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Vor 20 Jahren: Der Mord an Dieter Eich

Kampagne „Niemand ist vergessen“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Dieter Eich wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 2000 in Berlin-Buch von Neonazis ermordet. An seinem 20. Todestag waren eine Gedenkdemonstration und Informationsveranstaltungen geplant, die wegen der Corona-Einschränkungen nicht stattfinden konnten. Dennoch waren am 23. Mai 2020 viele Menschen dem Aufruf gefolgt, „Dieter Eichs Namen, sein Gesicht und die Hintergründe des Mordes in die Straßen unserer Städte zu tragen (…)1 . Künstler*innen und Aktivist*innen beteiligten sich mit Graffitis, Plakaten, Transparenten und anderen Beiträgen an den „Aktionswochen zum Gedenken an Dieter Eich“ und machten so ein würdiges Gedenken möglich. Den meisten Menschen war der Mord in Berlin-Buch noch unbekannt, bis Antifaschist*innen 2007 die Hintergründe des rechten Mordes öffentlich machten. Keine Haftstrafe kann diese Tat ungeschehen machen. Was bleibt ist, dem brutalen Mord zu gedenken und zu mahnen, so dass sich derlei Taten nicht wiederholen.

  • 1Zu sehen auf dem Instagram @niemandistvergessenberlin
Foto: Oskar Schwartz

Wer war Dieter Eich?

Der 60-jährige Dieter Eich zog nach dem Tod seiner Freundin von seiner Gartenlaube in Blankenburg in deren ehemalige Wohnung in der Walter-Friedrich-Straße 52 in Berlin-Buch. Dort war er bald unter dem Spitznamen „Beethoven“ bekannt. Im selben Haus wie Dieter Eich wohnte auch sein späterer Mörder - der Neonazi René Rost (18 Jahre / geb. 1982), der Stiefsohn eines ehemaligen Bundesgrenzschutz-Beamten. Das Motiv für den Mord: Dieter Eich war Sozialhilfeempfänger und galt als „Alki“.

Tathergang

Am 23. Mai 2000 feierte René Rost seine Wohnungseinweihung und hatte dazu seine „Kameraden“ Andreas Ibsch, (19 Jahre / geb. 1982) Thomas Sch. (17 Jahre / geb. 1983) und Matthias Kowalik (21 Jahre / geb. 1979) eingeladen. Bereits auf dem Weg zur Wohnung beleidigten sie eine von ihnen als „nichtdeutsch“ gelesene Person. Während der Einweihungsfeier „riefen [sie] rechtsradikale Parolen und spielten lautstark rechte Musik, sodass es zu Beschwerden aus der Nachbarschaft und zu einem Polizeieinsatz kam1 . Gemeinsam schaukelten sie sich in einen Rausch aus Rechtsrockmusik, Alkohol und rassistischen Hass­tiraden und fassten den Entschluss, jemanden „auf[zu]klatschen“. Die Initiative ging dabei maßgeblich von Kowalik aus. Der über ihnen wohnende Dieter Eich schien ihnen dafür genau richtig. Wenn „man so einen aufklatschen wür­de, täte man etwas fürs Volk“, war im Urteilsspruch zu lesen2 .

Rost und Kowalik fanden Dieter Eich in seinem Schlafzimmer vor. Während sie auf den Wehrlosen einschlugen, hielten Andreas Ibsch und Thomas Sch. im Flur Wache. Eine Stunde nach dem brutalen Angriff bekamen die Täter Angst, dass ihr Opfer sie identifizieren könne. Deshalb entschlossen sie sich, Dieter Eich zu ermorden. Sie kehrten zurück in die Wohnung und Rost stieß mehrmals mit einem Jagdmesser auf den Körper von Dieter Eich ein. Kurze Zeit nach der Tat begaben sich Ibsch, Schw. und Kowalik ein drittes Mal an den Tatort, um die Spuren des Mordes zu beseitigen. Dem volltrunkenen René Rost halfen sie aus seiner blutigen Kleidung, steckten diese samt Springerstiefeln in eine Plastiktüte und entsorgten sie im Müllschlucker eines anderen Hochhauses. Zwei Freunde von Dieter Eich, die sich mit ihm zum Kaffee trinken verabredet hatten, fanden ihn am nächsten Tag tot in seiner Wohnung vor.

