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Von Essenspaket bis Residenzpflicht. Flüchtlinge wehren sich gegen staatlichen Rassismus

Einleitung

Seit Jahren wehren sich Flüchtlinge gegen die rassistische Asylpolitik in Deutschland und die Schikanen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Anfang des Jahres machten Flüchtlinge in der brandenburgischen Kleinstadt Rathenow mit einem Memorandum Schlagzeilen, in dem sie eine Verlegung in die alten Bundesländer forderten, weil das Land Brandenburg keinen Finger für ihre Sicherheit und eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen rührt. Momentan treten Flüchtlinge selbstbewusst und selbstorganisiert an die Öffentlichkeit. Ein Rück- und Ausblick.

Bild: flickr.com/leifhinrichsen/CC BY NC 2.0

Aus dem Memorandum entstand eine Vernetzung von Flüchtlingen im gesamten Bundesland, unterstützt von den Gruppen der Aktion Noteingang, dem Flüchtlingsrat Brandenburg und unabhängigen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen. Die Flüchtlinge organisierten eine Rundreise durch die abgelegenen Heime in über fünfzehn Städten, sie beteiligten sich am Grenzcamp »Kein Mensch ist illegal« im August in Forst. Jetzt haben sie eine neue Phase ihrer Proteste begonnen. Mit Demonstrationen in Cottbus und Potsdam Ende September sind sie für ihre Forderungen auf die Straße gegangen und haben weitere Protestaktionen angekündigt. Auch in Hannover gingen 1.000 Flüchtlinge und UnterstützerInnen auf die Straße. Dass sie dringend Unterstützung benötigen, liegt auf der Hand.

Abschaffung der Residenzpflicht

In dem Maß, wie Flüchtlinge sich eigenständig organisieren, steigt auch die Repression gegen sie – und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und den Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes sind sie staatlicher Willkür und Schikanen im besonderen Maß ausgesetzt. Ein beliebtes Mittel von Landratsämtern und Ausländerbehörden, politisch aktive Flüchtlinge zu bestrafen, sind Ordnungsgelder wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht. Auf dieser Grundlage wurden z.B. der Rathenower Flüchtlingsgruppe keine Urlaubsscheine erteilt, als sie an dem Kongress der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen« Ende April in Jena teilnehmen wollte. Auch andere Flüchtlinge, die sich bei der Karawane oder bei »The Voice«, einem Zusammenschluss afrikanischer Flüchtlinge engagieren, werden schikaniert.

Zum Beispiel Cornelius Yufanyi aus Kamerun, der in einem Flüchtlingsheim im Eichsfeld lebt. Er war einer der Organisatoren des Karawane-Kongresses in Jena und hatte dafür den Landkreis verlassen. Aufgrund eines Zeitungsartikels, aus dem seine Anwesenheit in Jena deutlich wurde, erstattete das Landratsamt Anzeige gegen ihn. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen erhob Anklage und das Amtsgericht Worbis verhängte einen Strafbefehl von 20 Tagessätzen à 30,– D- Mark. Dabei erhält Cornelius Yufanyi – wie alle Flüchtlinge im Asylverfahren – monatlich lediglich 80,– D-Mark Taschengeld. Darüber hinaus versucht die Ausländerbehörde des Landratsamtes mit allen Mitteln, seine Ausweisung zu beschleunigen: So schrieben die Beamten einen Brief an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit dem Hinweis, »dass Herr Yufanyi seinen zur Zeit gestatteten Aufenthalt vorwiegend dazu nutzt, um politisch aktiv zu werden.« Seine Abwesenheit aus dem Heim wird detailliert vorgetragen. Besonders erwähnenswert fanden sie offenbar auch, dass er bei Terminen mit der Ausländerbehörde »von einer deutschen Studentin aus Niedersachsen begleitet« wurde. Da Cornelius Yufanyi sich weigert, das Bußgeld zu bezahlen, ist die Geldstrafe mittlerweile auf über 700,– D-Mark angestiegen. Jetzt drohen ihm Gefängnis oder Abschiebung.

Dies ist kein Einzelfall, wie Aktivisten von »The Voice« und der Karawane immer wieder berichten. Noch härteren Schikanen sind Flüchtlinge ausgesetzt, die sich in den Abschiebehaftanstalten gegen die Haftbedingungen wehren. Aus dem Abschiebeknast Eisenhüttenstadt in Brandenburg wurde jetzt ein Fall bekannt, in dem ein tschetschenischer Flüchtling nach einem 17tägigen Hungerstreik zusammenbrach und dann – anstatt wegen seiner schlechten körperlichen Verfassung ins Krankenhaus gebracht zu werden – in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie des Klinikums Frankfurt/Oder zwangsverlegt wurde. Der 22jährige David Alekseenko aus Grozny floh im Oktober 1999 vor der Einberufung zum Militärdienst nach Deutschland. Er wurde zuerst sechs Monate in Berlin in Abschiebehaft festgehalten und dann entlassen. Zwei Monate nach seiner Entlassung wurde er bei Potsdam erneut festgenommen und in den Abschiebeknast Eisenhüttenstadt gebracht. Nach Aussagen des behandelnden Arztes in der Psychiatrie ist er keineswegs ein psychiatrischer Patient, sondern wurde in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, »um Fluchtversuche zu verhindern«. Die Abschiebehäftlinge in Eisenhüttenstadt haben kaum Kontakte zur Außenwelt; dem Brandenburgischen Flüchtlingsrat ist es verboten, den Knast zu besuchen.

