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»Andi«-Comics für alle

Einleitung

Das Bundesfamilienministerium finanziert erste zivilgesellschaftliche Projekte gegen links.

Foto: flickr.com; Michael Panse/CC BY-ND 2.0

Die CDU-Politikerin Kristina Schröder will Projekte gegen links unterstützen

Keine Frage: Den Hamburger Autonomen geht es demnächst an den Kragen. Die Evangelische Hochschule für soziale Arbeit und Diakonie entwickelt zur Zeit ein Konzept dafür. Letztes Jahr hat die kirchliche Einrichtung in der Hansestadt ein Projekt gestartet, das »Zugänge der Jugendhilfe zu links-autonomen Jugendszenen in Hamburg« entdecken soll. Man wolle herausfinden, heißt es in der Projektbeschreibung, »inwieweit linksextremistische Jugendliche und solche, die gefährdet sind, von den Angeboten der offenen Jugendarbeit in den Stadtteilen Hamburgs oder von Streetworker_innen in ihren Szenen erreicht werden können«. Kirchliche Jugendarbeit gegen links? Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, Mitglied der konservativen Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), stellt im Haushalt 2011 stolze 43.400 Euro für das Vorhaben bereit.

Kristina Schröder hat mit dem Kampf gegen links nicht lange gefackelt. Schon bald nach ihrem Amtsantritt Ende 2009 hat sie ihre Ankündigung umgesetzt, der Staatsfinanzierung für Projekte gegen rechts eine ebensolche für Projekte gegen links gegenüberzustellen. »Demokratie stärken« heißt die Initiative, die Schröders Ministerium Mitte 2010 gestartet hat, um »insbesondere präventiv gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus« vorzugehen. Seitdem findet, wer immer sich berufen fühlt, der Linken auf die Füße zu treten, im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein offenes Ohr. Auf über eine Million Euro belaufen sich die Mittel, die 2010 für das gesamte Programm zugesagt wurden. In den Bundeshaushalt 2011 sind allein für »Linksextremismusprävention« rund 850.000 Euro eingestellt. Die Extremismusdoktrin, die Schröder auch nutzt, um – mit Hilfe der »Extremismusklausel« – Projekte gegen rechts Schritt um Schritt von linkem Ballast zu befreien, entwickelt sich zum lukrativen Kampfmittel gegen links.

Inhaltlich fällt die Bilanz noch nicht besonders spektakulär aus. Neben kirchlicher Jugendarbeit lassen sich auch Organisationen aus dem Programm gegen links finanzieren, die bislang eher als Partner im Kampf gegen rechts galten. Die Amadeu Antonio Stiftung hat für ihre Aktionswochen gegen Antisemitismus 2010 vom Familienministerium 16.000 Euro erhalten, weil es ja schließlich auch linken Antisemitismus gibt. Die Begründung trifft fraglos zu – aber muss man deswegen gleich den Kampf gegen links legitimieren? Die Stiftung stört's nicht – sie hat sich 2011 weitere 52.748 Euro bewilligen lassen. Ein dicker Batzen – 88.290 Euro – geht dieses Jahr an das Berliner Archiv der Jugendkulturen, das sich für die »Generierung von Wissen über die Entwicklungsgeschichte und aktuellen Ausprägungen der autonomen Szene in Deutschland« bezahlen lässt. Die »kritische Auseinandersetzung mit antidemokratischen linksextremistischen Ideologien« will die Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) forcieren, wofür sie 2011 fast eine Viertelmillion Euro erhält. Als Zielgruppe werden von der Einrichtung, die auf ihrer Website mit einem Button für »Soziale Netzwerke gegen Nazis« kokettiert, Schulen in mehreren Bundesländern genannt. Immerhin gehört dem Stiftungsrat der Stiftung EJBW eine für Kristina Schröder prinzipell verdächtige Landtagsabgeordnete der Linkspartei an.

