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Völkische Parallelgesellschaft

Einleitung

Unzählige Organisationen und Personen in Deutschland werden mit dem Begriff »völkisch« in Verbindung gebracht. So unter anderem die extrem rechte »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) oder die mittlerweile verbotene neonazistische »Heimattreue Deutsche Jugend« (HDJ). Dabei existieren und agieren eine Vielzahl von anderen (radikal)-völkischen, aber nicht neonazistischen Gruppierungen völlig unbeobachtet durch die Öffentlichkeit oder antifaschistische Initiativen. Einige dieser Organisationen haben kaum mehr als 30 Mitglieder. Andere können dank der Arbeit im Lebensbundprinzip auf Hunderte Aktive bauen. 

Bild: Dokumentation Kalenderblatt des Freibund e.V.

Ein Großteil der völkischen Gemeinschaften besteht bereits seit den 1950er Jahren. Dabei entstanden gerade in den vergangenen 40 Jahren Vernetzungsstrukturen, die noch bis heute bestehen und Überschneidungen zu extrem rechten Personen und Strukturen offenbaren. Neben den politischen Strukturen entstand ein Netzwerk aus Antiquariaten, Buchbindereien, Öko-Bauernhöfen, Zeitschriften und Verlagen. Innerhalb dieser Strukturen wird das »deutsche Brauch- und Volkstum« u.a. durch gemeinsame Sonnenwendfeiern, Volkstanzveranstaltungen, Singewettstreite, sowie Lager und Fahrten gepflegt.

Netzwerker

Die Gruppen, die diese völkische Szene bilden, berufen sich zumeist auf die Traditionen der »Deutschen Jugendbewegung«, die im vergangenen Jahrhundert in der Weimarer Republik ihren Höhepunkt hatte. So z.B. die »Fahrenden Gesellen – Bund für deutsches Leben und Wandern« (FG) und der assoziierte »Deutsch-Mädelwanderbund« (DMWB). Auch Gruppierungen wie der »Freibund – Bund Heimattreuer Jugend« und die »Wiking-Jugend«-Abspaltung »Sturmvogel – Deutscher Jugendbund« stellen sich in diese Tradition.

Zur Vernetzung dieser Gruppen dienen jährlich stattfindende so genannte »überbündische Akademien« mit Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, an denen in den neunziger Jahren auch die Vorgängerorganisation der HDJ, »Die Heimattreue Jugend« (DHJ) sowie die damals aktive »Niedersächsische Volkstumsjugend« (NVJ) regelmäßig teilgenommen haben. Daneben richtet der Freibund einmal jährlich einen »überbündischen Tanzlehrgang« im niedersächsischen Burgdorf-Berel aus. Gemeinsame Wanderungen und vor allem das ebenfalls jährlich stattfindende »Burgfest«, welches auf wechselnden Burgen, bis 2006 auch unter Beteiligung der HDJ, stattfindet, dienen der Vernetzung und Knüpfung neuer Kontakte ins nationale Lager. So nahmen am Burgfest 2008 auf der sächsischen Burg Hohnstein, neben dem Holocaustleugner Bernhard Schaub auch der Landesvorsitzende der extrem rechten »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland«, Kai Pfürstinger, teil.

Die bedeutendste und am längsten bestehende völkische Vernetzungsstruktur ist der sogenannte »Überbündische Kreis« (ÜK). Der in den 1960er Jahren gegründete ÜK wird heute maßgeblich von Personen der »Fahrenden Gesellen« getragen, so gibt deren Mitglied Hans-Peter Schult das Sprachrohr des ÜK – die »Blaue Blume« – heraus. Regelmäßig finden in verschiedenen Bundesländern ÜK-Treffen statt, zu denen ein breites, dem Milieu entsprechendes Kulturprogramm angeboten wird. Waren es in den 1970er Jahren noch Referenten wie der überzeugte österreichische Nationalsozialist Karl Springenschmied und in den 1990er Jahren Werner Georg Haverbeck, vom antisemitischen »Collegium Humanum«, so sind es heute z.B. Personen der rassistischen Ludendorffer-Sekte. Zum ÜK gehören neben den FG u.a. auch alte, noch lebende radikal Völkische aus dem mittlerweile aufgelösten »Freundeskreis der Artamanen«.

Gruppenstrukturen

Am meisten unterschätzt wird in diesem Milieu die Rolle einer »bündischen Studentenverbindung«: der »Deutschen Gildenschaft« (DG). Die DG ist eine neurechte Kaderschmiede, die ebenfalls nach dem Lebensbundprinzip organisiert ist. Aus ihr rekrutierten sich die Personen, die für die Gründung bedeutender neurechter Strukturen verantwortlich waren. Zu diesen zählt neben der Wochenzeitung »Junge Freiheit« auch das »Institut für Staatspolitik«. Die DG verfügt durch Doppelmitgliedschaften über einen starken Einfluss auf die politische Ausrichtung aller o.g. Gruppen.

