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Verhinderte Entschädigung

Einleitung

Interview mit Anja Hense

KZ-Überlebende fordern 1991 vor dem Reichstag die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen.

In Ihrer Dissertation analysieren Sie die Entstehungsgeschichte der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. Können Sie die wichtigsten Stationen der Gründung kurz nachzeichnen?

Die erste und zugleich entscheidende Station im Gründungsprozess der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« waren die zahlreichen Sammelklagen und Sanktionsdrohungen gegen deutsche Unternehmen in den USA, die seit März 1997 in Gang gesetzt wurden. Die Klagen richteten sich gegen ehemalige Profiteure der Zwangsarbeit, die intensive Geschäftsbeziehungen in den USA unterhielten, so dass eine Zuständigkeit der amerikanischen Bundesgerichte begründet werden konnte. Auch andere rechtliche Rahmenbedingungen sorgten dafür, dass Überlebende der Zwangsarbeit hier erstmals über eine Erfolg versprechende Klagemöglichkeit verfügten.

Kurz nach Beginn der Klagewelle im Sommer 1998 trafen daher die Manager der beklagten Konzerne zusammen, um erstmals über eine kollektive Kompensationsregelung für ehemalige Zwangarbeitende zu beraten. Mit Hilfe der Bundesregierung sollte dann zunächst ein exklusives Abkommen über die Ansprüche jüdischer Überlebender in den westlichen Staaten getroffen werden. Osteuropäischen Überlebenden und Regierungen gelang es jedoch, durch die Beteiligung an den US-Sammelklagen und intensive diplomatische Interventionen einen internationalen Verhandlungsprozess zu erzwingen und die Ansprüche nicht-jüdischer Zwangsarbeitskräfte in die Regelung einzubeziehen.

In achtzehnmonatigen Verhandlungen wurde dann um die Grundstruktur der geplanten ‚humanitären Stiftung’, die Anspruchskriterien, die Gesamthöhe des Fonds und die Herstellung von ‚Rechtssicherheit’ für deutsche Unternehmen gerungen. Negativ wirkte sich die Abweisung zweier Sammelklagen durch das US-Bundesgericht in New Jersey auf die Verhandlungsposition der Opfervertretungen aus, so dass diese im Dezember 1999 in eine Gesamtsumme von 10,1 Mrd. DM zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus Zwangsarbeit und anderen von deutschen Unternehmen verursachten Personen- und Vermögensschäden einwilligten.

Nach weiteren Verhandlungen über die Verteilung der Gelder und weitere Rechtsgarantien für die deutsche Regierung und Wirtschaft, die einen endgültigen Schlussstrich unter alle Reparations- und Entschädigungsfragen aus dem Zweiten Weltkrieg gewährleisten sollten, wurde im August 2000 die Stiftung ›Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‹ gegründet. Die Auszahlungen an die Überlebenden begannen erst ein knappes Jahr später, da die deutsche Seite darauf bestand, dass zuvor alle laufenden Sammelklagen gegen deutsche Konzerne in den USA abgewiesen sein mussten.

Fand sich die deutsche Industrie letztlich nur aus ökonomischen Gründen im Hinblick auf das USA-Geschäft bereit, oder gab es auch moralisch-politisch geläuterte Akteure?

Die ökonomischen Motive der deutschen Unternehmen waren eindeutig ausschlaggebend für die Gründung und die Ausgestaltung der Stiftung EVZ. Schließlich hatten die Konzerne noch Mitte der neunziger Jahre jeden Handlungsbedarf verneint und auch im Kontext der US-Sammelklagen wurde ja von beteiligten Managern immer wieder betont, dass keinerlei gültige Rechtsansprüche gegen deutsche Unternehmen existierten und die Unternehmen quasi unausweichlich in das staatliche System der Zwangsarbeit »verstrickt« gewesen seien.

Nach Beginn der Klagewelle waren es zunächst ausschließlich beklagte oder von US-Klagen bedrohte Konzerne, die ihren über 50-jährigen Widerstand gegen eine kollektive Kompensation aufgaben und sich zu der Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen zusammenschlossen. Sie unterstrichen zudem immer wieder, dass die vermeintlich ›humanitären Zahlungen‹ nur geleistet würden, wenn damit alle denkbaren Rechtsansprüche gegen deutsche Konzerne aus der NS-Zeit endgültig ausgeschlossen würden. Im Gegensatz zu den öffentlichen Äußerungen der Konzernsprecher wurden die Verfahren nicht nur wegen der möglichen gravierenden Imageschädigung auf dem amerikanischen Exportmarkt sehr ernst genommen, sondern auch in rechtlicher Hinsicht als sehr ›gefährlich‹ eingeschätzt.

