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Von der NPD zum MC in Thüringen

Einleitung

»Rechtsradikale Schnupperstunden« im Umfeld der Rockerszene

Foto: Screenshot dokumentiert von der Internetseite der NPD-Weimar

»Sicherheit durch Recht und Ordnung – dafür steht die NPD!« erklärte Martin R. auf einer NPD-Internetseite. Mittlerweile wird er der Rocker-Gruppe »Garde 81« zugerechnet. Im Landesvorstand der NPD-Thüringen leitete Martin R. zuvor jahrelang das Referat »Innen- und Sicherheitspolitik«.

Seit April 2010 läuft in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt ein Prozess gegen fünf Personen, die dem regionalen »Bandidos MC« zugerechnet werden. In diesem  stehen sich zwei ehemalige NPD-Funktionäre gegenüber: Michael H. als angeklagter »Bandido« und Martin R. als Zeuge und Mitglied der Erfurter »Garde 81«, einem Unterstützerklub der mit den »Bandidos« verfeindeten »Hells Angels«1 .

Seit langem war bekannt, dass in Thüringen einige frühere NPD-Funktionäre ihren Weg in die Reihen der Gruppierung »Garde 81« gefunden haben sollen. Eine eindeutige Präferenz für diesen Club scheint es unter früheren Neonazis aber nicht zu geben, denn auch in den Reihen der »Chicanos Apolda« – einem Supporter-Club der »Bandidos« – hatte sich ein früherer Neonazi etabliert. Im Umfeld der »Bandidos« wurden jedoch schon 2008 vereinzelte Verbindungen zu rechten Personen bekannt.

»Rechtsradikale Schnupperstunden« im Umfeld der »Bandidos« Jena

Das »Bandidos-MC«–Chapter Jena, ansässig in Oberweimar, geriet vor einiger Zeit in die Kritik von Antifaschist_innen, da in ihrem Tattooshop »Fat Barrio« bis zum Frühjahr 2008 die Modemarke »Thor Steinar« verkauft wurde, welche vor allem in der rechten Szene beliebt ist. Da die »Bandidos« aber offenbar nicht als rechts bzw. nicht als politisch gelten wollen, wurde diese Marke aus dem Verkaufssortiment genommen. Stattdessen wurde zeitweilig das linke Label »Mob action« angeboten.

Unabhängig davon gibt es Berichte von Kenner_innen der Weimarer Szene, nach denen der ehemalige NPD-Kader Michael H. seit Frühjahr 2008 »Member« bei den »Bandidos«-Supportern »Chicanos Apolda« sein soll. Er war in der regionalen NPD zeitweilig verantwortlich für Finanzen und galt als gewaltbereit. Dieses Jahr war Michael H. einer der Angeklagten im sog. Thüringer »Bandidos«-Verfahren«. Laut Verfassungsschutz soll er es zwischen 2007 und 2008 zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden der NPD in Weimar gebracht haben.2

Neben ihm gelangten offenbar noch eine Reihe anderer Personen aus der Region, die bisher eher als der Schläger- und Neonaziszene zugehörig galten, in das Umfeld des regionalen »Bandidos«-Chapters. Dies scheint kein gut behütetes Geheimnis zu sein: Laut einem Interview aus der Thüringer Landeszeitung (TLZ) vom Juli 2008 hätten die »Bandidos« »eine Menge Personen aufgenommen, die in der rechtsextremen Weimarer Szene unterwegs waren.« Das sah der lokale Polizeichef Gregor Zeh im Zuge eines CDU-Podiums zur regionalen Sicherheitslage im Juni 2008 laut Regionalzeitung anders: »Nicht bekannt sind in Weimar auch personelle Überschneidungen führender Bandidos mit der rechtsextremen Szene. Im Graubereich der Mitläufer ist das anders. Sogenannte ›Hangarounds‹ bei den Bandidos absolvieren demnach auch rechtsradikale ›Schnupperstunden‹«3 .

Im Mai 2010 musste ein Sprecher des Verfassungsschutzes zum Fall Michael H. schließlich einräumen: »Darüber hinaus gibt es weitere Hinweise auf die Zugehörigkeit einzelner auch führender Rechtsextremisten zu Gruppierungen, die der organisierten Rockerkriminalität zugerechnet werden.«

Nachdem der langjährige Weimarer »Bandidos«-Vize Dominico M. sich im März 2010 der Staatsanwaltschaft gestellt und als Kronzeuge gegen den ehemalige Präsidenten des Motorradclubs »Bandidos« in Thüringen, Janez E., ausgesagt hatte, löste sich die »Bandidos«-Gruppierung in Weimar schließlich auf. Vor Gericht wurde Domenico M. u.a. mit den Worten »Blut und Ehre« beschimpft. »Blut und Ehre« war zwischen 1926 und 1945 Motto und Grußformel der nationalsozialistischen Jugendorganisation »Hitlerjugend«. Abgeleitet von »Blut und Ehre« steht  »Blood and Honour« bis heute für ein internationales Netzwerk neonazistischer Skinheads im Musik und Konzert-Business. Offenbar scheint mit der Treue zum Club mittlerweile aber auch bei anderen früheren »Bandidos« recht flexibel umgegangen zu werden.

