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„Es gibt keine rechte Islamkritik.“

Klaus Blees & Roland Röder vom Kompetenzzentrum Islamismus der Aktion 3.Welt Saar
Foto: Aktion 3.Welt Saar

Es gibt keine rechte Islamkritik. Islam­kritik ist in ihrem Wesen emanzipatorisch und herrschaftskritisch. Das Wort „Kritik“ ist abgeleitet vom griechischen „krinein“ für „unterscheiden, urteilen“. Kritik bedeutet die rationale Durchdringung von Sachverhalten, ist also ihrer Kernbedeutung nach Vor-Urteilen, nicht rational begründeten Scheinurteilen, entgegengesetzt und auf die Überwindung von Ressentiments ausgerichtet. Da, wo rechtspopulistische Bewegungen wie PEGIDA sich selbst als „islamkritisch“ inszenieren, handelt es sich um Etikettenschwindel, der das Propagieren rassistischer und chauvinistischer Ressentiments rechtfertigen soll. Teil an dem Schwindel haben Medien ebenso wie kulturrelativistische oder antiimperialistische Linke, die diesen Sprachgebrauch übernehmen. Diese gegenaufklärerische Umdeutung des Kritikbegriffs ist weitgehend diskursbestimmend und prägend für die öffentliche Wahr­neh­mung von „Islamkritik“ geworden. Wir halten es für geboten, nachhaltig in den Diskurs zu intervenieren, um diesem Orwellschen Neusprech entgegenzuwirken im Sinne einer Rückgewinnung der aufklärerischen Bedeutung des Begriffs.

Denn Religionskritik ist Herrschaftskritik, ist als materialistische Kritik kein plakatives Ablehnen von Religion, sondern Kritik der Zustände, welche religiöse Ideologien zu ihrer Rechtfertigung hervorbringen. Religion dient der Verbrämung unmenschlicher Zustände, um diese aushalten zu können, was Marx in seiner berühmten Formel vom „Opium des Volkes“1 auf den Punkt gebracht hat. Sie dient ebenso der Legitimation von Unterdrückungsverhältnissen und der diese aufrecht erhaltenden Regeln als durch Gott oder sonstige „höhere Mächte“ gegeben.

Kein Artenschutz für den Islam

Unter heutigen Bedingungen bedeutet Islam­kritik die Analyse aktueller mit dem Islam gerechtfertigter Herrschaft, Unterdrückung und Verfolgung. Dies betrifft Scharia-Staaten wie den schiitisch-islamistischen Iran oder das sunnitisch-wahhabitische Saudi-Arabien, die jede politische und sowieso jede linke Opposition brutal unterdrücken, Schwule, „Ehebrecherinnen“ und Atheisten ermorden, vom Antisemitismus, etwa den wiederholten iranischen Vernichtungsdrohungen gegen Israel, ganz zu schweigen. Es betrifft die Türkei, wo, vermittelt über die islamisch-konservative AKP-Regierung und über den starken Mann Erdogan, eine Re-Islamisierung stattfindet, verbunden mit der polizeistaatlichen  Maßregelung linker und laizistischer Opposition, wie sie sich vor allem in der brutalen Niederschlagung der Gezi-Park-Bewegung zeigte. Es betrifft djihadistische Banden wie das Al Quaida-Netzwerk, den „Islamischen Staat“, Boko Haram, die den Gaza-Streifen beherrschende Hamas und die vom Iran gestützte, in Syrien an der Seite der Assad-Truppen kämpfende Hisbollah. Die djihadistischen Netzwerke operieren in großen Teilen global, mit ihren bisher verheerendsten Anschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington und, wie jüngst spektakulär in Paris, auch mit Mordaktionen in Europa. Sie rekrutieren ihren Nachwuchs nicht nur in den eigentlichen Kriegsgebieten und in islamisch dominierten Ländern, sondern ebenso in westlichen Staaten einschließlich Deutschlands. Unterstützer des islamistischen Terrors organisieren Demonstrationen, so im Sommer 2014 anlässlich des Gazakrieges, wo auch hierzulande muslimische Antisemiten, vereint mit Neonazis und einigen Linken, unter Rufen wie „Juden ins Gas“ und „Kindermörder Israel“ durch die Straßen zogen und proisraelische Demonstranten wiederholt physisch attackierten.

Es betrifft aber auch die konservativen, zum Teil fundamentalistischen Islamverbände, deren größter in Deutschland DITIB, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion ist, als Arm des reaktionären türkischen Staatsislam. So hieß es etwa auf der Website von DITIB Saar, für Musliminnen sei das Kopftuchtragen Pflicht und eine muslimische Frau dürfe keinen nichtmuslimischen Mann heiraten.2 Die Leugnung des 1915 begonnenen Völkermords an den Armeniern gehört für DITIB gleichermaßen zur Agenda.