Es wurde nicht ausgeschlossen, dass die deutschen Unternehmen zu milliardenschweren Schadensersatzleistungen verurteilt werden würden. Zusätzlicher ökonomischer Druck auf die Konzerne entstand dann ja durch Boykottaufrufe, Fusionsblockaden und Gesetzesinitiativen in verschiedenen US-Bundesstaaten. Dass moralische Erwägungen, insofern sie bei einzelnen Akteuren vorhanden waren, nicht die Verhandlungspositionen der deutschen Unternehmen bestimmten, zeigte sich schließlich auch darin, dass versucht wurde, durch Zahlungen an einen kleinst möglichen Kreis von Anspruchsberechtigten eine endgültige Freistellung von sämtlichen Entschädigungsansprüchen zu erreichen.

Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft war während der internationalen Verhandlungen faktisch ununterbrochen damit beschäftigt, möglichst viele Gruppen von Überlebenden von den Zahlungen auszuschließen, andere Kompensationszahlungen anzurechnen bzw. die Höhe der Zahlungen zu reduzieren. Sie nahm durch ihr langes Ringen um ‚Rechtssicherheit’ zudem in Kauf, dass Tausende ehemaliger Zwangsarbeitender verstarben, bevor sie eine geringfügige Stiftungsleistung erhielten.

Ein Teil der Einzahlungen konnten die beteiligten Unternehmen von der Steuer absetzen. Kann man beziffern, wie hoch der tatsächliche Eigenanteil der deutschen Unternehmen an der Stiftung tatsächlich war?

Der reale Eigenanteil der deutschen Unternehmen wurde insgesamt auf etwa 2,5 Mrd. DM beziffert. Das Bundesfinanzministerium hatte den Unternehmen ermöglicht, ihre Beiträge zum Stiftungsfonds als »sofort abziehbare Betriebsausgaben« geltend zu machen, da die Zahlungen »der Sicherung und Aufrechterhaltung des unternehmerischen Ansehens, d.h. der Wettbewerbsposition der Unternehmen« dienten und somit der Zusammenhang zwischen Aufwendungen und Betrieb gegeben sei. Weitere Einsparungen machte die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, indem sie die Zurechnung der Beiträge privatisierter ehemaliger Bundesunternehmen wie der Bahn und der Telekom zu ihrem Pflichtanteil erkämpfte und indem sie die zuletzt noch immer fehlenden Gelder durch Zinsen abdeckte, die durch die lange Verzögerung der Auszahlungen auf die vorhandenen Beiträge angefallen waren.

Die einzelnen Unternehmen zahlten maximal 1–1,5 Prozent ihres Jahresumsatzes in den Stiftungsfonds ein, die dann steuermindernd geltend gemacht werden konnten. Die Mehrzahl der letztlich etwa 6500 Mitglieder der Stiftungsinitiative zahlte allerdings sogar noch weniger als das geforderte Soll und durchschnittlich weniger als 10.000 DM. Diese Unternehmen wurden daher sogar intern als »Discountteilnehmer« bezeichnet.

Immer wieder ist zu hören, die Beweislast für Verfolgung und Zwangarbeit liege bei den Opfern, was den Kreis der Anspruchsberechtigten stark eingrenze. Wie ist das Antragsverfahren zu bewerten?

Die Einschränkung der Anspruchsberechtigten war in erster Linie durch die restriktiven Anspruchskriterien des Stiftungsgesetzes bedingt. Demnach waren nur Personen zu Zahlungen berechtigt, die Zwangsarbeit im Rahmen von KZ-, Ghetto- oder ähnlicher Lagerhaft leisteten oder Deportierte, die Zwangsarbeit im gewerblichen oder öffentlichen Sektor leisteten und dabei haftähnlichen oder »vergleichbar besonders schlechten Lebensbedingungen« ausgesetzt waren. Letzteres wurde in der Regel nur bei Überlebenden aus Polen und der Sowjetunion angenommen, so dass ein Großteil der ehemaligen nord-, west- und südosteuropäischen Zwangsarbeitenden von allen Zahlungen ausgeschlossen blieb.

Ausgegrenzt wurden im Prinzip auch die ehemaligen Zwangsarbeitenden in der deutschen Landwirtschaft, in Handwerksbetrieben und Privathaushalten sowie die innerhalb ihres besetzten Landes eingesetzten Zwangsarbeitskräfte, die lediglich im Rahmen einer »Öffnungsklausel« des Stiftungsgesetzes geringe Leistungen erhalten konnten. Keinerlei Kompensationen erhielten zudem Gruppen wie die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen und die Italienischen Militärinternierten, die unter besonders barbarischen Bedingungen für deutsche Institutionen arbeiteten, sofern sie nicht in einem KZ oder ‚Arbeitserziehungslager’ inhaftiert waren.

