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Vorbildlicher Volkstod. Das Neonazi-Netzwerk »Spreelichter«

Einleitung

Rhetorische Weichspülerei ist nicht die Sache des südbrandenburgischen Neonazi-Netzwerks »Spreelichter«. Ihre zentrale Parole lautet »Die Demokraten bringen uns den Volkstod«. Mit theatralischen Aktionen und über ihre Webseiten verbreiten sie den Slogan. Das Konzept – völkische Phrasen vermittelt über moderne PR-Methoden – kommt an und wird mittlerweile bundesweit in der Neonazi-Szene aufgegriffen.

Marcel Forstmeier (mit Mikro) zählt zum Kern des »Spreelichter«-Netzwerkes.

Eine Kahnfahrt im Spreewald

Ein Südbrandenburger Volksfest im Jahr 2006: Beim Spreewaldkorso in Lübbenau schippern dutzende geschmückte Kähne an den etwa 2000 Zuschauer_innen vorbei. Eines der Boote sticht aus der Masse der Traditions- und Trachtenmotive heraus. Zwei Personen stehen mit etwas wackeligen Füßen auf dem Kahn – sie sind in Sensenmann-Kostüme gekleidet und halten ein Transparent mit der Botschaft »Die Demokraten bringen uns den Volkstod«.

Was die Aussage der Aktion genau sein sollte, blieb damals für die meisten der eher konsternierten als aufgebrachten Zuschauer_innen wohl unverständlich. Südbrandenburger Neonazis hatten sich, getarnt als ein »Atari Computer Klub«, für den Korso angemeldet. Mit dem Auftritt wurde höchstwahrscheinlich eine Aktion von Linken aus der Region nachgeahmt: Zwei Jahre zuvor hatte sich eine Gruppe von Antirassist_innen in einen Umzug zur 750-Jahrfeier der Stadt Frankfurt/Oder eingeschlichen und Transparente gegen das europäische Grenzregime gezeigt.

Weites Aktionsrepertoire

Die Lübbenauer Neonazi-Kahnfahrt vor fünf Jahren stellte den Startpunkt für den Aktivismus des heutigen »Spreelichter«-Netzwerks dar, das nach ihrem zentralen Internetauftritt benannt ist. Mit der Rede vom »Volkstod« als Trademark haben die Neonazis in Südbrandenburg ein für das extrem rechte Spektrum ungewöhnlich ideenreiches Aktionsrepertoire entwickelt. Tarn-Auftritte bei Volksfesten, recht aufwändige Street-Art-Aktionen und unangemeldete Demonstrationen gehören dazu – oder es werden die Haustüren von Arbeitsagenturen zugemauert.

Zentrales Standbein ist die durchaus professionelle Aufbereitung der Aktionen über eigene Internetseiten. Mit multimedial gestalteten Berichten soll der eigene Aktivismus vermittelt werden und ist zudem um politische und historische Kommentare sowie Flugblatt-Downloads und Audiomagazine ergänzt. Ihr Anliegen benennen die »Spreelichter« in einem 2009 veröffentlichten Positionspapier: »Es geht um Propaganda – um Propaganda, die unmissverständlich das System als Grund dafür erkennt und benennt, dass unser Volk seinem Tod entgegengeht. Um Propaganda, die den nationalen Sozialismus als einzige Lösung etabliert, die ›Demokratie westlicher Prägung‹ hingegen als todbringende Gefahr der Völker brandmarkt.«

An den Schauplätzen der Aktionen kommen die »Spreelichter«-Botschaften nicht immer so an, wie sie intendiert sind. 2010 pinselten die Neonazis die Parole »Arbeit statt Abwanderung« auf den Parkplatz der Senftenberger Arbeitsagentur. Dem Chef der Behörde gefiel der Slogan so gut, dass er seine Mitarbeiter_innen für ein Pressefoto vor dem »anonymen Hinweis« posieren ließ.