Proteste gegen das Asylbewerberleistungsgesetz in Sachsen

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit protestierten Flüchtlinge in mehreren Heimen in Sachsen im Juni und Juli gegen die besonders restriktive Handhabung des §2 des Asylbewerberleistungsgesetzes durch die sächsische Regierung und die Landratsämter. Während Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt beispielsweise – aufgrund des Ermessensspielraums, den das Asylbewerberleistungsgesetz den einzelnen Ländern und Ämtern lässt – von Beginn ihres Asylverfahrens alle Leistungen in Bargeld ausbezahlt bekommen, erhalten sie in Sachsen, auch wenn sie länger als drei Jahre im Asylverfahren sind, die ihnen zustehenden Leistungen nur in Form von Gutscheinen oder Lebensmittelpaketen. Was dann als Bargeld bleibt, sind 80,– D-Mark Taschengeld im Monat für Erwachsene und 40,– D-Mark für Kinder und Jugendliche.

Es kam zum Boykott der Essensversorgung nicht nur in Leipziger Heimen, sondern auch u.a. im Landkreis Delitzsch, in Markleeberg, Taucha, Bahren, Dahlen und Doberschütz. In Taucha beispielsweise befanden sich zehn Flüchtlinge tagelang im Hungerstreik, auch in Leipzig-Grünau beteiligten sich 150 Flüchtlinge an Hungerstreiks und blockierten Straßenkreuzungen. In Zettlitz zündeten Flüchtlinge aus Protest und Verzweifelung ihr Heim an. Bei den Protesten ging es aber auch um die allgemein menschenwunwürdigen Bedingungen in den Heimen. Am 6. Juli protestierten dann ca. 500 bis 600 Flüchtlinge und UnterstützerInnen in Leipzig mit einer Demo für die Forderungen der Flüchtlinge.

Auch die Profiteure des Zwangssystems für Flüchtlinge sind wieder einmal an die Öffentlichkeit gebracht worden. Insbesondere die Thüringer Firma Meigo GmbH in Meilitz, die schon seit Jahren die Lebensmittelpakekete für Flüchtlingsunterkünfte in Thüringen und Sachsen liefert. Die Firma ist sowohl für die Zusammenstellung der Waren in den Läden in den Flüchtlingsunterkünften als auch für den Verkauf der Lebensmittelpakete zuständig: Unausgewogene Ernährung, Waren weit über das Verfallsdatum, überteuerte Preise etc. sind nur einige der Punkte für die Firma Meigo GmbH kritisiert wird. Deshalb rufen FlüchtlingsunterstützerInnen auch zu einem Boykott aller Meigo-Produkte auf.

Bisher scheint die Firma davon allerdings genauso wenig beeindruckt wie von einem Anschlag, den die Revolutionären Zellen vor einigen Jahren auf Firmenwagen verübten. Trotz aller Unterstützung für die Flüchtlinge und ihre Forderungen durch antirassistische Gruppen, Kirchengemeinden, die PDS und einzelne sympathisierende Zeitungsberichte: Das sächsische Innenministerium, allen voran CDU-Hardliner Klaus Hardrath, haben sich bei den zentralen Forderungen der Flüchtlinge keinen Zentimeter bewegt. Nach wie vor erhalten selbst Flüchtlinge, die seit drei Jahren in Sachsen leben, kein Bargeld, obwohl das Asylbewerberleistungsgesetz dies ausdrücklich zulässt. Erst einmal ist der öffentliche Protest der Flüchtlinge in Sachsen abgeebbt. Sie haben aber angekündigt, durch Veranstaltungen und Aktionen weiter Druck zu machen.

Arbeitsverbot aufheben!

Seit 1997 gab es ein generelles Arbeitsverbot für Flüchtlinge im Asylverfahren. Die offizielle Begründung dafür, wen wundert es, war immer der Verweis auf die Arbeitslosenzahlen. Nach jahrelangen Protesten von Flüchtlingen, Initiativen und – in letzter Zeit – auch von interessierten Wirtschaftskreisen (z.B. aus der Landwirtschaft) hat die rot-grüne Bundesregierung Mitte September eine »Reform« dieser Regelung beschlossen. Und wie immer, wenn Rot-Grün rassistische Gesetze aus der CDU/CSU-Ära reformiert, bleibt der Kern gewahrt und wird nur mit etwas Kosmetik abgemildert. Ab jetzt »dürfen« Flüchtlinge nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland arbeiten. Allerdings nur, wenn das Arbeitsamt vorher geprüft hat, ob es nicht deutsche BewerberInnen für die Stelle gibt – und die sind dann eben vorzuziehen.

Dass diese Praxis sich nicht von der rassistischen NPD-Parole »Arbeitsplätze zuerst für Deutsche« unterscheidet, ist wohl kaum zufällig. Schließlich schaut ja gerade Rot-Grün dem Wahlvolk aufs Maul. Schätzungen zufolge könnten nach der neuen Regelung rund 100.000 Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis erhalten – vorausgesetzt, sie finden eine Arbeitsstelle. Und das wird für die Mehrzahl angesichts der oft  rassistischen Praktiken in den Arbeitsämtern wohl weiterhin ein unerreichbarer Traum bleiben. Wie wichtig den meisten Flüchtlingen die Möglichkeit zur Lohnarbeit ist, wird deutlich, wenn man sich die Forderungskataloge der Proteste anschaut. Die meisten Flüchtlinge sagen, dass das erzwungene Nichtstun und die soziale Isolation für sie am unerträglichsten ist.