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Zwischen Idee & Realität. Die AA/BO im Rückblick

Der Autor ist Mitglied in der Antifa Bonn/Rhein-Sieg und war am Aufbau der AA/BO beteiligt.
Einleitung

Der Autor dieser Zeilen hat natürlich den Vorteil, den BAT-Artikel aus dem AIB Nr. 57 zu kennen. Von den dort getroffenen Einschätzungen nicht unberührt, lassen sich Bezugnahmen auf einige Thesen nicht vermeiden. Es ging keinesfalls um »Restprobleme«, die durch die Organisierungsdebatte und den Organisationsansatz AA/BO – oder auch durch das BAT – gelöst werden sollten.

Bild: flickr.com; seven resist/<a href="http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/de/">CC BY-NC-SA 2.0 DE</a>

»Restprobleme« sind Probleme, die übriggeblieben sind, nachdem die meisten Probleme bereits gelöst wurden. Davon konnte in der Situation Anfang der neunziger Jahre kaum die Rede sein. Im Gegenteil. Zu den ohnehin evidenten Schwierigkeiten – die allgemeine Schwäche der Linken, der Niedergang des autonomen Bewegungsmodells und die rasanten Auflösungserscheinungen der Antiimps – um nur drei von vielen Problemfeldern zu nennen –, kamen noch zwei entscheidende dazu: Das neue Selbstbewusstsein der BRD nach dem Scheitern des Realsozialismus mit dem Ende der DDR und das schnelle Erstarken der (militanten) Neonazistrukturen mit den bekannten Folgen. Beide Faktoren, die neue aggressive Großmachtpolitik Deutschlands und die rassistische Mobilisierung durch Neonazis und Staat, verbanden sich und bedingten einander. Daraus folgte eine Situation, mit der auch eine deutlich stärkere Linke große Probleme gehabt hätte. Dies galt erst recht für eine desolate Linke, deren Abwärtstrend noch nicht zu Ende schien.

Ein neues Projekt

Mit dem Organisationsansatz AA/BO sollte versucht werden, die »Reste« zu sammeln und die Probleme zu lösen. Es ging in der Tat darum, die »autonome Restszene (aber auch neue Antifagruppen) in einem gemeinsamen Projekt auf antiimperialistischer Basis zu organisieren.« Auf antiimperialistischer (einige BO-Gruppen bevorzugten »antikapitalistisch«) Basis deshalb, weil es nicht nur darum ging, in einem Abwehrkampf gegen Neonazistrukturen vorzugehen, sondern auch offensiv die gesellschaftlichen Verhältnisse anzugreifen, die faschistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut immer wieder reproduzieren. Perspektivisch zielte der Ansatz auf die Überwindung des kapitalistischen Systems. Abwehrkampf und Offensivposition wurden nicht als Gegensatz, sondern als dialektisches Verhältnis begriffen, wobei der antifaschistische Kampf aufgrund der gesellschaftlichen Situation zunächst als Hauptaufgabe angesehen wurde.

Antifa als wahrnehmbarer Faktor

Antifaschistische Organisierung war das Ziel, Organisation der Rahmen. Hier lag ein deutlicher, struktureller Unterschied zum BAT-Ansatz. Vernetzung war dem AA/BO-Spektrum  zu wenig, da perspektivisch zu unsicher. Im allgemeinen reaktionären Einheitstaumel, der die Republik ergriffen hatte, sollte eine  antifaschistische linke Kraft als  wahrnehmbarer Faktor aufgebaut werden. Denn nur als relevanter Faktor schien eine Interventionsmöglichkeit in die gesellschaftliche Situation möglich. Ein eher loser Zusammenhang auf Vernetzungsebene war nicht dazu geeignet, die an den Rand gedrängte und in sich zersplitterte Linke wieder nach vorne zu bringen.

Die zu schaffende »Antifaschistische Einheit« in Form der Organisation sollte der Motor sein, die den Prozess hin zu einer wiedererstarkten, nicht teilbereichsbezogenen Linken antreibt. »Einheit« bedeutete nicht, wie häufig unterstellt, mangelnde Offenheit – wie die zum Teil recht engagierte Bündnisarbeit vieler AA/ BO-Gruppen bewies, mit der durchaus auf andere gesellschaftliche Gruppen zugegangen wurde. Der Anspruch, auf antifaschistischer Basis mit anderen, zum Teil auch systemkonformen Organisationen wie den Gewerkschaften oder auch den Grünen (vor deren Kriegskurs) zusammenzuarbeiten, wurde von der AA/BO zumindest regional eher eingelöst als vom BAT-Spektrum.

