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Was nicht passt, wird passend gemacht

Soligruppe Free Schubi
Einleitung

Seit Dezember sitzt Schubi in Mecklenburg-Vorpommern (MV) in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Rostock wirft ihm vor, bei Fußballspielen im Jahr 2014 mehrere Steine auf Polizeibeamt_innen geworfen zu haben. Wie im Fall von Valentin in Bremen trifft die Repression auch bei Schubi einen Antifaschisten und Fußballfan. Beide Fälle zeigen, wie weit die Justiz bereit ist zu gehen, wenn durch die Politik die Forderung nach einem starken generalpräventiven Signal in unliebsame Szenen erhoben wird. Beide Fälle zeigen trotz aller Unterschiede und der jeweiligen Fanszenen wie Tatmotive konstruiert werden, wenn das Innenministerium nach einem Exempel gerufen hat. Am Ende sitzen zwei linke Fußballfans im Knast. 

Die Anklage und Beweisführung der Staatsanwaltschaft Rostock

Der Hauptgeschädigte im Rostocker Verfahren ist ein Polizist der Bereitschafts- und Festnahmeeinheit (BFE) der Bereitschaftspolizei MV, der auch als Nebenkläger auftritt. Einen der Steinwürfe wertet die Staatsanwaltschaft als versuchten Totschlag. Mit diesem Tatvorwurf wurde auch die Untersuchungshaft begründet, obwohl keiner der Geschädigten durch den Einsatz dienstunfähig geworden ist. Bei der zweiten Haftprüfung wurde der Haftbefehl wegen versuchten Totschlags von den zuständigen Haftrichtern revidiert. Man gehe bei der Tat von gefährlicher Körperverletzung aus, da Polizist_innen durch ihre Schutzkleidung geschützt seien und keine Tötungsabsicht zu erkennen sei. Dennoch sitzt Schubi wei­ter­hin in Untersuchungshaft, die mit Fluchtgefahr aufgrund der zu erwartenden Haftstrafe begründet wird.

Die Anklage stützt sich auf Aussagen von Polizeibeamt_innen und Sachverständigen sowie auf ausgewähltes Videomaterial von den Einsätzen. Die zu Beginn des Verfahrens eingeführten Videos stellen allerdings nur einen Bruchteil aller Aufzeichnungen dar. Einsicht in das gesamte Material von mehreren Terabyte wurde der Verteidigung bisher nicht gewährt. Daher, so wies die Vertei­digung im Prozess hin, bestünden bedenkliche Parallelen zu zwei Verfahren um die Proteste gegen den Neonaziaufmarsch in Dresden im Jahr 2011. In den Prozessen gegen Lothar König und Tim H. (AIB 106) konnte die Unschuld der Angeklagten erst durch eine von der Verteidigung erwirkten Auswertung von ungeschnittenem Videomaterial nachgewiesen werden. Auch im Verfahren gegen Schubi kritisierte die Verteidigung das vorschnelle Festlegen der Ermittlungsbehörden auf den Angeklagten. Die in kleine Kurzfilme zusammengeschnittenen Aufnahmen sollen einen einzelnen „Intensivtäter“ bei Steinwürfen zeigen. Zuständig für diese Beweissicherung war ein Kollege des Nebenklägers aus der BFE. Er und seine Kolleg_innen sagten aus, dass ihnen schon während des Tages bewusst gewesen sei, dass es sich um ein und denselben abgebildeten Täter gehandelt habe. Gemeinsam sind diesem jedoch nur „charakteristische“ Merkmale wie eine schwarze Jacke, eine Sturmhaube und blaue Jeans. Die einzelnen Sequenzen zeigen ähnlich große Personen, die aber unterschiedliche Kleidung tragen. Diesen Umstand erklärten sich die Beamt_innen u.a. durch das „Vermummen“ von Schuhen mit schwarzen Socken. Dennoch behauptet die Anklage, es handle sich um den gleichen Täter. Diese Annahme konnten Gutachten bisher jedoch nicht belegen. Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden mutet einer „was nicht passt, wird passend gemacht“-Strategie an. Der für die Beweissicherung zuständige Zeuge drückte es vor Gericht wie folgt aus: „Ich habe so lange gesucht, bis es für mich keinen Widerspruch mehr gab, dass es sich um immer den gleichen Täter handelt.“

Der Ruf nach generalpräventiver Wirkung

Bereits kurz nach dem Spiel des FC Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden riefen Innen­­minister Lorenz Caffier (CDU) und Poli­zeichef Michael Ebert (Rostock) nach einem konsequenten Verfolgen von gewalttätigen Fußballfans1 . Wie bei Valentin in Bremen mischte sich der Innenminister des Landes in die Aufgaben der Justiz ein. Beim zweiten Haftprüfungstermin kritisierte Caffier öffentlich die Einschätzung des Gerichts, dass das Vorliegen des Tatbestands des versuchten Totschlags beim Prozess erst noch zu prüfen sei2 . Zudem erwarte der Innenminister, dass Schubi nicht nur für „Petersilienzupfen“ verurteilt wird3 . Diese Äußerungen passen in seine Linie des harten Durchgreifens bei Gewalt gegen die Polizei. Erst kürzlich ließ sich Caffier mit der Forderung nach einem neuen Straftatbestand für Angriffe auf Polizeibeamte zitieren4 .

