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Westerwald: Eine Kameradschaft und ihr Ende

Einleitung

Vor dem Landgericht Koblenz begann im November 2005 der größte Neonazi-Prozess des Jahres in Deutschland. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen 16 Aktivisten der Kameradschaft Westerwald haben es in sich: Schwere Körperverletzung, waffenrechtliche Verstöße, schwerer Landfriedensbruch, Bildung einer kriminellen Vereinigung und mehr.

Die Kameradschaft Westerwald bei einem Neonaziaufmarsch in Dortmund

»Smash the Reds«

Zuvor schon, im August 2005, waren elf Jugendliche der Kameradschaft vom Jugendschöffengericht verurteilt worden: ein 18-jähriger, der zudem seine Freundin misshandelt hatte, muss für 30 Monate ins Gefängnis, dem Rest bleibt der Knast erspart. Auch den 16, die nun vor Gericht sitzen, signalisiert der Richter Entgegenkommen. Wer Reue zeigt und geständig ist, kann auf mildere Strafen hoffen. Fast alle Angeklagten nehmen das Angebot an, geben hier ein bisschen zu, reden die eigene Rolle klein und belasten ihre Kameraden. Nach und nach werden ihre Verfahren abgetrennt und mit Bewährungsstrafen entschieden.

Für die letzten Fünf, die Mitte Dezember noch auf der Anklagebank sitzen, kann es jedoch eng werden. Zum Beispiel für Christian Steup, 27jähriges Mitglied des Landesvorstands der rheinland-pfälzischen NPD, den Angehörige angeklagter Neonazis als den »Verführer unserer Kinder« sehen1 , oder für den 23jährigen Timo P., der außerdem mit Hakenkreuzfahnen handelte und unter dem Pseudonym »Antisemitix« hasserfüllte antisemitische E-Mails verschickte. Und insbesondere für Lars H., 28 Jahre alt, der am 29. Januar 2005 jenen Überfall angeführt haben soll, der schließlich das Ende der Kameradschaft bedeutete.

Der Überfall fand statt in Daaden, einer kleinen Stadt am nördlichen Ende des Westerwaldes. In einer Hütte oben im Wald veranstaltete eine linke Jugendgruppe ein Punkkonzert. Die Neonazis planten, sich durch den Wald anzuschleichen, das Konzert zu stürmen und alles kurz und klein zu schlagen. Da sie jedoch an der Hütte hundert Personen sichteten, die ihnen recht wehrhaft erschienen, beschränkten sie sich darauf, Besucher auf der Anreise zu überfallen. Sie blockierten den Waldweg, der zur Hütte führt, mit Baumstämmen und Nagelbrettern, zertrümmerten einem Auto von Konzertbesuchern mit Baseballschlägern die Scheiben, wobei nur durch Zufall niemand verletzt wird. Die Fahrerin eines zweiten Autos, das anhalten musste, wurde angegriffen und ihr wurde gedroht, sie »kalt zu machen«. Dann flüchteten die Täter unerkannt. (...)

Fünf Monate später fanden bei 41 Neonazis aus dem Kreis der Kameradschaft Westerwald Razzien statt, Lars H. wurde auf seiner Arbeit bei der Müllabfuhr vom Müllwagen herunter verhaftet. Gegen neun Personen wurde Untersuchungshaft angeordnet.

Über viele Monate hatten die Ermittler Straftaten der Kameradschaft zusammengetragen, mit dem Überfall in Daaden war das Maß nun offensichtlich voll geworden. »Langwierige und schwierige« Ermittlungen seien den Razzien voraus gegangen, schreibt die Staatsanwaltschaft Koblenz.2 Dabei hatte Lars H. den Ermittlern eine Steilvorlage gegeben, die sich mit Tölpelhaftigkeit und Unerfahrenheit nur unzureichend erklären lässt – sondern vielmehr mit der Allmachtsphantasie eines Neonazis, der offenkundig glaubte, unangreifbar zu sein und sich alles erlauben zu können. Er hatte den Überfall von seinem Handy aus dirigiert und an die Mittäter per SMS-Nachricht die Parole verschickt: Smash the Reds.

Die Partei und ihr Fußvolk

(…) Im Vergleich zur Entwicklung anderer Kameradschaften verläuft die Geschichte der Kameradschaft Westerwald recht ungewöhnlich. Am Anfang stand nicht die rechte Clique vom Dorfbrunnen, die irgendwann den Entschluss fasste, sich mit dem Label einer Kameradschaft eine explizit politische Identität zuzulegen. Stattdessen sammelte sie Mitglieder aus allen Ecken des Westerwaldes. Per Inserat in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme im Oktober 2003 warb sie für ihre 14-tägigen Treffen und suchte »aktive Mitstreiter« für »eine noch engere Zusammenarbeit zwischen ›freien‹ Kameradschaften und der NPD.« Einer der Angeklagten im Koblenzer Prozess gibt zu Protokoll, die Gründung der Kameradschaft sei von der NPD angeregt worden und Christian Steup erklärt freimütig, er sei von der Partei in die Kameradschaft delegiert worden, »um die Bindung der Gruppe an die NPD zu gewährleisten.«3 Von den kriminellen Aktivitäten der Gruppe will er freilich nichts gewusst haben.

