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Vernetztes Selbstbewusstsein

Einleitung

Übergriffe, Aufmärsche, Propaganda-Aktionen – die Neonazi-Szene in Leipzig und Nordwestsachsen ist in den letzten beiden Jahren immer aktiver geworden. Eine Hauptursache dürfte in der guten Vernetzung zwischen Stadt und Land zu finden sein.

Bild: attenzione-photo.com

Maik Scheffler (vorne) sichert ein NPD-Transpartent mit NPD-Funktionären ab.

Von »struktureller Unfähigkeit«, wie im letzten Text zur Region (AIB 70) beschrieben, kann jedenfalls kaum noch die Rede sein. Die Szene der »freien Nationalisten« bzw. »nationalen Sozialisten« hat sich trotz personeller Fluktuationen gut organisiert und verfügt mittlerweile über erhebliches Selbstbewusstsein. Sogar auf Christian Worch und die von ihm angemeldeten Aufmärsche glaubt man verzichten zu können: Nachdem die regionalen Kräfte die Veranstaltung im Juli 2007 offen sabotierten (nur 30 Neonazis waren da), zog Worch alle seine bis 2014 reichenden Anmeldungen in Leipzig zurück.

Das Selbstbewusstsein gründet vor allem in einer besonderen Organisationsstruktur. Sie kombiniert die für Nazis notwendige straff autoritäre Führung mit einer verhältnismäßigen Unabhängigkeit der unteren Chargen bei der Wahl ihrer Aktionsformen. Die Autoritäten der Region sind dabei unangefochten Maik »Michi« Scheffler aus Delitzsch und Thomas »Ace« Gerlach aus Altenburg. Jens Schober aus Leisnig, noch 2005 wichtige Gestalt beim damaligen »Freien Widerstand Leipzig«, wurde dagegen an den Rand gedrängt und ist wieder in seine Kleinstadt zurückgezogen.

Der heute bundesweit aktive Maik Scheffler war in Delitzsch bereits in den 90er Jahren als Kameradschaftschef aktiv. Nach einigen Jahren Pause ist er auch heute wieder derjenige, der bei den Neonazis in der Region nördlich von Leipzig das Sagen hat. Scheffler war federführend am Portal »Nationaler Beobachter« beteiligt, das vor allem Kameradschaften in Sachsen und Sachsen-Anhalt repräsentierte. Und er ist auch einer der Chefs des »Freien Netzes«, einer Kette von Websites »freier« Nationalisten von Burg und Merseburg in Sachsen-Anhalt über Altenburg in Thüringen sowie Delitzsch, Leipzig, Borna, Chemnitz, Zwickau und Vogtland in Sachsen bis nach Hof in Nordbayern.

Der zweite Mann in der nordwestsächsischen Doppelspitze, Thomas Gerlach, hat seine Homebase südlich von Leipzig, im thüringischen Meuselwitz bei Altenburg. Mindestens ebenso machtbewusst wie Scheffler, hat er nicht nur die Szene seiner Region im Griff, pflegt seine bundesweiten Kontakte, baut an der überregionalen Struktur des »Freien Netzes« mit oder ist auf Hatecore-Konzerten und Spielen des 1. FC LOK Leipzig zu finden, sondern mischt auch in der Thüringer Neonazi-Politik mit. Seine Unterstützung für den Flügel um Frank Schwerdt im jüngsten Machtkampf der Thüringer NPD wirft zumindest die Frage auf, ob Gerlach selbst Ambitionen auf einen NPD-Listenplatz bei den Landtagswahlen 2009 hegt.

Für die zumeist jüngeren Nazis, die unter dem Namen »Freie Kräfte Leipzig« (FKL) auftreten, können Gerlach und Scheffler getrost als Führungskader betrachtet werden. Sie geben die politische Richtung vor, und bei allen größeren Events sowie der Anbindung der FKL ins »Freie Netz« behalten die beiden die Fäden in der Hand. Abseits dieser Vorgaben haben die Leipziger jedoch relativ freie Hand, und diese Selbstständigkeit nutzen sie. Die meisten Texte auf leipzig.freies-netz.com sind selbst verfasste und auch die meisten lokalen Aktionen dürften mittlerweile selbst organisiert sein. Dazu gehören Angriffe auf linke Treffpunkte, Infoveranstaltungen oder Demos, das Verteilen von Flugblättern vor Supermärkten, Agitprop-Aktionen mit Eselsmasken, aber auch nächtliche Übergriffe im tendenziell links-alternativen Stadtteil Connewitz.