Die Nachweisbeschaffung stellte für die anspruchsberechtigten Gruppen dann natürlich eine zusätzliche Schwierigkeit dar, wenngleich die Anforderungen hierfür auf Drängen der Opfervertretungen deutlich gesenkt wurden. So wurde alternativ zu der Vorlage von Dokumenten die Möglichkeit geschaffen, die geleistete Zwangsarbeit etwa durch Zeugen oder Fotos glaubhaft zu machen. Allerdings machten die Überlebenden offenbar sehr unterschiedliche Erfahrungen mit den Partnerorganisationen der Stiftung und ihrer Unterstützung bei der Nachweissuche. Sie waren darauf angewiesen, dass ihre Anfragen korrekt aufgenommen und bearbeitet und an entsprechende Archive oder Unternehmen weitergeleitet wurden. Wie viele Anträge letztlich aufgrund nicht ausreichender Nachweise abgelehnt wurden, ist mir nicht bekannt, ihr Anteil ist jedoch eher marginal gegenüber den Ablehnungen wegen nicht erfüllter gesetzlicher Anspruchskriterien.

Welche Opfergruppen finden in der Stiftung keine Berücksichtigung? Aus welchen Gründen?

Für die Ausgrenzung der oben genannten Opfergruppen aus den Stiftungsleistungen war primär der weitgehende politische Konsens zwischen Bundesregierung und deutschen Unternehmen verantwortlich, den Preis für die Niederschlagung aller laufenden und zukünftigen Entschädigungsklagen gegen deutsche Unternehmen so gering wie möglich zu halten. Für den Ausschluss der ehemaligen Kriegsgefangenen machte sich insbesondere die Bundesregierung stark, zumal sie eine Wiederauflage der Reparationsfrage unbedingt verhindern wollte. Allerdings machten die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen auch keine Klagen in den USA anhängig und nur Russland setzte sich im Rahmen der internationalen Verhandlungen für ihre Belange ein.

Ebenso beteiligten sich viele Opfergruppen aus Nord-, West- oder Südosteuropa nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt an den US-amerikanischen Klagen, so dass sie keinen ausreichenden Druck aufbauen und die US-amerikanische Regierung nicht zur Unterstützung ihrer Forderungen hinter sich bringen konnten. Den ehemaligen landwirtschaftlichen Zwangsarbeitskräften fehlte zudem ein gerichtsfähiger Gegner in den USA. Das macht deutlich, dass die Beteiligung an den US-amerikanischen Sammelklagen wesentlich darüber entschied, welche Verfolgtengruppen in den Kreis der Anspruchsberechtigten der Stiftung aufgenommen wurden.

Über Jahrzehnte stand die Schuldabwehr im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um Zwangsarbeit und KZ-Haft. Jetzt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die deutsche Politik präsentieren sich in der Welt als mustergültige Vergangenheitsbewältiger. Täuscht der Eindruck?

Der Eindruck täuscht sicherlich nicht. Bereits in den siebziger und achtziger Jahren setzte hier eine gewisse Trendwende ein, sozialdemokratische Politiker beschworen die Erinnerung als Zeichen demokratischen Bewusstseins und Unternehmen begannen angesichts sich verstärkender Entschädigungsforderungen, eine »moralische Verantwortung« für den Bereich der Zwangsarbeit zuzugestehen. Die schlichte Leugnung jeglicher Schuld ließ sich mit der zunehmendem öffentlichen Thematisierung des Holocaust und den Forschungen zu Zwangsarbeit und KZ-Haft einfach nicht mehr aufrechterhalten.

Dabei verband sich das Zugeständnis moralischer Verantwortung auf Seiten der Unternehmen jedoch damals wie heute mit der Leugnung konkreter und rechtlicher Verantwortung für Ausbeutung und Massenmord. In den neunziger Jahren entwickelte sich im Zusammenhang mit dem deutschen Kriegseinsatz gegen Jugoslawien das noch heute aktuelle Paradigma, dass Deutschland sich zu seiner Geschichte bekennen müsse und gerade wegen ihr, also »wegen Auschwitz«, eine besondere Verpflichtung habe, weltweit notfalls auch militärisch zu intervenieren. Der Verweis auf die vermeintlich mustergültige Vergangenheitsbewältigung der Bundesrepublik erwies sich also als funktional für die neue Machtpolitik Deutschlands nach der Wiedervereinigung.

Auch nachdem die deutsche Regierung und Wirtschaft sich gezwungen sahen, gewisse Zahlungen an ihre ehemaligen Zwangsarbeitenden zu leisten, nutzten sie den politischen und ökonomischen Gebrauchswert ihres Bekenntnisses zum »nationalsozialistischen Unrecht«. Hierfür steht quasi beispielhaft die Gründung des so genannten Zukunftsfonds, den Deutschland gegen den Willen praktisch aller anderen Verhandlungsteilnehmer durchsetzte. Mit der Finanzierung von Erinnerungsprojekten und Jugendbegegnungen aus den viel zu knappen Mitteln für ehemalige Zwangsarbeitende verband sich die Hoffnung, das Ansehen Deutschlands und der deutschen Wirtschaft in der Welt nachhaltig aufzubessern.

Von Anja Hense ist erschienen:
Verhinderte Entschädigung – Die Entstehung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« für die Opfer von NS-Zwangsarbeit und »Arisierung«
Verlag Westfälisches Dampfboot
Juni 2008, 384 Seiten