Unsterblich in Bautzen

Vorläufiger Höhepunkt war ein Fackelmarsch von mehreren hundert gleichmäßig maskierten Neonazis durch das ostsächsische Bautzen in der Nacht zum 1. Mai 2011. Die unangemeldete, halbkonspirativ organisierte Demonstration war Auftakt für die neue Kampagne »Werde unsterblich«. Ein Videoclip der Demonstration wird auf einschlägigen Internetseiten begeistert kommentiert. »Das ist die beste Aktion die ich seit Ewigkeiten gesehen habe. Ich hoffe, dass nach dem Aha-Effekt und dem vollkommen verdienten Feiern dieser Aktion auch andere Gruppen ihren Worten Taten folgen lassen«, war etwa im neonazistischen Szeneforum Thiazi zu lesen. Sowohl die Maskenaktionen der »Unsterblichen« (die Idee stammt aus dem Film »V wie Vendetta«), sowie die älteren Sensenmann-Auftritte mit der »Volkstod«-Parole werden mittlerweile bundesweit in vielen Städten von dortigen Neonazis nachgespielt. Allein über die Thiazi-Diskussion um die »Unsterblichen« erfährt man von mal mehr, mal weniger gelungenen Aktionen in sieben verschiedenen Bundesländern, welche die Bautzener Aktion nachahmen.

Die Auftritte in Hannover (Niedersachsen), Döbeln, Rodewisch, Kohren-Sahlis (Sachsen), Gießen, Viernheim (Hessen), Potsdam (Brandenburg), Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), Teterow, Waren (Mecklenburg-Vorpommern) und in Deggendorf (Bayern) sind wie beim Vorbild recht sorgfältig mit Text- und manches Mal auch mit Videoberichten begleitet. Auch der zentrale Internetauftritt des »Spreelichter«-Netzwerks hatte kurzfristig mit den »Elblichtern« in Magdeburg Nachahmer gefunden. Mittlerweile sind diese aber schon wieder auf einen einfachen Twitter-Ticker reduziert. Obwohl die »Spreelichter« selbst alles andere als »Autonome Nationalisten« sind, erntet ihre Medienkompetenz gerade auch in diesem, auf ästhetische Aufbereitung des eigenen Tuns bedachten Spektrum Anerkennung. Für den »Nationalen Widerstand Dortmund« produzierten die Spreelichter unter anderem den Mobilisierungs-Videoclip für den dortigen Antikriegstag im September 2011.

Schon lange Feindbild: Die NPD

Die Homepage der »Spreelichter« ist seit März 2009 aktiv, doch das dahinterstehende Netzwerk existiert bereits bedeutend länger. Kontinuierliches Element war und ist eine ins Extrem gesteigerte völkische Ideologie, verbunden mit einer Ablehnung der als parlamentarisch-angepasst angesehenen NPD. Im Jahr 2004 hatten sich wichtige Teile der Berlin-Brandenburger NPD aus der Partei herausgelöst, weil auf Bundesebene der Bosnier Safet Babic als Europawahl-Kandidat aufgestellt worden war (Vgl. AIB Nr. 62).

Der Landesvorsitzende Mario Schulz und JN-Chef Jens Pakleppa traten mit einer großen Gruppe von Getreuen aus der Partei aus. Noch im gleichen Jahr wurde im südbrandenburgischen Vetschau die »Bewegung Neue Ordnung« (BNO) gegründet, die bald unter dem Namen »Ja zu Brandenburg« erfolglos zu den Landtagswahlen antrat. Vor allem unter dem Label »Schutzbund Deutschland« wurde intensive Propaganda betrieben – massenhaft mittels Flugblättern und für den internen Kreis mit Zeitschriften wie »Ein junges Volk«. Das Netzwerk kooperierte zeitweise mit der ebenfalls NPD-feindlichen, völkischen »Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft« (BDVG) in Süddeutschland. Ebenfalls gründete sich 2004 eine »Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost-Brandenburg« (GGSOBB). Bereits 2006 wurde der ultravölkische »Schutzbund Deutschland« verboten (Vgl. AIB Nr. 73). Ein kurz darauf als »Bewegung Neues Deutschland« produziertes Flugblatt brachte den presserechtlich Verantwortlichen Maik Eminger vor Gericht. Die GGSOBB löste sich zum Schein selbst auf. In den zwei Jahren ihrer Existenz war sie an das sächsisch-brandenburgische »Lausitzer Aktionsbündnis« um Sebastian Richter angebunden und betrieb eine nach damaligen Standards professionelle Homepage.