Gerade bei den gewalttätigen Aktionen agieren die FKL oft zusammen mit rechten Hooligans aus dem Umfeld von LOK Leipzig. Durch personelle Überschneidungen verbessert sich die Zusammenarbeit dabei immer mehr.

Aber auch die Vernetzung zwischen den FKL und »autonomen Nationalisten« aus Delitzsch, Altenburg, Borna/ Geithain und Chemnitz/Zwickau ist enger geworden. Die bisher auffallendste gemeinsam organisierte Aktion umfasste sogar noch die Strukturen in Ostsachsen und der Sächsischen Schweiz: Im Rahmen einer vor allem vom »Lausitzer Aktionsbündnis« forcierten »Aktionswoche« gegen Repression wurden sachsenweit mit Hilfe von Fahrradschlössern und Sekundenkleber die Eingänge von Behörden blockiert. Es ist dabei kaum ein Widerspruch, wenn FKL-Kader auch an den (spärlichen) Aktionen der Leipziger oder Wurzner NPD teilnehmen. Was irgendwie mit Nationalsozialismus zu tun hat, wird mitgemacht – sei es ein »Geschichtlicher Gesprächskreis« zum Thema Rudolf Heß oder eine Fahrt zu den Gräbern der Rathenau-Mörder Kern und Fischer in Saaleck.

Das geht konform mit Scheffler und Gerlach: Auch sie verfolgen eine ambivalente Politik in Bezug auf die NPD. Sie grenzen sich zwar oft von der Partei ab, würden aber auch gern von dieser als gleichwertige Bündnispartner behandelt werden. Das schien zum Greifen nahe, als sie im März gemeinsam mit dem sächsischen NPD-Landesverband zu einem Aufmarsch »gegen kriminelle Ausländer« in Leipzig aufriefen. Auf den Flyern prangte neben dem Parteilogo das Schwarze-Fahnen-Signet des »Freien Widerstands«.

Die Freude währte aber nur kurz: Die NPD verzichtete auf Rechtsmittel gegen das Verbot der Veranstaltung, ohne die neuen Partner zu fragen – Gerlach und Scheffler schäumten. So wie sie im letzten Jahr noch Worch sitzengelassen hatten, fühlten sie sich nun »verarscht«. Mit vagen Vertröstungen auf angeblich kurz bevorstehende Enthüllungen durch die NPD ließen sie sich dann aber doch wieder besänftigen. Das aktuellste Kapitel dieser Beziehungsgeschichte: Scheffler kandidiert auf der NPD-Liste für den Kreistag Nordsachsen, und in Leipzig wurde laut Eigenwerbung ein JN-Stützpunkt unter angeblich reger Beteiligung der »freien Kräfte« gegründet, um im anstehenden Kommunalwahlkampf mitzuhelfen. Die FKL machen bei dieser wie bei bisher jeder inhaltlichen politischen Auseinandersetzung, also weiterhin alles mit, was aus Altenburg und Delitzsch vorgegeben wurde.

Dennoch: Dieses Zusammenspiel aus politischer Anleitung durch die Führungskader Gerlach/Scheffler, der Vernetzung mit anderen Städten und Regionen und der lockeren Organisation auf lokaler Ebene hat Zusammenhängen wie den FKL einige Erfolgserlebnisse beschert. Diese Erfolge haben neue Leute an die Gruppierung herangeführt und den alten Selbstbewusstsein für weitere Aktivitäten gegeben. Der letzte größere Erfolg dieser Art war der »Freie-Netz«-Aufmarsch am 12. Januar 2008 in Leipzig, zu dem ohne jede öffentliche Werbung 320 Neonazis mobilisiert werden konnten. Nicht nur der Anmelder dieses Aufmarschs, Istvan Repaczki, sondern auch andere FKL-Kader, wie Christian Trosse, Daniel Sch. oder Tommy Naumann, treten mittlerweile als Redner und Mitorganisatoren bei den verschiedensten Neonazi-Aufzügen auf – von Dessau bis Plauen.

Und die in der politischen Arbeit gewachsenen Kontakte tragen noch weiter. Die FKL tauchten auch bei Unterstützungs-Veranstaltungen für die angeklagten Mitglieder des neonazistischen »Schutzbunds Deutschland« vor dem Landgericht Neuruppin (Brandenburg) auf. Nicht ohne Grund: Das Postfach der »Bewegung Neues Deutschland«, einer Nachfolge-Organisation des »Schutzbunds«, läuft zwar auf den ebenfalls dort angeklagten Brandenburger Maik Eminger, allerdings befindet es sich in Leipzig.

Weitere Infos zum Freien Netz: http://gamma.noblogs.org