Auch für das Innenverhältnis der AA/BO-Mitgliedsgruppen war die angestrebte »Einheit« zunächst nicht das Problem. Im Gegenteil, der Anspruch als Organisation aufzutreten, führte zum Funktionieren des Delegiertensystems auf den Bundestreffen, zum kontinuierlichen Rückfluss der Arbeitsergebnisse und Diskussionsstände in die lokalen Strukturen, zur Unterstützung von mitgliedsschwachen Gruppen, zu einer guten überregionalen Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt zu einigen erfolgreich durchgeführten Kampagnen. Dies mag man als Sekundärtugenden abtun,  ist aber für eine kontinuierliche, bundesweit angelegte Arbeit unerlässlich.

Idee und Realität

Das Problem der »Einheit« und damit auch des Organisationsanspruches lag auf einer anderen Ebene. Es zeigte sich genau an den Punkten, an denen die AA/BO mit ihrer Politik über antifaschistische Themen hinausgehen wollte. Sobald der gemeinsame Rahmen, der antifaschistische Konsens, thematisch verlassen wurde, brachen die unterschiedlichen politischen Analysen und weitergehenden Vorstellungen auf. Dies war erst mal nicht weiter verwunderlich, hatte die AA/BO bei ihrer Gründung doch auf ein Programm verzichtet, was für eine Organisation untypisch ist. Die Ziele orientierten sich daran, was als realistisch angesehen wurde.

Das Machbare sollte allerdings nicht das Endgültige sein. Deshalb untergliederte die AA/BO ihre Ziele in kurz, – mittel – und langfristige Ziele. Kurzfristige Ziele waren der Ausbau der gemeinsamen politischen Praxis im klassischen Antifabereich und der Aufbau personeller wie technischer Strukturen. Die Entwicklung einheitlicher programmatischer Standpunkte, wie Faschismus- und Imperialismustheorie, Patriarchatsanalyse wie Gesellschaftsanalyse überhaupt sollten zwar unmittelbar angegangen werden, zählten jedoch zu den mittelfristigen Zielen und wurden als Prozess begriffen. Langfristige Ziele waren die Entwicklung einer konkreten Utopie sowie die Entwicklung einer Strategie zur Überwindung des imperialistischen Systems.

Gründe des Scheiterns

Gescheitert ist die AA/BO an der Umsetzung dieses Stufenmodells, wahrscheinlich lange bevor sie es gemerkt hat. Uneinigkeit bestand nicht nur an konkreten inhaltlichen Punkten, sondern bereits in der Frage, wann der richtige Zeitpunkt für die nächste Stufe gekommen sei. Während die einen sich über analytisch-inhaltliche Diskussionen den mittelfristigen Zielen nähern wollten, meinten andere, dies ginge gerade jetzt auf Kosten der Aktionsfähigkeit im Antifabereich. Während die einen meinten, der Verzicht auf genauere Inhalte führe zur Stagnation, hatten andere Angst, dass die AA/BO zu einem Debattierclub verkommt. Zweimal wurde über die Einrichtung einer Programmkommission versucht, stärkeres inhaltliches Profil zu erlangen.

Beide Versuche scheiterten

Zum einen nahmen nicht alle Gruppen an den Programm-AGs teil, zum anderen war auch die AA/BO nicht vor dem typisch linken Phänomen »10 Linke – 12 Meinungen« gefeit. Es gab noch ein anderes, grundsätzliches Problem: Der unterschiedliche Stand und die unterschiedliche Größe der Gruppen. Viele Gruppen hatten einfach nicht die Kraft, neben der Alltagsrödelei in ihren Städten und den bundesweiten Aktivitäten konzentrierte Programmdebatten zu führen. Dazu kam, dass der Aufgabenbereich stetig wuchs. Gab es in den achziger Jahren noch etliche Gruppen, die die unterschiedlichsten Themenbereiche abdeckten, so war in den neunziger Jahren einiges zusammengebrochen.