Wellen geschlagen hat vor allem eine Projektfinanzierung für die Junge Union (JU). »Wir fahren nach Berlin – gegen Linksextremismus«, hieß ein Vorhaben des Kölner JU-Verbandes; dieser wollte sich eine Fahrt in die Hauptstadt finanzieren lassen, um nicht nur Gedenkstätten und Museen zu besuchen sowie ein besetztes Haus zu besichtigen, sondern auch einen »gemeinsamen Ausflug in das Berliner Nachtleben« zu unternehmen. Die taz brachte das Ansinnen ans Tageslicht, ein SPD-Bundestagsabgeordneter schimpfte: »Vergnügungsreise auf Staatskosten« – und die Kölner JU blieb zuhause. Schade eigentlich, denn der eine oder andere hätte eventuell seine »Extremismus«-Kenntnisse vervollständigen können: Eine Untergliederung der Organisation hatte vor einigen Jahren »pro Köln« zu einem Kennenlerngespräch eingeladen. Immerhin: Der hessische und der bayrische JU-Landesverband konnten eine gleichartige Berlin-Fahrt realisieren (Kosten: 29.000 Euro). Sie waren nicht so ungeschickt, ihren Ausflug ins Berliner Nachtleben zuvor öffentlich anzukündigen.

Ministerin Schröder finanziert nicht nur den Jugendverband, sondern auch die Stiftung ihrer Partei: Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat sich zwei Symposien zum Thema Linksextremismus mit jeweils über 90.000 Euro bezuschussen lassen; die Honorare für die Referent_innen müssen gigantisch gewesen sein. Indirekt finanziert die Ministerin über ihr »Linksextremismus«-Programm auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Fast 100.000 Euro sagte ihr Haus letztes Jahr der Stiftung Partner für Schule NRW zu. Zweck des Ganzen: Die »Andi«-Comics des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, insbesondere derjenige »gegen links«, sollen »in überarbeiteter Form als Bundesausgabe gedruckt und bundesweit verteilt werden«. Das Heft könne unter anderem »im Schulunterricht verwendet« werden, heißt es, weshalb zusätzlich eine »Lehrerhandreichung« zum Thema »Linksextremismus« erstellt wird. Dass die Regierung Projekte des Inlandsgeheimdienstes aus dem Jugendetat finanziert, ist bezeichnend für den Zustand der Bundesrepublik.

Das Bundesprogramm gegen links ist noch überschaubar, die Tendenz aber ist eindeutig: Es werden Projekte bezahlt, die die Schulen einbeziehen; der verschärften Agitation gegen links werden Jugendliche nicht mehr entkommen können. Zugleich nehmen – wenn auch noch eher unbeholfen –erste Projekte die Arbeit auf, die ein direktes Einwirken auf die autonome Szene anstreben. Gänzlich unabhängig von der Frage, ob sie irgendwann praktischen Druck entfalten können, wird die Stimmung in der Bevölkerung mittel- und langfristig wohl weiter kippen. Dazu trägt auch der schnöde Faktor bei, dass sich der Kampf gegen links zum guten Geschäft zu entwickeln beginnt. Das zeigt der Fall der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg.

Die Bildungsstätte nahe Flensburg stand Anfang 2010 vor großen finanziellen Problemen: Das Land Schleswig-Holstein hatte seine Zuschüsse gekürzt, Ersatz war nicht in Sicht. Bis dann die Idee aufkam, sich über politische Bildung zu finanzieren. Das Bundesprogramm gegen links kam gerade recht. 90.000 Euro erhielt die Bildungsstätte daraus für ein Pilotprojekt im Jahr 2010, 2011 folgen nun weitere 200.000 Euro. Die neue Perspektive, die sich aus den Projekten gegen links ergibt, hat Scheersberg letztlich auch EU-Zuschüsse in Höhe von 1,4 Millionen Euro eingebracht. »Mit politischer Bildung in die Zukunft«, titelte denn auch das Flensburger Tageblatt Ende Dezember 2010. Da kommt es dann auch auf den Namen des Programms nicht so genau an. Er lautet dem Familienministerium zufolge: »Jugend für Demokratie und Extremismus (!).«