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Zur Situation von LGBTI* in Honduras

Knut Henkel (Lateinamerika Nachrichten)
Einleitung

Drei Trans*frauen sind im Juli 2019 in Honduras ermordet worden. Die bekannte LGBTI*-Aktivist*in Bessy Ferrera wurde am 8. Juli 2019 in der Hauptstadt Tegucigalpa niedergeschossen. Santi Carvajal, Moderator*in einer Trans-TV-Show, wurde am 5. Juli angeschossen und starb einen Tag später in Puerto Cortes. Eine dritte Trans*frau wurde am 3. Juli in El Negrito getötet, berichteten lokale Medien. In einer Reportage von Knut Henkel in den „Lateinamerika Nachrichten“ hatte Bessy Ferreira die Situation von LGBTI* in Honduras beschrieben.

Foto: Markus Dorfmüller

Bessy Ferrera wurde im Juli 2019 erschossen.

Morddrohungen, Prügel, und Vergewal­tigungen von Aktivist*innen der LGBTI*-­Szene sind in Tegucigalpa, Honduras, eher die Regel als die Ausnahme. Paola Flores und Bessy Ferreira, zwei Trans*frauen, haben einschlägige Erfahrungen gemacht. Sie versuchen sich zu wehren, ermuntern andere Trans*frauen Anzeige zu erstatten und bereiten einen Musterprozess vor. Der soll zeigen wie die Justiz eigentlich agieren sollte – es aber nicht tut.

Im Zentrum von Tegucigalpa, nur ein paar Steinwürfe vom Busbahnhof, hat die 2003 gegründete LGBTI*-Organisation Arcoíris (Regenbogen) ihr Büro, zu dem auch Aufenthaltsräume gehören. Hier trifft sich die queere Szene der honduranischen Hauptstadt, organisiert Kampagnen, tritt für die eigenen Rechte ein und feiert hin und wieder Parties. „Bei unserem ersten Marsch gegen die Homophobie und für die Rechte unserer queeren Community waren wir gerade zwanzig, im letzten Mai immerhin rund tausend Personen“, erinnert sich Donny Reyes. Der stämmige Mann Ende 40 ist Gründungsmitglied und Koordinator von „Arcoíris“, die sich für die Menschenrechte der queeren Gemeinde engagiert.

Um die ist es mies bestellt, denn Honduras gehört weltweit zu den gefährlichsten Ländern für LBGTI*-Aktivist*innen. 38 Morde wurden von den LGBTI*-­Organisationen des Landes im Laufe des letzten Jahres registriert – ein Mord weniger als 2017. Alle anderen Angriffe summieren sich zu Hunderten. „Am sichtbarsten und am verwundbarsten sind Trans*­frauen“, so Donny Reyes. Die organisieren sich bei „Arcoíris“ als „Muñecas de Arcoíris“, auf deutsch übersetzt "Regenbogenpüppchen". Ein sarkastischer Titel, den die Trans*frauen bewusst gewählt haben. Jeden Dienstag treffen sie sich im Büro in der dritten Avenida des Concepción, einem Handwerkerviertel am Rande des Zentralmarkts von Tegucigalpa. „Nur ein paar Blocks entfernt, rund um den Parque El Obelisco, befindet sich der Trans-Strich von Tegucigalpa“, so Donny Reyes. Viele der Trans*frauen, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen, haben keine Ahnung von ihren Rechten und das versuchen Reyes und seine Kolleg*innen zu ändern – mit Workshops, aufklärender Informationsarbeit und Beratung.

Die beiden Trans*frauen Bessy Ferreira und Paola Flores leiten und koordinieren die Arbeit der „Muñecas de Arcoíris“ und haben selbst einschlägige Erfahrungen mit Diskriminierungen gemacht. Bessy Ferreira fährt sich mit dem Daumen über die Kehle. Dann deutet sie auf die wulstige rund fünfzehn Zentimeter lange Narbe unterhalb ihres Schlüsselbeins. „Ein Freier wollte nach dem Sex nicht zahlen und hat mir von hinten versucht die Kehle durchzuschneiden“, sagt die Trans*frau von Mitte dreißig. „Nur weil er das Messer zu tief angesetzt hat, sitze ich noch hier“, sagt sie mit einem bitteren, rauen Lachen. Fast verblutet ist sie damals, konnte sich aus dem Hinterhof gerade so auf die Straße schleppen, wo jemand einen Krankenwagen rief. Die mit groben Stichen genähte Narbe erinnert sie bei jedem Blick in den Spiegel an den Angriff vor ein paar Jahren. „In Honduras hat man als Trans*frau keine Chance auf einen regulären Job. Was bleibt ist für viele von uns nur die Prostitution.“ Abfinden will sich Bessy Ferreira mit der alltäglichen Diskriminierung und Verfolgung nicht. „Ein großes Problem ist, dass kaum jemand von uns genau weiß, was für Rechte wir eigentlich haben. Worüber frau nichts weiß, kann sie auch nicht verteidigen“, erklärt Bessy Ferreira. Daran will sie etwas ändern und ist deshalb bei „Arcoíris“ eingestiegen. Erst als Freiwillige, mittlerweile als Stellvertreterin von Paola Flores. Die Trans*frau ist das Gesicht der „Muñecas de Arcoíris“. Vor ein paar Jahren hat sie angefangen rund um den „Parque El Obelisco“ Trans*frauen anzusprechen, sie über ihre Rechte im Umgang mit Freiern, aber auch der Polizei aufzuklären. Die eigenen Rechte sind zentrales Thema bei den wöchentlichen Treffen, aber auch die Probleme, denen sich Trans-, Bi-, Homosexuelle und die restliche Queer-Szene in Honduras gegenübersieht. „Wir werden ausgegrenzt, diskriminiert, gedemütigt, vergewaltigt und ermordet“, zählt Paola Flores mit leiser Stimme auf. „Honduras ist eine christlich verbrämte Macho-Gesellschaft, in der Rechte der Anderen nicht geachtet werden“, schildert sie das Grundproblem.

