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Wo geht’s hier zum Extremismus?

CDU-Plakat bei einer Kundgebung gegen Kommunismus am 22. Januar 2011 in Berlin.
Einleitung

Es schien eine typisch sächsische Anekdote zu sein, als ausgerechnet zum 9. November der Eklat um die Extremismusklausel zur Verleihung des »Sächsischen Demokratiepreises« ausbrach (vgl. AIB 89). So passend es wäre, wenn wir es hier mit einer Posse des schwarz-gelben Freistaates zu tun hätten, die Idee der Extremismusklausel stammt nicht aus dem, seit Jahren als demokratiefern verrufenen Land im Osten, sondern direkt aus dem Bundesfamilienministerium.

Bereits im Oktober 2010 hatte Ministerin Kristina Schröder via Twitter verkündet, dass zukünftig allen Initiativen, die Fördermittel in den Programmen »Toleranz Fördern – Kompetenz stärken« und »Initiative Demokratie stärken« beantragen, eine gesonderte Erklärung vorgelegt wird. In dieser sollen sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zu den Zielen des Grundgesetzes bekennen und darüber hinaus »auf eigene Verantwortung dafür Sorge tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten«. Die geforderte Überprüfung sollen die Vereine »im Rahmen ihrer Möglichkeiten« vornehmen und sich im Sinne einer Generalhaftung dazu verpflichten, »dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird«.

Die juristische Bewertung der Klausel

Inzwischen liegen zwei voneinander unabhängige Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit vor. Beide kommen zu dem Schluss, dass die Klausel in dieser Form rechtswidrig ist.

Dass von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Auftrag gegebene Gutachten hält sowohl den Bekenntniszwang als auch die Aufforderung zur Bespitzelung für rechtswidrig. Denn ein staatlicher Bekenntniszwang ist nur ausnahmsweise bei einer besonderen Beziehung oder Rechtsstellung wie dem Beamtenstatus oder der Einbürgerung zulässig. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Verfassungswerte teilen, erzwingt diese Werteloyalität aber nicht.  Wenn auch schon das Bekenntnis zum Staat einer Demokratie abträglich ist und eher an die Selbstversicherung autoritärer Staaten erinnert, so ist die offensive Aufforderung zur gegenseitigen Bespitzelung ein verfassungswidriger Affront.

Bereits im November kam der Berliner Rechtsprofessor Ulrich Battis zu dem Schluss, dass der zweite Teil der Klausel mit dem Grundgesetz kollidiert. Insbesondere die schwammige Verwendung des Begriffs »extremistisch« genügt den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit nicht, da »zumindest bislang keine juristisch eindeutige Definition des Begriff »Extremismus« (existiert), an der sich eine Auslegung der Bestätigungserklärung orientieren könnte. (...) Die Schwierigkeit, diese Bewertung vorzunehmen, zeigt auch der Umstand, dass Verbote oftmals Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen gewesen sind (...) Diese ersichtlich schwierige Bewertung nicht-staatlichen Projektträgern zu übertragen, ist folglich ungeeignet«.

Auch der wissenschaftliche Dienst kommt zu einer ähnlichen Einschätzung und schließt sich einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, in der bezüglich »rechtsextremistischer Positionen« ausgeführt wird, dass diese Einstufung »eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung (sei). Ihre Beantwortung stehe in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen«.

Quo vadis Verwaltung – politischer Opportunismus versus gesetzliches Handeln?

Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz schreibt der Verwaltung die Bindung an Recht und Gesetz vor, womit es ihr verfassungsrechtlich untersagt ist, sehenden Auges gegen das Gesetz zu handeln. Mit ihrem Festhalten an einem offensichtlich rechtswidrigen Akt stellt sich die Bundesregierung als Exekutive quer zur grundgesetzlich festgeschriebenen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

In der Erkenntnis, dass der zweite Teil der Klausel mehr als nur problematisch formuliert ist, legte das Ministerium mit »Hinweisen zur Erklärung für Demokratie« in den genannten Programmen Mitte Januar 2011 nach. Wie schon die Klausel schafft das Papier mehr Verwirrung als Klarheit. Einerseits darf nicht mehr mit Partnern zusammengearbeitet werden, die sich nicht zur FDGO bekennen, andererseits dann aber doch wieder, wenn dies in einem kritischen Rahmen geschieht. Überhaupt soll man sich bei Unsicherheiten einfach an den Verfassungsschutz oder die Träger des Landes bzw. Bundes wenden. Inwieweit die neue Bundesregiestelle in Schleife, die in den letzten Jahren für die Zivildienstleistenden zuständig war, »Kompetenz« in Sachen »Extremismuserkennung« aufweist, bleibt offen. Vorsorglich wurde keine Telefonnummer benannt.

Dass es der Verfassungsschutz mit der Rechtmäßigkeit seiner »Extremistenerkennung« nicht so genau nimmt, hat sich spätestens mit den erfolgreichen Klagen der antifaschistischen Zeitschrift »Lotta« oder dem Münchner Archiv »a.i.d.a.« gegen die Nennung in den Geheimdienstberichten gezeigt.

Konservatives Demokratieverständnis

Was steckt also hinter soviel politischer Vernageltheit, dass selbst Kompromissvorschläge wie die Reduzierung der Klausel auf das Grundgesetzbekenntnis nicht angenommen wurden? Wieso riskiert Bundesfamilienministerin Schröder an einem eher unwichtigen Punkt wichtige gesellschaftliche Partner wie Sozialverbände, Gewerkschaften und den Zentralrat der Juden gegen sich aufzubringen?

Die Interessenlage der Regierung, des Bundesfamilienministeriums und insbesondere von Ministerin Kristina Schröder ist sicher keinen monokausalen Erklärungsversuchen zugänglich. Vielmehr spiegeln sich in dieser Debatte mehrere Punkte wie ein konservatives Demokratieverständnis, das Festhalten am Extremismusansatz, dem Beschwören antikommunistischer Feindbilder, rigide ordnungspolitische Demokratievorstellungen und eine rechtskonservative, der Stahlhelmfraktion der CDU zugehörige Ministerin wieder.

Im eng umklammerten Demokratieverständnis der Konservativen zeigt sich, dass Sicherheit über Freiheit steht, Bekenntniszwang über gelebter Demokratie. Nicht die tatsächliche Arbeit der Initiativen ist ausschlaggebend, sondern ein schnödes Blatt Papier. Getreu dem Extremismusansatz folgend gibt es einen Feind von Links und von Rechts. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich auch gegen institutionellen Rassismus engagieren, Einstellungen der sogenannten Mitte zum Problem erklären oder gar Amtsträger kritisieren, stehen dabei per sé in Verdacht keine guten Demokrat_innen zu sein. Der Staat in persona von Frau Schröder reagiert verärgert auf »zuviel« Demokratie.

Es finden sich zur Legitimation des Extremismusansatzes und somit auch der Klausel mitunter absurd anmutende, wild durcheinander gewürfelte Behauptungen die von der »Gewaltspirale in der Weimarer Republik«, »stalinistischem Terror in der Ostzone« über einen »steineschmeißenden Außenmininster« bis hin zu den antibürgerlichen »Hippies und 68ern« reichen.

Diese pauschalen Behauptungen bilden ein Konglomerat von Misstrauen und Ablehnung, welches durch eine gefühlte linksintellektuelle (Medien)Übermacht noch verstärkt wird. Die konservativen Feindbilder erzeugen bei der eigenen Klientel Emotionen und Faktenargumente können dadurch beiseite geschoben werden. So musste das Bundesfamilienministerium eingestehen, dass in den vergangenen zehn Jahren kein Fall der Mittelzweckentfremdung vorgekommen ist. Bei den Projekten zu denen Vorwürfe im Raum standen, handelte es sich ausschließlich um Maßnahmen gegen »islamistischen Extremismus« im Rahmen der qualitativ höchst unterschiedlich zu bewertenden »Lokalen Aktionspläne«. Zwei Projekte kamen nicht zustande, das dritte wurde nicht aus Bundesmitteln finanziert.