Repressionen im Knast

Die Prozesstage am Landgericht wurden von Beginn an mit Kontrollen, dem Einsatz von Zivilbeamt_innen drinnen und uniformierten Kräften draußen abgesichert. Am achten Verhandlungstag änderte sich dies jedoch. Nunmehr saßen hauptsächlich uniformierte Polizist_innen im Gerichtssaal. Während der Verhandlung informierte die Verteidigung das Gericht darüber, dass ein Beamter offenbar in Funk- und Sichtkontakt mit Kolleg_innen außerhalb des Saales stehen würde. Darauf hindeutende Aussagen waren im Zuschauerraum vernommen worden. Damit wären nicht zum ersten Mal in dem Verfahren uner­laubt Aufnahmen gemacht worden. Bereits im Frühjahr wurde durch die Verteidigung bekannt, dass ihre Kommunikation mit dem Mandanten auf Anordnung des Gerichts überwacht worden sei5. Die Kontrolle von Schubis Post wurde anschließend für rechtswidrig erklärt. Auch hatten die Ermittlungsbehörden — allerdings ohne Erfolg — versucht mit im Gefängnis installierten Kameras ein Bewegungsgutachten anzufertigen.

Der Höhepunkt der Repression hinter Gittern wurde allerdings mit einer Aussage eines ehemaligen Mitgefangenen erreicht, der sich dem Verfassungsschutz MV als Informant anbot. In einem protokollierten Gespräch mit dem Staatsschutz der Kriminalpolizei Rostock wird ein Bild vom Angeklagten und der lokalen linken Szene gezeichnet, dass nur allzu gut in das Extremismus-Schema der Behörden passt. Abstruse Behauptungen einer bundesweit agierenden linken Rostocker „Zelle“ von mehreren Dutzend Personen sind darin dokumentiert. Schubi wird darin als Person beschrieben, die sich gleichsam in der Tradition „Stauffenberg, der Weißen Rose und RAF“ (sic!) bewege. Die Behauptungen des Informanten dienten als Vorwand seine Zelle zu durchsuchen. Schubi wurde verboten, in dieser Zeit die Zelle zu betreten. Ein unabhängiger Zeuge war nicht zugegen, auch seinen Anwalt durfte er nicht informieren. Der Staatsschutz fand allerdings keine Beweise, um die Aussagen des Informanten zu belegen. Der Informant soll auch als Zeuge im Prozess gehört werden.

Konstruktion des Tatmotivs

Bereits bei der ersten Hausdurchsuchung wurden T-Shirts mit linken Motiven beschlagnahmt, während die Polizei eigentlich nach dunkler Kleidung suchte. Aus einer nach­gewiesenen Teilnahme an Protesten gegen den Castor-Transport im Wendland 2011 sowie an Blockupy im Jahre 2013 in Frankfurt konstruierte die Staatsanwaltschaft die Behauptung, Schubi würde auch Fußballspiele nutzen, um Straftaten aus der Deckung der Masse heraus auszuüben. Und obwohl es dafür keinerlei objektive Beweise gibt, begründete die Generalstaatsanwaltschaft damit ihre Ablehnung einer Haftbeschwerde: Der Angeklagte würde im Falle einer Freilassung unmittelbar in den Untergrund abtauchen und von dort aus weitere schwere Straftaten gegen den Staat durchführen. Die politische Einstellung soll herhalten, um ein Tatmotiv zu liefern. Dieses wird umso mehr benötigt, weil ein sogenannter „Szenekundiger Beamter“ Schubi nicht der gewaltbereiten Fussballfanszene zuordnete.

Diese Hilfskonstruktion und die massive Rechtsbeugung sowie die kurzzeitige Anordnung von Beugehaft gegen einen Zeugen deuten darauf hin, dass ein unbedingter Verurteilungswille besteht. Schubis Gefangenschaft soll ein Zeichen in die hiesige Fanszene als auch in die linke Szene senden. An neun Prozesstagen wurde Schubis Fall vor dem Landgericht Rostock bereits verhandelt. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.

  • 1Spiegel-Online, 30.11.2014, „Ost-Derby in Rostock: Innenminister Caffier verlangt Aufarbeitung der Krawalle“; Ostseezeitung, 30.11.2014, „Massive Ausschreitungen nach Hansa-Spiel: 13 Polizisten verletzt“
  • 2Ostseezeitung, 04.07.2015; „Fan-Gewalt: Kritik an Bewertung der Richter“
  • 3Ostseezeitung, 10.08.2015, „Wir müssen die Polizei schützen“ 
  • 4NDR, 28:07:2015, „Ermittlungen nach Attacke auf Polizisten“  5 Nordkurier, 04.06.2015, „Prozess gegen Hansa-Fan startet gleich mit einer Panne“