Hinzu kommt ein nicht funktionierendes Justizsystem. Straftaten gegen LGBTI*-Personen werden nicht geahndet, das monierte auch die Menschenrechtskommission der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) bei ihrer letzten Visite im August 2018. Laut der Kommission habe es in den letzten fünf Jahren 177 Morde gegeben, von denen kaum einer aufgeklärt worden sei. Das hat viele Gründe. Einer ist aber laut Paola Flores, dass bei den Verbrechen aus Hass nicht richtig ermittelt werde: „Das beginnt bei der Spurensicherung und endet im Gerichtssaal - wenn es denn überhaupt so weit kommt.“ Wie ein Musterprozess laufen sollte, worauf bei der Spurensicherung, bei der Gerichtsmedizin, aber auch bei der Zeug*innen-Vernehmung und im Gerichtssaal geachtet werden muss, wollen die Muñecas anhand eines realen Falles aufzeigen. „Eines Kapitaldeliktes wie Vergewaltigung oder Mord“, so Flores, die derzeit mit Jurist*innen, Ermittler*innen und Gerichtsmediziner*innen im Gespräch ist, um das beispielgebende Tribunal vorzubereiten. Demnächst soll der symbolische Gerichtsprozess in Tegucigalpa stattfinden. Bei ihren Bemühungen, Vorurteile aufzubrechen, sind die Aktivist*innen oft auf sich allein gestellt. Journalist*innen, die Fotos rund um den „Parque El Obelisco“ machen, und sich nicht nur privat, sondern auch öffentlich über sie lustig machen, sind, so Bessy Ferreira, alles andere als selten.

Oft werden Homo- genauso wie Bi- und Transsexuelle von ihren Familien verstoßen, ergänzt Paola Flores. Sie hat seit ein paar Jahren die Unterstützung ihrer Familie, während ihre Kollegin Bessy Ferreira Waise ist und nach ihrem Outing von den Pflegeeltern vor die Tür gesetzt wurde. So landete sie in der Prostitution und für sie ist „Arcoíris“ so etwas wie ein zweites Zuhause. Vor allem ihrer Mutter hat es hingegen Paola Flores zu verdanken, dass der Kontakt zur eigenen Familie nicht abriss, obwohl mehrere Familienangehörige evangelikalen Kirchen sowie der katholischen Kirche angehören. Die verteidigen die Heterosexualität als das Non plus Ultra und machen gemeinsam mobil gegen alle Anläufe, die gleichgeschlechtliche Ehe in Honduras auf den Weg zu bringen. Folge dieser rigiden Positionierung sind tiefe Gräben, die sich durch viele Familien ziehen. So auch bei den Flores, wo die sexuelle Orientierung des jüngsten Kindes von den Älteren mit Unverständnis und Ablehnung quittiert wurde. „Nur meine Mutter hielt zu mir. Doch das änderte sich mit dem Überfall.“

Der ereignete sich im Juni 2009 und Paola Flores hat ihn nur knapp überlebt. „Drei Männer haben mich in meiner eigenen Wohnung, dort wo ich mich sicher fühlte, überfallen. Mich zusammengeschlagen und mit Benzin übergossen und angezündet“, erinnert sich Flores und deutet auf die Transplantate die rechts und links vom Kinn zu sehen sind. Sie hat um ihr Leben gekämpft, sich gewehrt, geschrien und überlebt. Zwei Monate im Koma, neun Monate im Krankenhaus und schließlich ein Jahr im Exil in Mexiko. „Was mir passiert ist, kann auch allen anderen passieren. Dagegen kämpfe ich und deshalb bin ich zurückgekommen“, sagt sie mit fester Stimme und zupft das Halstuch zurück, welches die Narben am Hals verbirgt.

Die drei Männer gingen genauso wie der Freier, der Bessy Ferreira umbringen wollte, bisher straffrei aus. Ein häufiges Geschehen in Honduras, wo deutlich über 90 Prozent der Gewaltdelikte gegen LGBTI* nicht geahndet werden. Die Fotos von ermordeten Arcoíris-Aktivist*innen, die im Treppenhaus neben denjenigen hängen, die sich engagieren, zeugen davon. Die Straflosigkeit soll beendet und der Musterprozess der „Muñecas de Arcoíris“ soll dazu beitragen.