Fair wäre es nur, wenn die konservativ-liberale Mehrheit den Hintergrund ihrer Bestrebungen öffentlich zur Diskussion stellen und eine tatsächliche Auseinandersetzung um historische und aktuelle Problemstellungen möglich würde. Statt diese Debatte aber zu führen, wird in »Zeiten der Macht« versucht, über Umwege gegen als »links« oder »oppositionsnah« wahrgenommene gesellschaftliche Träger vorzugehen, stellt diese unter Generalverdacht und setzt sie der Diffamierung aus. Für die betroffenen Initiativen politisch eine nahezu ausweglose Situation.

Geheimdienste als Werbeträger für Mitbestimmung,Transparenz und Partizipation?

Der kalkulierte Eklat seitens des Ministeriums hat zum Ziel, zivilgesellschaftliche Akteure aus dem Feld der »Rechtsextremismus«-Bekämpfung zu verdrängen und die Aufgabengebiete an Behörden wie Verfassungsschutz, Polizei oder Justiz abzugeben. Die Vorstellung, dass nichtstaatliche Organisationen in diesem Politikbereich mehr Kompetenz verkörpern als staatliche Institutionen, behagt einem kontrollfixierten Staat nicht. Der Wille wieder mehr Kontrolle und Einfluss zu erlangen, prägte bereits das vorangegangene Bundesprogramm »Kompetent für Demokratie«, bei dem die jeweiligen Landesregierungen mit der Koordination beauftragt wurden. In den alten Bundesländern gingen daraufhin die Beratungsnetzwerke häufig gleich in Trägerschaft staatlicher Stellen und wurden von dort aus auch inhaltlich gesteuert. Die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Organisationen erfolgte ausschließlich über Einbindung ihrer Fachexpertise. Die Berichtspflicht der Träger im Beratungsnetzwerk gegenüber dem Staat wurde immer weiter verschärft, bis dahin, dass schließlich ein Online-Tagebuch nur noch über den Weg des Datenschutzes abgewehrt werden konnte.

Demokratiedebatte statt Extremismusangst

Entgegen der Vermutung aus dem Hause Schröder ließen sich die Initiativen aber nicht von der Androhung des Extremistenscreenings erschrecken, sondern formierten sich zum bundesweiten Protest. Die Protestaktivitäten und -bekundungen reichen heute von renommierten Wissenschaftler_innen, über kirchliche Organisationen und Antifagruppen, Kulturschaffende, Vertreter_innen der Zentralräte der Juden und Muslime, allen demokratischen Oppositionsparteien, Mitgliedern von Landesregierungen und unzähligen zivilgesellschaftlichen Initiativen. Dass diese Solidarisierung eingetreten ist, ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass sich Engagement gegen Neonazis und menschenverachtende Einstellungen nicht durch obrigkeitsstaatliche Misstrauensdebatten und Extremismusvorwürfe auseinanderdividieren lässt.

Neben diesem breiten Solidarisierungsaspekt hat die Debatte aber noch einen weiteren wichtigen Beitrag geleistet. So ist in Teilen der Zivilgesellschaft eine Diskussion um das eigene Selbstverständnis entstanden, ein Prozess der seit langer Zeit von Nöten war. Der Diskussionsverlauf hat aktuell eine neue Qualität von Selbstdefinition und -verortung sowie Auseinandersetzung mit Demokratie und Staat bewirkt. Nicht Staatstreue ist dabei Kennzeichen einer mutigen Zivilgesellschaft, sondern die Verpflichtung zu Demokratie und den allgemeinen Menschenrechten. Man hat sich nicht im quasi vorauseilenden Gehorsam brav zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, sondern eine politische Debatte eingefordert und diesen Generalverdacht und die Bespitzelungsaufforderung zu Recht von sich gewiesen. Das Selbstverständnis einiger Träger, Bestandteil einer freien engagierten Bürgerschaft und nicht der Verwaltung zu sein, ist weiter gewachsen.