Vieles, wo man sich früher anschließen konnte, musste man nun selbst machen, vor allem da sich die BO als linke Organisation mit gesamtpolitischen Anspruch verstand. Oftmals scheiterte die AA/BO an einer realistischen Einschätzung ihrer Kapazitäten. Die Folge war, dass einzelne Aktionen nur von wenigen, größeren Gruppen angegangen wurden. Die anderen blieben außen vor, was negative Folgen für die Mobilisierungsfähigkeit hatte. Für genauere inhaltliche Diskussionen fehlte die Zeit oder auch die Einsicht in die Notwendigkeit. Der Zwang, als »Einheit« zur Aktionsfähigkeit zu kommen, führte zu vielen inhaltlichen Kompromissen. Minimalkonsense hatten zur Folge, dass das, was die AA/BO zu sagen hatte, oftmals nichts wirklich Neues oder Vorwärtsweisendes beinhaltete.

Hier gab es Parallelen zum BAT. Die dauerhafte Einforderung inhaltlicher Diskussionen war ab einem bestimmten Zeitpunkt auch charakteristisch für die AA/BO. Ebenso entstand das Phänomen, dass die AA/BO mehr und mehr in voneinander losgelöste Arbeitsgruppen zerfiel. Dem bundesweiten Anspruch folgten Tendenzen zum Regionalismus. Die »Einheit« war nur noch eine Hülle. Die Mitgliedsgruppen drifteten auseinander, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung schwand. Auch wenn der Organisationsanspruch nach außen aufrechterhalten wurde, gab es ein Verantwortungsgefühl der AA/BO-Gruppen untereinander nur noch marginal. Dies zu spät realisiert und sich eingestanden zu haben, war der Fehler der AA/BO – nicht der Versuch, den Problemen organisiert zu begegnen.

Ähnliche Probleme

Die Unfähigkeit der AA/BO im Umgang mit dem Thema »Sexismus« bzw. im Umgang mit dem Vorwurf gegen eine ihrer Mitgliedsgruppen war nicht, wie mancherorts vermutet, die Ursache für ihren Niedergang. Sie war Ausdruck der lange schwelenden Krise. Nicht dass es in AA/BO-Mitgliedsgruppen oder bei Einzelpersonen zu diesem Thema keine klugen Gedanken, Analysen oder Vorschläge gegeben hätte. Die gab es sehr wohl. Aber als Gesamtorganisation konnte es nicht mehr gelingen, diese Auseinandersetzung produktiv zu führen. Eine weitere, traurige Parallele zum BAT.

Auch dem Resumee des BAT-Artikels ist weitestgehend zuzustimmen – auch wenn dies für einige Leserinnen und Leser, die anderes erwartet haben, langweilig erscheint. Vielleicht mit einem Unterschied: Eine neue Organisierungsdebatte muss sich aus einer gesamtgesellschaftlichen Orientierung herausbilden, d.h. sie muss alle existierenden Widersprüche zum Bestandteil ihrer Politik machen. Diesen Anspruch hatte zwar auch der »revolutionäre Antifaschismus«, dem sich die AA/BO verschrieben hatte. Aber eine Organisierung unter antifaschistischen Vorzeichen läuft immer Gefahr, die existierenden Widersprüche aus dem Faschismus heraus zu erklären, indem man den Faschismus als Ausgangspunkt der Analyse nimmt.

»Hinter dem Faschismus steht das Kapital«. Diese zwar richtige, wenn auch zu eindimensionale Parole verdeutlicht den falschen Ansatz. Der Ansatz, der die Komplexität der warenproduzierenden Gesellschaft und all ihre immanenten Widersprüche zum Ausgangspunkt nimmt, berücksichtigt, dass der Faschismus eine der möglichen Optionen des Kapitalismus zur Krisenbewältigung und zur Kanalisierung von Unzufriedenheit in rassistische oder antisemitische Ressentiments ist. Zumal, wie heute immer stärker zu sehen ist, Rassismus und Antisemitismus nicht des Faschismus bedürfen, sondern sich im stinknormalen Kapitalismus Bahn brechen.

So notwendig es auch ist, in Teilbereichen spezialisiert zu arbeiten – und Antifa ist »nur« ein Teilbereich – um perspektivisch/inhaltlich/analytisch weiterzukommen, muss der Blick auf und für das Ganze geschärft werden. Dem Vorwurf, die Linke habe oft nur »Durchsetzungsgeschichte« geschrieben, darf sich nicht verschlossen werden. Die Gefahr, dass dies sich wiederholt, besteht immer. Der beste Schutz dagegen ist die Radikalität. Nicht nur in Form der Militanz, sondern vor allem im Inhalt. Dies zu schaffen – organisiert und praxisorientiert – ist schwer; sozusagen ein Problem und leider kein Restproblem.