Unter dem Dach des Islam ist ein hete­ro­genes Spektrum reaktionärer Ideologien vorzufinden, die nicht alle gleich zu behandeln sind und sich in ihren menschenfeindlichen Dimensionen zum Teil erheblich unterscheiden. Sie haben aber eines ge­mein­sam: Sie sind antiemanzipatorisch und gegenaufklärerisch. Politisch lassen sie sich als rechtskonservativ bis rechtsextrem ein­ordnen. Darunter befinden sich Strömun­gen, die Volker Weiß im AIB 105 als „Isla­mischen Faschismus“ charakterisiert. Ob es Islamfaschismus „gibt“ hängt davon ab, wie man „Faschismus“ definiert, wie weit man den Faschismusbegriff fasst.3 3 Weiß’ konkrete Definition, nach der manche islamische Bewegungen die Kriterien für Faschismus erfüllen, beugt unseres Erachtens einem schlagwortartigen Gebrauch vor.

Linkes Tabu Islamkritik

Abu Ulis im AIB Nr. 106 vorgebrachten Einwände gegen die Verwendung des Begriffes „Isla­mischer Faschismus“ sind zum Teil Schein­argumente. Denn sein Verweis auf Zuckermann zeigt lediglich, dass dieser eine andere, zudem apodiktisch vorgetragene Faschismusdefinition verwendet als Weiß und geht somit an der Sache vorbei. Wenn Abu Uli von „Nebeneffekten“ spricht, so trifft er auch damit nicht die Sache selbst, und er bleibt eine Begründung schuldig, warum denn per se jede westliche Militärintervention abzulehnen ist, erst recht angesichts des Umstandes, dass us-geführte Luftangriffe auf IS-Stellungen in Rojava zum Zurückdrängen des IS beigetragen haben und von den kurdischen Selbstverteidigungskräften begrüßt wurden. Wenn er darauf verweist, die „Bilderwelt der ersten Kolonisator_innen“ werde so heraufbe­schworen, da diese ebenfalls beanspruchen, eine zivilisatorische Mission zu erfüllen, so deutet er völlig unhistorisch aus einer vordergründigen Analogie die heutige Rea­lität.

Was kritisch zur islamischen Reaktion zu sagen ist, bezieht sich nicht auf liberale, progressive Muslime. Die islamische Reaktion zu kritisieren und die ihr zugrunde liegenden Strukturen zu bekämpfen ist für emanzipatorische Linke eine unverzichtbare Notwendigkeit. Befremdlich ist es nicht, wenn Linke den Islam kritisieren, sondern wenn sie es nicht tun.

Durch Islamkritik den Moslemhassern Wasser auf die Mühlen zu geben, ist eine unbegründete Befürchtung. Rechte Mos­lem­feinde verfolgen eine andere Agenda als Islamkritiker. Ihnen dient der Islam als Auf­hänger für Kampagnen gegen Flücht­linge und Migranten. Der flüchtlingsfeindliche Charakter wird an Begriffen wie „Scheinasylanten“, „Asylbetrüger“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ sichtbar. Moslemfeinde greifen zwar Versatzstücke der Islamkritik auf, prangern Frauenunterdrückung, Homophobie oder Antisemitismus in muslimischen Communities an, doch ist dies instrumentell. Im bekanntesten Blog der antimuslimischen Rechten, „Politically Incorrect“, wendet man sich einerseits gegen muslimische Homophobie, während man andererseits häufig schwulenfeindliche Beiträge veröffentlich, wo dann die Homophobie nicht islamisch, sondern zum Beispiel christlich begründet wird. Ebenso gehören diejenigen ins Feindbild der Rechtspopulisten, die nicht den muslimischen, sondern (auch) den rechten Antisemitismus be­käm­p­fen.
Ins Gedächtnis zu rufen ist auch, dass PEGIDA ursprünglich gegründet wurde gegen Unterstützer der PKK — also gegen diejenigen, die in Syrien mit die Hauptlast im Kampf gegen die Islamisten tragen.

PEGIDA und ihre Ableger waren zwar in den vergangenen Monaten medial sehr präsent — aber dabei werden leicht die zahlreichen, zum Teil sehr großen antiislamistischen Demonstrationen übersehen, die von bürgerlichen, liberalen bis linken und linksradikalen Kräften getragen wurden: Die Demonstrationen gegen den Terror der Hamas im Sommer 2014, die linken, von Kurden dominierten Demonstrationen zur Unterstützung des Widerstandes gegen den IS und ebenso diverse Großdemonstrationen gegen die Besuche Erdogans in Deutschland, zuletzt in Karlsruhe, die von überwiegend linken kurdisch- und türkisch-stämmigen AKP-Gegnern, vor allem der Alevitischen Gemeinde, organisiert wurden.

Eine emanzipatorische, islamkritische Bewegung ist notwendig, und sie existiert. Nicht nur Islamisten, auch PEGIDA und andere Rechte zählen zu ihren Gegnern.