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Wehrsport in sächsischen Wäldern. Militante Neo-Nazis wohlwollend toleriert

Einleitung

Am 24. Juni 2000 fanden im Elbsandsteingebirge Durchsuchungen bei den »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS), einer militanten neonazistischen Gruppierung statt. Die Beamten fanden bei Durchsuchungen in 51 Wohnungen Propagandamaterial und ein Waffenarsenal. Darunter mehr als zwei Kilo TNT, Teile von Granaten, scharfe Zündvorrichtungen, Munition, und Pistolen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die SSS wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Foto: gamma.noblogs.org

Gruppenbild der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS).

Entwicklung der SSS

Die SSS entstand 1997. An der Gründung war u.a. Thomas Sattelberg, ehemaliges Mitglied der »Wiking Jugend« (WJ), beteiligt. Verbunden mit der Gruppe ist auch der Kreisgeschäftsführer der NPD, Uwe Leichsenring. Für die Unterstützung und Aufbauhilfe seitens der NPD zeigten sich die SSS erkenntlich. Sie übernahm den Schutz von NPD-Veranstaltungen und leisteten Hilfe beim NPD-Wahlkampf. So waren über Jahre die militanteren „Freien Kameradschaften“ und die sich seriös gebende NPD miteinander vereint.

Aufbau und Struktur

Die inzwischen auf über 100 Nazis angewachsene Kameradschaft ist straff strukturiert und teilt sich in fünf lokale Riegen auf. Die jüngeren Kameraden werden zuerst in eine sog. Aufbauorganisation, die SSS/AO, aufgenommen, in der sie eine Bewährungszeit von einem halben Jahr durchlaufen müssen. Zur finanziellen Absicherung werden monatliche Mitgliedsbeiträge von 5,– DM (SSS) und 2,50 DM (SSS/AO) erhoben. Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda werden zielgruppenorientiert mit zwei Zeitungen betrieben: Die Zeitschrift »Froindschaft« für die Älteren, die Zeitung »Parole« für SchülerInnen. Kern der Kameradschaft sind etwa 20 Neonazis.

Ihre Hauptaufgabe sieht die SSS, laut LKA-Sprecher Hofner, vorrangig darin, Menschen anderer Hautfarbe, aus anderen Ländern, Linke und Andersdenkende mit äußerster Gewalt zu bekämpfen. Es kam in den letzten Jahren zu unzähligen Übergriffen seitens der Neonazis. Veranstaltungen von nichtrechten Jugendlichen wurden fortlaufend überfallen. Dabei handelte es sich meist um straff organisierte Aktionen. Die Kameradschaft ist als äußerst militante neonazistische Organisation einzuschätzen. Die jetzigen Waffenfunde sind daher nicht überraschend.

Bereits vor dem Verbot der »Wiking Jugend«experimentierten einzelne sächsischen WJ-Mitglieder mit Sprengstoff. Im März 1993 explodierten in der Nähe von Königstein einige Sprengkörper. In diesem Zusammenhang fiel auch der Name Sattelberg. Schon seit längerer Zeit beschäftigte sich die SSS mit paramilitärischer Ausbildung. Vor allem auf alten Truppenübungsplätzen und in abgelegenen Waldgebieten der Sächsischen Schweiz fanden die Wehrsportübungen statt. In Deutschland wurden Mitglieder der »Skinheads Sächsische Schweiz« an Handfeuerwaffen ausgebildet, in Tschechien hingegen auch an schwereren Waffen. Die Ermittler fanden im Zuge der Durchsuchungen auch den Plan für eine sogenannte »Operation Alpha«, bei der eine Menschenjagd in einem alten Fabrikgelände organisiert werden sollte.

We′re one family! Nazis mitten in der Gesellschaft

Die Sächsische Schweiz ist eine Hochburg der Neonazis in Sachsen. Dies ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Einerseits haben sie es geschafft, eine gut durchorganisierte militante Struktur aufzubauen und andererseits lassen Lokalpolitik und Bevölkerung die Neonazis gewähren. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Juni vergangenen Jahres sprechen eine deutliche Sprache: Die NPD erreichte 11,8% der WählerInnenstimmen in Königstein. Das stellte ihr bestes Ergebnis in Sachsen dar. Der Partei gelang es, in den Kreistag und in zwei weitere Gemeindeparlamente einzuziehen. In einer dritten Kommune scheiterte sie nur knapp.

Kennzeichnend für die passive Haltung der »demokratischen Öffentlichkeit« ist die Feststellung des Bürgermeisters von Königstein, er könne trotz dem Einzug der NPD in das örtliche Parlament »keinen Rechtsruck« feststellen. Dem SPD-Fraktionsführer bereitete dies »keine Kopfschmerzen«, und der SPD-Stadtrat Ivo Teichmann sieht es gar optimistisch: »Vielleicht kann Leichsenring ja auch Vorschläge für die Stadt machen, die besser sind als unsere.« Der PDS-Kreisverbandschef Hans-Peter Retzler erklärte: »In Königstein war ein Protestwählerpotential vorhanden, das hätten wir genauso gewinnen können.«

Tatsächlich greift die Protestwählerargumentation in der sächsischen Kleinstadt nicht. Die Arbeitslosenquote liegt klar unter dem sächsischen Durchschnitt, nur ein kleiner Teil der Jugendlichen ist arbeitslos. Fakt ist, dass in dieser Gegend no-go-areas für die Feindbilder der Nazis weitestgehend erfolgreich geschaffen worden sind – und dies geschah nicht nur aufgrund der Aktivitäten von SSS und NPD, sondern vielmehr durch die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung. Die örtliche Sächsische Zeitung berichtete, wenn überhaupt, nur sehr spärlich von rechten Übergriffen. Ganz zu schweigen davon, dass es eine aufklärende Berichterstattung zu Rechtsextremismus in der Sächsischen Schweiz gegeben hätte.