Wenig später ging eine Homepage mit dem Titel »Jugendoffensive« an den Start, auf der mittels Videoclips und Texten Jugendliche motiviert werden sollten, sich dem »Widerstand« anzuschließen.

Ein Webmaster in Lübbenau

Betreiber von BNO- wie GGSOBB-Homepage war der Lübbenauer Neonazi Marcel Forstmeier, der sein Webmaster-Handwerk in einem landesgeförderten Existenzgründerprogramm erlernt hat. Er war bei einem brutalen Überfall zugegen, bei dem 2005 eine Gruppe Neonazis eine antifaschistische Infoveranstaltung in Cottbus stürmte. Forstmeier, Jahrgang 1981, zählt zum Kern des »Spreelichter«-Netzwerks. Eine der ersten Kampagnen richtete sich 2009 gegen einen lokalen Erdbeerbauern und dürfte ihn in finanzielle Schwierigkeiten gebracht haben. Zuerst wurden verschiedene Flugblätter veröffentlicht. Der Bauer sei nicht nur ein Kapitalist, er setze auch giftige Chemikalien ein und beschäftige obendrein osteuropäische Saisonarbeiter_innen. Später wurden Erdbeerverkaufsstände niedergebrannt und es gab einen Einbruch auf dem Hof des Bauern. Fotos davon tauchten auf der »Spreelichter«-Webseite auf. Die folgende juristische Auseinandersetzung um eines der Hetzflugblätter brachte Forstmeier schlussendlich eine saftige Geldstrafe ein. Ein weiterer alter Bekannter tritt inzwischen in Zusammenhang mit den »Spreelichtern« wieder in Erscheinung. Maik Eminger, ehemals um den »Schutzbund Deutschland« aktiv, engagiert sich mittlerweile für eine Potsdamer Kameradschaft, die zuweilen auch als JN-Stützpunkt auftritt – und massiv auf Propaganda mit der »Volkstod«-Parole setzt.

Pathetische Phrasen

Neben den sorgfältig vorbereiteten, nachahmbaren und vergleichsweise einfallsreichen Aktionen dürfte die Ästhetik der »Spreelichter« ein wichtiger Faktor sein, der das Konzept zum Erfolgsmodell werden ließ. Die Sprache in den Veröffentlichungen bedient sich eines ausufernden, zuweilen übersteuerten Pathos.

Ein »Heldengedenken« in einem Waldstück 2010 wird auf der »Spreelichter«-Seite so beschrieben: »Vertraut ist das Bild sich versammelnder bekannter und unbekannter Gesichter, die in kleinen Gruppen beieinander stehen. Aufregung und Anspannung sprechen aus den Mienen der Jüngeren, wissend, dass sie die Grenze des Erlaubten schon überschritten haben. Routine und Gelassenheit stehen in den Gesichtern der Älteren. Allzu bekannt ist das Bild, der Klang der vielen leisen Stimmen, der Geruch von nassem Laub. Wer sich an diesem Novemberabend hier eingefunden hat, steht außerhalb der Gesellschaft eines Staates, der die Geschichte seines Volkes verachtet.«

Auf Außenstehende mag solch eine Sprache lächerlich wirken, für Szeneaffine werden jedoch Deutungen angeboten, über die sich das eigene Tun mit einem übergeordneten Sinn ausstatten lässt. Gezeichnet wird das Bild eines totalitären, maschinenartig-seelenlosen und volksfeindlichen Staates, gegen den sich eine mutige und opferbereite Bewegung von »Widerstandskämpfern« auflehnt. Mit literarischen und filmischen Anleihen wird diese Deutung illustriert. Gern wird beispielsweise George Orwells Roman »1984« herangezogen, die Hintergrundmusik zum Video der »Unsterblichen« stammt aus dem Soundtrack von »Matrix Revolutions«. Die Masken bei den »Unsterblichen«-Aktionen sind dann wohl auch weniger Referenz an ähnliche Optik bei den linken »Überflüssigen« oder den »Anonymous«-Hackern, sondern ein direkter Verweis auf den Film »V wie Vendetta«. Die von den »Spreelichtern« zitierten Verweise behandeln allesamt Widerstandshandeln gegen totalitäre Systeme und beschreiben die gemeine Bevölkerung als geblendete, handlungsunfähige Objekte. Mit ihren Aktionen wollen die »Spreelichter« dann auch das verblendete »Volk« aus seiner Lethargie aufrütteln. Damit einher geht ein Selbstverständnis als bereits erweckte, hellsichtige Avantgarde – man beachte nur die Lichtmetaphorik im Namen »Spreelichter« oder bei den Fackelmärschen.

