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Von Mischszenen und Grenzverschiebungen

Einleitung

Wir haben in den letzten Ausgaben immer mal wieder über Entwicklungen und Trends in den verschiedenen extrem rechten Jugendkulturen berichtet und versucht, alle damit einhergehenden Veränderungen von Strukturen und Lifestyle transparent zu machen. In diesem Schwerpunkt möchten wir ein Schlaglicht auf eine neuere Entwicklung werfen, die wir hier erstmal unter dem Titel Mischszenen subsummieren wollen.

Bild: PM Cheung

Ein Beispiel für die Entstehung von Mischszenen: Der frühere Berliner FAP-Chef Lars Burmeister (links) ist nun beim Gremium MC Chapter Berlin Darkside aktiv.

Soziologisch ist die Verwendung des Begriffs Mischszene eher fraglich. So beschreibt der Wortbestandteil Szene eben genau einen Zusammenschluss von Leuten, die sich durch einheitliche Codes und Verhalten nach außen abgrenzen und nach innen kenntlich machen. Genau diese Punkte sind bei den »Mischszenen« aus Rockern und Nazis nicht gegeben. Gleichwohl entstehen aus diesen Konstrukten diverse Modemarken, Geschäftstätigkeiten und auch gemeinsame Events wie Feiern und Konzerte. Gerade in Berlin hat sich ein ganz eigenes Milieu herausgebildet, welches aus einer festen Gruppe von Personen besteht. Daher wäre es präziser, von »Szenevermischungen« oder Ähnlichem zu sprechen, wovon wir aber wegen des allgemeinen Sprachgebrauchs absehen wollen.

Unter Mischszenen verstehen wir die Zusammenarbeit von Gruppen außerhalb der klassischen Neonaziszene mit Teilen dieser Szene. Dabei kommt es meistens nicht zur Bildung von so genannten Grauzonen, sondern die einzelnen Gruppen bleiben relativ klar voneinander getrennt. Die Zusammenarbeit orientiert sich hierbei meistens an streng rationalen Erwägungen wie Kommerz oder Bündelung von territorialen Vorherrschaftsbestrebungen. Aber auch alte über die Jahre »gewachsene« Seilschaften und Verbindlichkeiten spielen oft eine große Rolle. Kennzeichnend für die meisten Mischszenen ist, dass die Kontakte zwischen den Gruppierungen meistens nur über einige Einzelpersonen, die in beiden Milieus aktiv sind, ablaufen.

So kann schon die gegenseitige Achtung eines Rocker-Chefs gegenüber einem erfahrenen Neonazikader reichen, um zu einer Zusammenarbeit zu führen, aus der ein ganzes Netzwerk aus Firmen, Läden, Tattoostudios o.ä. entsteht. Am Beispiel von Lars Georgi und Andre Sommer ist dies auf den Seiten 7-9 nachzulesen. Die gegenseitige Achtung gerade dieser Szenen kann z.B. über ein gewalttätiges Verhalten, die Akzeptanz des Führerprinzips oder dem einfachem Willen zur Macht entstehen. Festzuhalten ist jedoch, dass gerade die Rocker-Szene, die primär kommerziell orientiert ist, die Zusammenarbeit auch wieder kündigt, wenn diese öffentlich und somit vielleicht geschäftsschädigend wird.

Der Begriff Mischszene ist eigentlich eine Wortschöpfung des Verfassungsschutzes und sollte ursprünglich die Zusammenarbeit zwischen klassischer Neonaziszene und gewaltbereiten rechten Skinheads ausdrücken. Von einigen Landesämtern wird er auch heute noch in diesem Zusammenhang verwendet, was unserer Meinung nach jedoch Unsinn ist. Vielmehr konstituiert sich das Phänomen des Neonazismus heutzutage eher als Bewegung, die sowohl der Skinhead-Szene als auch anderen Jugendkulturen und Szenen ein gemeinsames Dach bieten kann. Heutzutage wird der Begriff allerdings sowohl vom Verfassungsschutz als auch von den Medien für die Überschneidungen aus Rockerszene und Neonazijugendkultur verwendet.

Stehen bei den meisten dieser Verbindungen eindeutig finanzielle Aspekte im Vordergrund, so besteht auch die Möglichkeit, dass sich diese Trennung zwischen Geschäft und Ideologie aufzulösen beginnt. So nahmen im Oktober letzten Jahres bei einem Neonaziaufmarsch in Potsdam auch Mitglieder des Rockerclubs »Gremium MC« teil. Sind diese Vermischungseffekte bisher eher am Rande zu beobachten, so geht die eigentliche Gefahr dieser Mischszenen momentan noch von einem anderen Punkt aus: Durch die erweiterten Absatzmärkte wird auch die Einstiegsschwelle in die Neonaziszene geringer.

So braucht es nicht mehr unbedingt rechte Musik, um für die Szene zu werben, sondern es reicht ein nach außen unpolitischer eigener Lifestyle, um eventuell mit extrem rechten Gedankengut in Berührung zu kommen oder zumindest die Kassen der Rechten zu füllen.