Das Landeskriminalamt (LKA) geht davon aus, dass sich das ehemalige Thüringer »Bandidos«-Chapter vermutlich einem anderen Motorradclub anschließen und das Clubhaus in Oberweimar auch weiterhin nutzen will. Der ehemalige »Bandidos«-Präsident soll demnach angekündigt haben, dem Motorradclub »Mongols MC« beizutreten. Dieser MC ist bisher vor allem in Nordamerika aktiv und verfügt in Deutschland über kein Chapter. Aus Ermittlerkreisen hieß es laut MDR allerdings auch, dass der Ex-»Bandidos«-Chef bei den »Hells Angels« in Dresden vorgesprochen habe. Hier soll ihm aber ein Übertritt verwehrt worden sein.

Vom regionalen NPD-Vorstand zur »Garde 81«

Der so genannte Erfurter »Bandidos«-Prozess wurde im April 2010 mit großem Sicherheitsaufwand inszeniert. Ein Szenario, das für Antifaschist_innen eigentlich kaum von Interesse gewesen wäre, wenn aus den Aussagen nicht auch Verbindungen von Rockern zu früheren Neonazis öffentlich geworden wären.

Der Kronzeuge bestätigte dem Gericht, dass mindestens zwei Neonazis aus Weimar, darunter ein früheres Kreisvorstandsmitglied der NPD, Mitglied der »Garde 81« seien, eines Unterstützervereins der »Hells Angels«. Auch ein Mitglied der »Garde 81« erklärte vor Gericht, er wisse, dass sein Bekannter aus der »Garde 81« in der NPD sei, aber das habe ihn nicht interessiert.4 Der Zeuge erwähnte dann noch ein weiteres Mitglied aus der Neonazi-Szene. Dieser Kumpel, der 2008 angeblich im »Bandidos«-Clubhaus zusammengeschlagen wurde, gehörte früher zum NPD-Kreisvorstand in Weimar. Hierbei soll es sich nach Berichten regionaler Szenekenner_innen um Martin R. handeln, der auch als Zeuge vor Gericht auftrat.

Als 17-jähriger Neonazi-Skinhead hatte R., 1997 mitten in Weimar, mit zwei Mittätern einen vietnamesischen Gemüsehändler in seinem Laden angegriffen und mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Hierfür wurde er zu zwei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt.5   Danach taucht er Anfang der 2000er Jahre als Demonstrant bei Aufmärschen des »Thüringer Heimatschutzes« auf. Zum Führer der Kameradschaft »Braune Aktionsfront – Sektion Weimar« aufgestiegen, war er öfter Redner auf Kundgebungen. Nach Medienberichten war er auch für den Thüringer Ordnungsdienst der NPD zuständig. Mitte der 2000er Jahre wurde er zum stellvertretenden NPD-Kreisvorsitzenden.

Martin R. ist offenbar nicht der Einzige, der den Weg aus der rechten Szene zur »Garde 81« fand. So soll nach Medienberichten sogar der als »Statthalter« der »Hells Angels« in Erfurt geltende Rene K. früher Verbindungen zur Neonazi-Szene gehabt haben.6

Rocker als Sicherheitsfrage

Zeitweilig existierte ein »Sicherheitsbericht« der Stadtverwaltung Weimar, der Anfang des Jahres 2008 von der CDU-Stadtratsfraktion eingefordert worden war. Hier wurden als die Sicherheit gefährdende Gruppierungen in einem Atemzug der MC »Bandidos«, Anhänger des rechten Hooliganlabels »Problemkinder« sowie – ganz extremismustheoretisch – die Gäste links-alternativer Treffpunkte genannt. Nach öffentlicher Kritik wurde der Bericht neu geschrieben.

Regionale Medien griffen in der Diskussion um diesen Bericht zwar immer wieder das Thema »Bandidos« / Organisierte Kriminalität sowie Neonazi- und Gewaltszene auf, ein größerer öffentlicher Diskurs blieb aber aus. Ein solcher wäre zukünftig sicher geeignet, um sachlich und fundiert auf die Problematik der unscharfen Grenzen zwischen kriminellen Milieus, Gewaltszenen und Neonazis hinzuweisen, ohne sich dabei vor einen sicherheits- und ordnungspolitischen Karren konservativer PolitikerInnen spannen zu lassen.

  • 1Kai Mudra / 19.05.10 / TA /TLZ: Verfassungsschutz nennt weiter gestiegene extremistische Aktivitäten.
  • 2ebd.
  • 3Michael Helbing / 26.06.2008/TA: Nur ein Teil der Wirklichkeit.
  • 4Kai Mudra / 20.04.10 / TA/ TLZ: Kronzeuge sagte erneut im Bandidos-Prozess aus.
  • 5Thüringische Landeszeitung vom 27. und 29.9.1997 und 21.5.1998.
  • 6Kai Mudra / 19.05.10 / TA /TLZ: Verfassungsschutz nennt weiter gestiegene extremistische Aktivitäten