Verhaftung und Verurteilung

Durch die Befragung von Hausbewohner*innen gelangte die Kriminalpolizei auf die Fährte der Täter. Zwei Tage nach dem Mord nahmen die Behörden diese in Haft und begannen, sie zu verhören, was erste Schuldgeständnisse hervorbrachte. Ihre Gesinnung ließ sich aufgrund ihrer Äußerungen leicht erkennen. Am Tag nach der Tat hatte Rost gegenüber seiner Lebensgefährtin damit geprahlt, „seinen ersten Menschen abgestochen“ zu haben3 . Matthias Kowalik bestätigte ihn später in seiner Tat: „Der musste weg, der war asozialer Dreck.“4

Die beiden holten sich Beistand und Rat bei dem damaligen Neonazikader Arnulf Priem, den sie von „Kameradschaftsabenden“ und „Schulungen“ kannten. Dieser vermittelte ihnen bei einem Besuch in dessen Wohnung in Berlin-Wedding einen Szene-Anwalt, der Priem in den 1990er Jahren vertreten hatte, als er wegen Terrorismusverdachts unter Anklage stand.5 Die Wochenzeitung „jungle world“ betitelte ihn 2012 als „Liebling Hakenkreuzberg“. Die „tageszeitung“ (taz) schrieb über den Prozess folgendes: „Priems Freund, der vor Gericht stehende Matthias K., scheint in dem Quartett der Angeklagten der Wortführer gewesen zu sein. K. ist der einzige, der seiner kurzen Haartracht treu geblieben ist. In leicht gebeugter Haltung sitzt er im Prozess neben seinem Verteidiger und amüsiert sich köstlich über diesen. Streubel ist der Grund dafür, warum sich der Prozess so in die Länge zieht. Der Hüne mit dem schwarzen Backenbart kommt fast immer zu spät, formuliert stundenlang Verfahrensanträge und strapaziert die Zeugen mit Wiederholungsfragen.“ Auch Richter Dieckmann bezeichnete Kowalik im Laufe des Prozesses als „treibende Kraft“ bei der Tat und als „rechte Hand“ Priems.

Matthias Kowalik wurde zu einer Haftstrafe von 13 Jahren, René Rost zu acht Jahren, Andreas Ibsch zu sechs und Thomas Sch. zu fünf Jahren Haft verurteilt. Noch während seiner Untersuchungshaft wurde Rost unter Druck gesetzt, die Schuld allein auf sich zu nehmen, sonst würde ihm eine schwere Haftzeit bevorstehen.

(K)ein rechter Mord?

Die Klärung der Frage, ob es sich bei der Tat um einen Mord mit rechtem Hintergrund handele, wurde trotz eindeutiger Indizien bis zum Ende des Prozesses verschoben. „Nicht jede Tat eines Rechtsge­rich­teten ist automatisch eine rechtsge­richtete Tat.“, so Richter Dieckmann gegenüber der taz. Oberstaatsanwalt Michael von Hagen zweifelte sogar gänzlich daran, dass die rechte Gesinnung der Täter das treibende Motiv für den Mord war. Während Richter Dieckmann das Verprügeln von Dieter Eich in seinem Schlafzimmer als „rechtsextrem“ motiviert wertete, stellte der tödliche Messerstoß aus seiner Sicht jedoch lediglich eine „Verdeckungstat“ dar, weshalb der Mord nicht als „rechtsradikale Tat“ gewertet werden könne6 .

