegründet worden war, in Parco Arnaldo Mussolini rückzubenennen. Der Park hatte den Namen von Benitos Bruder – auch er war ein begeisterter Faschist – von 1932 bis 2017 getragen, war dann aber in Piazza Falcone Borsellino umgetauft worden, in Erinnerung an zwei bekannte Mafia-Opfer. In der Regierung Meloni ist der positive Bezug auf Arnaldo Mussolini kein Ausschlusskriterium: Durigon wirkt jetzt als Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium.

Und dann wäre da noch Ignazio La Russa, Sohn von Antonino La Russa, einem Funktionär des Partito Nazionale Fascista (PNF) von Benito Mussolini in den 1930er und 1940er Jahren, in dessen Fußstapfen sich Ignazio begab. Ignazios Parteikarriere verlief parallel zu derjenigen von Meloni und Bignami – vom MSI über die AN und Berlusconis PdL zu den FdI, die er Ende 2012 gemeinsam mit Meloni gründete. Als im Jahr 2003 AN-Chef Gianfranco Fini eine Reise nach Israel unternahm und den Faschismus das „absolute Böse“ nannte, schwieg La Russa zu der Aussage seines damaligen Parteichefs, um später zu bekräftigen: „Ich würde nie sagen, dass er das absolute Böse ist. Im Faschismus hat es viele Lichtblicke gegeben.“ Alles kein Problem: Während der dritten Amtszeit von Silvio Berlusconi als Ministerpräsident, von 2008 bis 2011, hatte La Russa das Amt des Verteidigungsministers inne und vertrat Italien auf EU- und NATO-Treffen. Von März 2018 bis Oktober 2022 war er als Vizepräsident des Senats tätig; von der neuen Mehrheit nach den Wahlen wurde er zum Senatspräsidenten hochgestuft.

Melonis Regierung mag ein echtes Gruselkabinett sein; sie ist aber keins, das aus haltlosen faschistischen FanatikerInnen besteht. Insbesondere die Posten, die größere Außenwirkung haben, hat sie sorgfältig mit gut vernetzten Realpolitikern besetzt. Außenminister ist mit Antonio Tajani ein ehemaliger EU-Kommissar (2008 bis 2014) bzw. Präsident des Europaparlaments (2017 bis 2019) geworden.

Das muss freilich nichts heißen: Tajani, der Berlusconis Forza Italia (FI) angehört, hat während seiner Amtszeit als Europaparlamentspräsident geäußert, Mussolini sei zwar „kein Meister der Demokratie“ gewesen, doch habe er – daran bestehe kein Zweifel – auch „Gutes getan“. Die FI gehört der Europäischen Volkspartei (EVP) an, deren Parteichef Manfred Weber (CSU) im italienischen Wahlkampf recht aktiv für sie warb.

Verteidigungsminister wiederum ist mit Guido Crosetto ein Unternehmer, der aus der FI kam, 2008 dann zum PdL wechselte und 2012 mit Meloni und La Russa die FdI gründete. Von 2008 bis 2011 als Staatssekretär im Verteidigungsministerium tätig – unter Minister La Russa –, soll er beste Verbindungen in die Rüstungsindustrie und damit auch in NATO-Kreise haben. Den Posten des Wirtschafts- und Finanzministers wiederum hat Meloni an Giancarlo Giorgetti vergeben, einen Politiker der Lega, der deren Wirtschaftsflügel angehört – und der ist seinerseits unter den mächtigen Industriellen im wohlhabenden Norden Italiens bestens vernetzt.

Dies ist keine Marginalie. Italien insgesamt hat von der Einführung des Euro nicht profitiert; dass sein Süden so arm ist, liegt nicht nur, aber auch daran, dass das Land seine Wirtschaft nicht mehr mit Währungsabwertungen gegen Exportoffensiven vor allem aus Deutschland abschirmen kann. Norditaliens Industrie allerdings ist eng mit der deutschen Wirtschaft vernetzt; ihr nützt daher der Euro. Dass Giorgetti öffentlich angekündigt hat, ein Euro-Austritt komme mit ihm nicht in Frage, passt dazu. Mehr noch: Am 21. November 2022 stellte Giorgetti seinen ersten Haushaltsentwurf vor – und darin fand man eine ganze Reihe von Wahlversprechen aus der neuen Regierungskoalition, Mindestrenten beispielsweise, nicht wieder. Der Lega-Minister hatte seinen Etat im Wesentlichen an Austeritätskonzepten nach deutschem bzw. EU-Modell orientiert: ein Hinweis darauf, dass Melonis Regierung offenbar nicht grundsätzlich gegen Brüssel rebellieren will. Ultrarechts, aber nicht Anti-EU: So ließe sich ihre Position – zumindest vorläufig – wohl charakterisieren.

Damit läge sie auf einer Linie mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der zwar zuletzt gelegentlich den Austritt seines Landes aus der EU ins Gespräch gebracht hat, bislang aber in der Praxis nicht darauf orientiert: Allzu eng ist die ungarische Wirtschaft ins Industriegeflecht vor allem der deutschen Kfz-Branche integriert, als dass man sie ohne schweren Schaden aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum lösen könnte. Die politischen Beziehungen zwischen Meloni und Orbán gelten als eng; beide haben sich zu ihrem Regierungsantritt gedeihliche Zusammenarbeit zugesagt. Differenzen in der Außenpolitik – Meloni orientiert auf die Ukraine, Orbán auf Russland – werden, was sämtliche anderen Themen anbelangt, daran wohl nichts ändern.

Umgekehrt ist die ultrarechte spanische Partei Vox dabei, sich an Meloni zu orientieren – Melonis Erfolg macht ihre Politik attraktiv. Allerdings steckt Vox derzeit in einer Krise. Ob Meloni es für ratsam hält, als Ministerpräsidentin einer schwächelnden Partei in Spanien zur Seite zu springen, ist zumindest ungewiss. Sollte Vox neue Stärke gewinnen, wäre eine engere Kooperation mit den FdI allerdings gut möglich.