Die meisten bekannten Überschneidungen finden sich allerdings zwischen der DG und dem »Freibund«, aber auch Mitglieder des »Sturmvogel«, der »Fahrenden Gesellen« und des DMWB sind in ihren Reihen aktiv. Durch die Zusammenführung von Funktionären aus den genannten Bünden sowie Personen die der Ideologie der Neuen Rechten nahe stehen und keine »jugendbewegte« Vergangenheit haben, erfüllt die DG eine wichtige Vernetzungsfunktion zwischen den führenden Köpfen rechter Jugendbünde einerseits und politischen Aktivisten und Autoren der Neuen Rechten andererseits.

Gefährliche Unauffälligkeit

In den Medien und auch in antifaschistischen Initiativen war die Freude über das vollzogene Verbot der HDJ im März dieses Jahres groß, nur wenige stellten die Frage nach Ausweichstrukturen in den Raum. Zum Teil fiel dabei der Name: Freibund. Sicherlich könnten einige Familien aus der HDJ über regionale Kontakte in anderen völkische Organisationen aufgehen bzw. diese für eine volkstreue Erziehung ihrer Kinder nutzen. Anderseits stehen die (radikal)-völkischen und von den Ideologiefragmenten der Neuen Rechten durchsetzten Gruppen konträr zur neonazistischen und an der Hitler-Jugend orientierten Arbeit der HDJ. Dass persönliche Kontakte untereinander bestehen, man gemeinsame Lager, Fahrten und Volkstanzveranstaltungen besucht, steht dabei außer Frage. So stehen beispielsweise im »Freibund« einzelne Mitglieder und Familien der HDJ und ihren Aktivisten näher als andere. In der Vergangenheit besuchten jedoch auch schon Kinder von HDJ-Funktionären Zeltlager des »Freibundes«.

Gruppen wie die FG oder der »Freibund« versuchen seit Jahren – zum Teil mit Erfolg – durch ihr jugendbewegtes Auftreten und ein aktives Zugehen auf die Wandervogel- und Pfadfinderszene die Grenzen zum progressiven Teil der Jugendbewegung aufzuweichen. In der Öffentlichkeit sind politische Äußerungen von Mitgliedern der genannten Gruppen eher selten. Von rechten Parteien versucht man sich nach außen hin abzugrenzen. Mit Blick auf die in dieser Szene zum Teil recht beliebten, eher harmlos anmutenden Volkstanzangebote, z.B. des »Freibundes« auf großen Szenetreffen heißt es dann oft: »Die wollen nur tanzen...« Untersucht man jedoch die Zeitschriften und Liederbücher dieser Gruppen auf ihre Inhalte, wird schnell deutlich, dass die jungen Mitglieder schon früh im Sinne eines Volkstumsgedankens und mit verklausulierter gebietsrevisionistischer Ideologie indoktriniert werden. Durch die Nähe, die die genannten Gruppen zu unpolitischen Gruppierungen der Pfadfinderszene suchen, sollen die »Werte« dieser rechten Bünde in der Mitte der Gesellschaft Verankerung finden.

Strategisch betrachtet findet auch hier der schon oft beschriebene »Kampf um die Köpfe« statt. Neurechtes und völkisches Gedankengut wird schleichend in die Mitte der Gesellschaft transportiert sowie Begrifflichkeiten und Themenfelder von rechts besetzt. Zum anderen bauen diese Gruppen, zum Teil erfolgreich, auf die Solidarisierung eigentlich unpolitischer Jugendgruppen. Während sich bestimmte Gruppen und Institutionen der Jugendbewegung gegen diese Einflussnahme wehren, setzen sich andere aktiv für eine Einbindung der völkischen Gruppen in die Strukturen der heutigen Szene ein. Daher ist es von Bedeutung, dass sich AntifaschistInnen und zivilgesellschaftliche Initiativen mit völkischen Lebensbünden auseinander setzen.

Wie Kenner der Szene immer wieder berichten, gibt es aus diesem Milieu kaum, bis gar keine Aussteiger. Die Kinder werden nach reaktionären und antiemanzipatorischen Vorstellungen von klein auf erzogen. Kinderreiche völkische Familien lassen ihre jüngsten zum Teil seit Generationen in diesen Bünden erziehen. Dabei spielen die Familien als »Sippe« und »Keimzelle des Volkes« eine zentrale Rolle. Aus diesem Umfeld auszubrechen hieße nicht nur mit der eigenen Ideologie, sondern auch mit dem Freundeskreis, dem sozialen Umfeld und dem heiligsten – der Familie – zu brechen.

Literatur:
Maik Baumgärtner, Jesko Wrede:
»Wer trägt die schwarze Fahne dort…
Völkische und neurechte Gruppen im Fahrwasser der Bündischen Jugend heute«

Reihe »Kompetente Konzepte für Demokratie und Toleranz«, Band 2
Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN
Braunschweig 2009
ISBN 978-3-932082-35-1