An regulär organisierten Demonstrationen beteiligen sich die »Spreelichter« kaum. Bei den stattdessen durchgeführten Aktionen wird peinlich genau darauf geachtet, die Beteiligten unerkannt bleiben zu lassen. Es soll der Eindruck hinterlassen werden, die smarten, anonymen »Widerstandskämpfer« könnten jederzeit und überall zur Tat schreiten. Kurzum: Es wird ein Mythos konstruiert. Genau hieraus ergibt sich die Attraktivität der »Spreelichter«-Aktionen. Auf dem Fronttransparent der »Unsterblichen«-Demonstration in Bautzen stand »Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist«. In Kombination mit den Fackeln, den Masken und der halbkonspirativen Vorbereitung ergibt sich der mythische Gehalt der »Unsterblichen« – und ihr faschistischer Charakter.

Demografie und Demokratie

Neben neonazistischen Standards in der Geschichtspolitik – etwa zum jährlichen Gedenken an den Hitlerstellvertreter Rudolf Heß – und tagespolitischen Kommentaren hat das »Spreelichter«-Netzwerk vor allem die Themen Demokratie und Demografie aufs Tableau gehoben. Die »Demokraten« seien verantwortlich für die Miseren der Jetztzeit, für soziales Elend, Gehirnwäsche und konsumistische Dekadenz. Man müsse sich im Rahmen der eigenen Politik in aller Entschiedenheit und ohne rhetorische Abstriche gegen das gesamte System richten. Dass die NPD bei Wahlen antritt macht sie zur Teilhaberin an ebenjenem System. Die Partei sei »demokratisch« verblendet und darum abzulehnen: »Wer sich aus offenkundig kurzsichtigen oder utopischen Vorstellungen zur Teilnahme an Wahlen der Demokraten entscheidet, stellt sich in der öffentlichen Wahrnehmung bewusst oder unbewusst auf die Seite jener, die denken, man könne alles zum Guten wenden, wenn man alle davon überzeugt, einen hierfür zu erwählen.«

Die sozialen Probleme und den Bevölkerungsschwund in ihrer Region nutzen die »Spreelichter« recht geschickt als Agitationsthemen. An der Abwanderung trage das herrschende System die Schuld: »Die Demokraten bringen uns den Volkstod«. In der überschäumenden Rhetorik der »Spreelichter« tauchen beispielsweise Mechanismen innerhalb des Kapitalismus nicht als Grund für soziale Not auf. Die Schuld wird ausschließlich im politischen System der »Demokratie« ausgemacht. Und der Verfall sei absichtlich hervorgebracht, richte sich gezielt gegen das deutsche Volk. Die »Demokraten« würden den »Volkstod« wollen, sie arbeiteten emsig im Dienst dunkler Mächte an der Ausrottung der Deutschen. Auf der Internetseite der »Unsterblichen« wird die Verknüpfung von Demokratie und Demographie explizit versucht: »Die Unsterblichen sind junge Deutsche, die sich bundesweit auf öffentlichen Plätzen zusammenfinden, um auf das Schandwerk der Demokraten aufmerksam zu machen. Worin dieses Schandwerk besteht? All den skandalösen, lächerlichen, peinlichen und unsinnigen Taten der Demokraten, die wir alle tagtäglich erfahren und erahnen, ist eine Sache gemein: Sie führen in ihrer Gesamtheit zum Tod des deutschen Volkes. Allein die Statistik belegt es. So haben deutsche Frauen im Durchschnitt 1,3 Kinder. Was dazu führt, dass sich unser Volk von Generation zu Generation um etwa ein Drittel verringert.«