Jene Wertung erscheint merkwürdig, stellen doch das Zusammenschlagen und die Tötung keine voneinander losgelösten Taten dar. Sie sind die logische Konsequenz einer Gesinnung, die zwischen „wertem“ und vermeintlich „unwertem“ Leben unterscheidet. Die Entpolitisierung des Mordes und die Bewertung der Tat in der Urteilsverkündung, stellt eine staatliche Legitimierung des Mythos des „unpolitischen Messerstoßes“ dar. Erst im Jahr 2018 wurde Dieter Eich nach einer aufwändigen Untersuchung zur „Klassifikation rechter Tötungsdelikte“ durch Wissenschaftler*innen der TU Berlin als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Dieter Eich: Todesurteil für starken Zecher“ überschrieb ein Autor der Lokalzeitung „Bucher Bote“ seinen Kommentar zum Mord an Dieter Eich. „Alkoholiker umgebracht“ überschrieb der „Tagesspiegel“ wiederum seinen Prozessbericht und bezeichnete Dieter Eich in einem Folgeartikel zum Prozess als „arbeitslose[n] Alkoholiker“. Somit wurde Dieter Eich, auch wenn dies vielleicht nicht die Absicht der Autor*innen gewesen war, nach seinem Tod noch einmal auf die Rolle des Trinkers reduziert, wegen der er letzten Endes ermordet wurde. Diese Zuschreibungen haben traurigerweise bis heute Bestand. Hartnäckig hält sich auch die Behauptung, es habe sich um eine „Keilerei unter Trinkern“ gehandelt.

Ein im November 2013 von dem Neonazi-Musiker Patrick Killat auf Facebook geposteter Zeitungsausschnitt verdeutlichte die Querverbindungen, welche sich bis in die Gegenwart ziehen. Zu sehen sind dort die extrem rechten Provokateure am Rande einer antifaschistischen Demonstration in Gedenken an Dieter Eich im Jahr 2000. Die nostalgischen Kommentare der „Kameraden“ offenbaren, dass die rechten Musiker Killat und Tony Belz vor Ort waren. Im Laufe der Kommunikation drängt sich auch eine Verwandte eines der Täter, Sabine Ibsch, namentlich mit einem Post an die Öffentlichkeit. „Auweia das waren noch Zeiten“, ist das, was ihr zur Störung der Gedenkveranstaltung für den ermordeten Dieter Eich einfällt. Killat kommentiert das Bild mit den Worten „aber war ja für n juten zweck“.7

Mehr Informationen zu den Hintergründen zum Mord an Dieter Eich sind in einem Text aus dem Jahr 2016 unter berlin.niemandistvergessen.net zu finden. Dort wird ausführlich auf den Hergang der Tat, die juristische Bewertung und den gesellschaftlichen Umgang damit eingegangen.

  • 1Beglaubigter Urteilsspruch des Landgerichtes Berlin, 10. Oktober 2001, S.9, Absatz 3
  • 2Beglaubigter Urteilsspruch des Landgerichtes Berlin, 10. Oktober 2001, S. 9., Absatz 2
  • 3Plutonia Plarre: „Zweifel an rechtsextremem Tatmotiv“, TAZ, 7. Februar 2001
  • 4Urteil S.17, Absatz 3, Sabine Deckwerth: „Rechte Jugendliche wegen Mordes verurteilt“, Berliner Zeitung, 3. März 2001. Kerstin Gehrke: „Mit Alkohol und Musik zum Mord“, Tagesspiegel, 3. März 2001.
  • 5Plutonia Plarre: „Nach dem Blutbad gab`s Kakao“, TAZ, 2. März 2001.; www.taz.de/dx/2001/03/02/a0184.1/text. RA Aribert Streubel vertrat in den 1990er Jahren extrem rechte Organisationen und Personen, trat als Bevollmächtigter der Neonazi-Gruppe „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ) auf und wurde 2008 für die DVU-Brandenburg als Mitarbeiter geführt. Vgl. „Experten-Zuwachs im U-Ausschuss“, Lausitzer Rundschau, 22. April 2008 und niemandistvergessen.blogsport.eu/?p=1848
  • 6So auch Berlins ehem. Innensenator Frank Henkel, der sich trotz Kenntnis der Gerichtsakten folgendermaßen äußerte: „Täter und Opfer waren miteinander bekannt, sie konsumierten gemeinsam Alkohol. Die Anklage schildert den Tatablauf als ,Lust eines Einzelnen an der Gewalt´ und die spätere Tötung als ,Deckungstat aus Angst vor polizeilichen Repressalien´. Es handelt sich insofern nicht um eine Tat des Phänomenbereiches PMK – rechts.“ Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17 / 10 032
  • 7Recherche Buch-Redaktion: „Recherche Buch 2015 -Ein Einblick in die Neonazi-Szene in Pankows Norden“, Juni 2015