Das Gegenteil war der Fall. Das Lokalblatt veranstaltete am 4. Oktober 1997 ein »Konzert von jungen Nachwuchsbands des Landkreises«. Die Zeitung sponserte 600,– DM Preisgeld, die Sparkasse Pirna-Sebnitz legte noch einmal 500,– DM drauf. Dass sich gerade dieses Geldinstitut so um Newcomerbands sorgte, könnte damit zusammenhängen, dass bei ihm das SSS-Mitglied Roland J., bei ihm wurde im Zuge der Durchsuchungen das Waffenarsenal gefunden, angestellt war. Das Ortsblatt übernahm die Werbung und stellte die Bands vor. Darunter befand sich die rechtsextreme Skinheadband »14 Nothelfer« mit ihrem Frontmann und SSS-Gründungsmitglied Thomas Sattelberg.

Die Zeitung wurde nicht stutzig, als man sich als eine Band »die standhaft sein und weiter gesellschaftskritische Songs machen« werde, vorstellte. Dies druckte die Sächsische Zeitung ohne weitere Nachfrage zwei Tage vor dem Konzert ab. Dass dann etwa einhundert Nazi-Skinheads zum Wettbewerb auftauchten und die Band zum Gewinner kürten, war vorhersehbar. Dieser Vorfall ist durchaus symptomatisch für den gesamten Landkreis. Es ist nicht so, dass die Verantwortlichen nicht wüssten, dass ein Großteil der Jugendlichen in rechtsextremen Kreisen verkehrt. Es sind ja ihre Söhne und Töchter. So war es nur konsequent, dass bei den Durchsuchungen auf regionale Polizeikräfte verzichtet wurde. Die offizielle Begründung dafür lautete: Es gibt zwischen Beschuldigten und Mitarbeitern von Polizei, BGS und Justiz verwandtschaftliche Beziehungen.

So sind Vater und Mutter des ehemaligen WJ-und späteren SSS-Mitglieds Tino K. als Führungsbeamter beim Bundesgrenzschutz und als Schreibkraft und Gehilfin eines Staatsanwaltes beim Amtsgericht Pirna beschäftigt. Dem Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt ist die Haltung eines rechtsextremen Kollegen ebenfalls schon lange bekannt. Das hinderte ihn nicht daran, Thomas Sattelberg als Sozialpädagoge für Jugendarbeit zu beschäftigen. Er bescheinigt ihm, »gute Arbeit« geleistet zu haben. Den Sprengstoff fand man letztendlich bei dem Gemeinderatsmitglied der »Freien Wähler« in Kleingießhübel, Michael Jacobi, und dessen zwei Söhnen. Bei der Wahl 1999 erhielt er das drittbeste Ergebnis.

Die Zeit danach ...

Auch nach der großangelegten Durchsuchungsaktion im Juni und einer weiteren Durchsuchung bewegte sich wenig. Man übt sich wie immer im Wegschauen, Verleugnen und Totschweigen. Das plötzliche Medieninteresse wird als lästig empfunden, das Problem als von außerhalb hereingetragen betrachtet. In der Sächsischen Schweiz ist es längst kein Geheimnis mehr, dass bei den Durchsuchungen bei weitem nicht alles gefunden worden ist. So brüsten sich die SSS’ler schon jetzt, dass sie nicht klein zu kriegen seien. Erneut sind schriftliche Drohungen an Andersdenkende verschickt und erneut eine rechte Schülerzeitung veröffentlicht worden. Möglich wurde eine derart gefestigte Struktur durch ein jahrelang unbehelligtes Wirken.

Nur einmal regte sich öffentlicher Widerstand. Als Manfred Roeder im Zuge einer NPD-Veranstaltung in Königstein sprechen sollte, fand ein antifaschistischer Spaziergang statt, an dem verhältnismäßig viele BürgerInnen teilnahmen. Eine Nacht vor dem in der Kirche geplanten Gedenkgottesdienst wurde diese mit antisemitischen Parolen beschmiert. Mehrmals versuchten vermummte Neonazis, den antifaschistischen Spaziergang anzugreifen. Vor einem knappen Jahr gründete sich in Pirna eine »Aktion Zivilcourage«, die versucht , auf das Problem in der Region aufmerksam zu machen. Auch eine kleine Antifa-Szene konnte sich in den letzten Jahren etablieren. Doch beim überwiegenden Teil der Bevölkerung herrscht ein rassistischer Konsens.