Selbst die 81 jährige Marianne H. stand zeitweise im Focus der Ermittler. Sie beteuert, mit der Kameradschaft Westerwald nichts zu tun gehabt zu haben und »reingelegt« worden zu sein.4 Doch Bilder zeigen sie, wie sie auf einem Aufmarsch hinter dem Transparent der Kameradschaft Westerwald marschiert. Marianne H. ist die Ikone der Westerwälder Neonazis. Sie ist eine Vertreterin der »Erlebnisgeneration« und stolz, sich noch im letzten Kriegsjahr 1945, als das Dritte Reich in den letzten Zügen lag, bei der Panzerjägerabteilung 1563 als Krankenschwester zum Frontdienst gemeldet zu haben. Insbesondere die NPD hält große Stücke auf »ihre« altgediente Kameradin und dafür hat sie auch allen Grund: 1998 schenkte Marianne H. der Partei ein Haus und drei Flurgrundstücke in Derschen, einem Dorf in der Gemeinde Daaden, gleich beim Dreiländereck Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen.

Zur älteren Generation im Kameradschaftskreis zählt auch Michael Müller,  48 Jahre alt, ein glühender Verfechter heidnischen Artglaubens, der auf so mancher Hochzeit tanzt. Der Familienvater aus Driedorf im hessischen Zipfel des Westerwaldes war an der Planung und Durchführung des Überfalls in Daaden beteiligt. Als zweiter Vorsitzender eines im Frühjahr 2005 gegründeten Deutschen Notopfer Hilfswerkes (DNHW) sorgt er sich um »in Not und Elend geratene Menschen deutscher Abstammung«.5 (…) Man muss nicht zwischen den Zeilen lesen, um die extrem rechte Ausrichtung dieses obskuren Vereins zu erkennen. So stellt sich natürlich die Frage, ob die Sach- und Geldspenden, die der Verein von Privatpersonen und Gewerbetreibenden zu schnorren versucht, tatsächlich so selbstlos an Obdachlose und Hartz-IV- Betroffene verteilt werden – vor allem auch, da er großes Interesse an der Nutzung leerstehender Lagerhallen bekundet.

Insbesondere jugendkulturell gab sich die Kameradschaft Westerwald aufgeschlossen. Die verbliebenen Neonazis auf der Anklagebank können, zumindest vom äußeren Eindruck her, kaum unterschiedlicher sein.

Lars H. ist der grobschlächtige Neonaziskinhead, der sich bemüht, dies vor Gericht zu verbergen. Er sieht sich als Aussteiger, ist kooperativ und fabuliert darüber, mit seiner Freundin (die im selben Prozess zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde) ein »neues Leben« anfangen zu wollen. Timo P., mit langen blonden Haaren, ist ein eingefleischter Szene-Gänger des National Socialist Black Metal und begeisterter Anhänger der Waffen-SS, woraus er keinerlei Hehl macht. Er erweckt nicht den Eindruck als verstünde er überhaupt, was um ihn herum passiert, scheint immer noch gefangen in einer Parallelwelt aus Gewalt und Machtphantasien. Ganz anders Christian Steup: Gegelte Haare und Maßanzug, selbstsicher im Auftreten. Er wählt seine Worte mit Bedacht, argumentiert, erklärt und führt sich auf wie ein beleidigter Sozialarbeiter, dem die schwere Arbeit mit seinem schwierigen Klientel nicht gedankt wird. Eben ein geschulter Kader der NPD.

Auszugsweiser Vorabdruck aus:
Stand.Land.Rechts – Reportagen von rechtem Alltag und lokaler Gegenwehr in Ost und West. Erscheint voraussichtlich im Februar in der reihe antifaschistischer texte (rat) im Unrast-Verlag.

  • 1Klaus-Peter Klingelschmitt: »Diesmal ohne Springerstiefel«, tageszeitung vom 6. Dezember 2005
  • 2Information für die Presse Nr. 18/2005, Staatsanwaltschaft Koblenz, 29.05.2005
  • 3Klaus-Peter Klingelschmitt, a.A.o.
  • 4»Besuch im Reich der alten Dame«, Rhein Zeitung vom 14. Novem­ber 2005
  • 5vgl. Deutsches Notopfer Hilfswerk – DNHW e.V., Satzung , beschlossen am 12. März 2005 in Waldbrunn-Ellar