Der Aufstand der Bundesländer

Aus der politischen und juristischen Bedenklichkeit heraus haben sich zahlreiche Bundesländer entschlossen, das Vorgehen der Bundesregierung nicht mitzutragen. Berlin hat Widerspruch gegen die Klausel eingelegt und will juristisch dagegen vorgehen. Weitere Bundesländer haben angekündigt die Erklärung nicht an die Träger weiterzureichen und lehnen es ab, den Bekenntnis- und Bespitzelungszwang in ihre Landesprogramme einzuführen. Dies scheint einzig am »Tal der Ahnungslosen« bei der sächsischen Landesregierung in Dresden vorbeigegangen zu sein. Diese legte eine abgewandelte Version der Klausel für das Landesprogramm vor, welche nun im zweiten Teil fordert, dass die Initiativen dafür verantwortlich sind, dass ihre Partner ebenfalls ein Bekenntnis ablegen; eine »Verschlimmbesserung« nennen es örtliche Initiativen.

Klagt doch! Von den misslichen Optionen der Gegenwehr

Wenn politische Durchsetzungsoptionen zur Verhinderung der Klausel trotz des breiten Bündnisses und der Kompromissangebote gescheitert sind, bleibt letzten Endes nur der Weg der gerichtlichen Feststellung. So simpel und logisch dies klingt, so hoch ist die Hürde für die einzelnen Initiativen. Eine Klage bringt nicht nur Rechtsunsicherheit über Jahre, sondern birgt die Gefahr, dass die Mittel nicht ausgezahlt werden und somit die Projekte eingestellt werden müssen. Der Abwägungsprozess zwischen politischem Rückgrat, Verpflichtungen als Arbeitgeber_innen und vor allem der Notwendigkeit der Tätigkeit dürfte vielen Trägern nicht leicht fallen. Letztlich wird die übergroße Mehrheit die Klausel, wenn auch unter formuliertem Protest, unterschreiben und auf eine juristische Lösung hoffen.

Schon jetzt ist eine große Hilflosigkeit zu verspüren. Die ersten Träger haben die Klausel unterschrieben, es kursieren Gerüchte über Mittelbeschneidungen aufgrund der Teilnahme am Protest. Ob und inwieweit die Initiativen tatsächlich wie bisher weiterarbeiten (können) wird sich erst in der zukünftigen Praxis zeigen. Skepsis ist bei allem Vertrauen und politischer Glaubwürdigkeit angezeigt.

Fazit

Trotz dieses unsicheren Ausblicks in die Zukunft muss festgestellt werden, dass die Initiativen mehr Kampfeslust bewiesen hatten, als viele ihnen zutrauten. Es scheint, als könnte sich die Regierung an dieser Machtprobe verheben und vor Gericht einen weiteren Dämpfer erhalten.
Jenseits der erzwungenen Auseinandersetzung sollte sowohl der Weg der Debatte um eigene Werte, Ansprüche und Ziele weiter begangen, als auch aktiv auf einen politischen Wandel hingewirkt werden. Demokratiekonzepte fern von rigiden ordnungspolitischen, antipartizipativen Modellen zu diskutieren und umzusetzen, scheint ein qualitativ wünschenswerter nächster Schritt zu sein. Dabei sollte der Bogen von wissenschaftlichen Ansätzen über parlamentarische Vertreter_innen bis hin zu neuen praktischen Bündnisprojekten gespannt werden. Ein durchaus hoffnungsvoller Blick in die Zukunft, ob er sich innerhalb der Initiativenlandschaft gegen obrigkeitsstaatlichen Gehorsam durchsetzt, ist noch offen.