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Uruguay nazifrei?

Matti Steinitz
Einleitung

»Hier gibt es keine Nazis« ist in Uruguay häufig bei Fragen nach den Spuren des Nationalsozialismus als Antwort zu hören. Die NS-Verbrecher seien alle nach Argentinien, Brasilien und Chile geflüchtet und neonazistische Organisationen gäbe es schon gar nicht. Uruguay gilt als tolerantes Land mit einer langen demokratischen Tradition.

Bild: de.wikipedia.org; wikimedia.org

Als sich 1933 der Konservative Gabriel Terra an die Macht putschte, war eine seiner ersten Maßnahmen, die Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland zu vertiefen.

Viele Flüchtlinge, die die Spanische Republik im Bürgerkrieg verteidigt hatten, fanden hier Zuflucht. Die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten wird häufig sehr stolz betont, auch wenn Uruguay erst ein Jahr vor Kriegsende den Achsenmächten den Krieg erklärt hatte. In der offiziellen Version der Geschichte finden die zahlreichen Kontakte zum nationalsozialistischen Deutschland, die antisemitischen Kampagnen konservativer uruguayischer Politiker und die Anwesenheit flüchtiger deutscher Nazis nach Kriegsende hingegen so gut wie keine Erwähnung. Auch die Häufung neonazistischer Übergriffe, die seit Ende der 1990er Jahre zu verzeichnen ist, wird heruntergespielt. Die Taten werden als Werk verrückter Einzelgänger dargestellt.

Bereits in den 1920er Jahren fand die NS-Ideologie besonders in der deutschen Gemeinde des Landes Anhänger; eine Tendenz, die sich seit der Wirtschaftskrise von 1929 verschärfen sollte. 1931 wurde die »Partido Obrero Nacionalsocialista« (Nationalsozialistische Arbeiterpartei) gegründet, die Teil des internationalen Netzwerkes der NSDAP wurde. Viele lateinamerikanische autoritäre Regierungen dieser Zeit hegten Sympathien für Mussolini und Hitler, auch in den traditionell extrem konservativen Streitkräften wurde sich positiv auf sie bezogen.

Das Terra-Regime

Als sich 1933 der Konservative Gabriel Terra an die Macht putschte, war eine seiner ersten Maßnahmen, die Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland zu vertiefen und verschiedene Handels- und Investitionsabkommen abzuschließen. Eines der wichtigsten Projekte war der Bau eines Staudamms am Rio Negro durch Siemens. Das Staudamm-Projekt wurde von beiden Regierungen als großer Schritt für die Verbesserung der Beziehungen gewertet und führte schließlich zur Verleihung des Ordens »Goldener Adler« an Politiker und den Präsidenten des nationalen Stromunternehmens durch Hitler persönlich. 1935 leistet das Terra-Regime einen weiteren Beitrag zum guten Verhältnis zum nationalsozialistischen Deutschland, indem die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion abgebrochen wurden. Der uruguayische Konsul in Berlin ließ keinen Zweifel an den Sympathien des Terra-Regimes: »Wir begrüßen alle Maßnahmen der deutschen Regierung gegen den Bolschewismus.«

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre nahmen die Aktivitäten von Nazi-Zellen in Uruguay größere Ausmaße an. Diese Entwicklung korrespondierte mit zunehmend aggressiven antisemitischen Hetzkampagnen von uruguayischen Zeitungen, Pfarrern und Politikern. Der Pfarrer Iribarren beklagte in einer Radio-Ansprache, dass Uruguay, ein Land, das nie Probleme mit Einwanderern gehabt hätte, sich nun durch »die Juden« einem Konflikt ausgesetzt sähe, der bis jetzt jedes »Volk« heimgesucht hätte. Der Regierungspolitiker Leonardo Tutzo meinte einst: »Während sich die deutschen Kinder darauf beschränken, harmlose Phrasen gegen die Juden auf ihre Tafeln zu schreiben, rauben diese unsere Industrie und unsere Banken aus.«

Als Teil der antisemitischen Kampagne des Terra-Regimes wurde 1935 dazu aufgerufen, jüdische Geschäfte zu boykottieren. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges verweigerte die Regierung jüdischen Flüchtlingen, die auf Schiffen untergebracht waren, die Einreise ins Land. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges formierte sich breiter Widerstand gegen die antisemitischen und profaschistischen Tendenzen der Regierung und es wurde verstärkt vor einer Nazi-Unterwanderung gewarnt.

NS-Fluchtburg Uruguay

Nachdem das Terra-Regime Platz für eine demokratische Regierung machte, kam es in der uruguayischen Politik zu einer Wendung zugunsten der Alliierten, auf deren Seite das Land 1944 in den Krieg eintrat. Nach Ende des Krieges wurde sich häufig stolz auf das »antifaschistische Erbe« des Landes berufen.

Dennoch diente Uruguay einigen flüchtigen Nazis als Zwischenstation oder definitiver Unterschlupf. Als bekanntester Fall gilt der des »KZ-Arztes« Joseph Mengele, der 1960 mit falschen Papieren, die ihm von einem Netzwerk von flüchtigen Alt-Nazis beschafft wurden, nach Uruguay einreiste. In der kleinen Stadt Nueva Helvecia heiratete er unter seinen echtem Namen die Witwe seines Bruders Karl, Martha Maria Will. Nach heutigem Kenntnisstand wussten die uruguayischen Behörden von dem Aufenthalt des Massenmörders, sahen jedoch von einer Festnahme auf Basis des internationalen Haftbefehls ab und ermöglichten so, dass Mengele seine Flucht nach Brasilien fortsetzen konnte.

In den 1960er Jahren kam es in Uruguay zu einer Verschärfung der sozialen und politischen Konflikte. Massenhafte Streiks, radikalisierte Studierende und nicht zuletzt die Stadtguerrilla der Tupamaros forderten den kapitalistischen Staat heraus, der mit immer repressiveren Methoden reagierte. Ein wichtiges Element in der Strategie zur Unterdrückung einer Bedrohung von links waren extrem rechte Schlägertrupps und Todesschwadronen. Im Juni 1973 putschte sich das Militär an die Macht und sorgte so für die Institutionalisierung von politischer Verfolgung, Folter und Mord. Die Militärdiktatur wurde von Kräften getragen, die sich, wie politische Gefangene berichten, in den Foltersitzungen oft zum Nationalsozialismus bekannten.

Neonazistische Aktivitäten

Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985 gab es in Uruguay verschiedene Vorfälle, die auf ein überschaubares, aber sehr aktives Netz von Neonazis schließen lassen. Im Jahr 1987 wurden in Montevideo zwei Personen, das Mitglied der jüdischen Gemeinde Simon Lazowski und der Polizist Delfino Sicco, von Hector Paladino Rubira erschossen, der an die Tür seines Hauses ein Hakenkreuz gemalt hatte und in der Zeitung »El Tero« Drohungen gegen Juden, Schwarze und Kommunisten veröffentlichte. 1998 wurde ein Brandanschlag auf eine Synagoge in Montevideo verübt, der sich in eine lange Reihe antisemitischer Übergriffe, vor allen Dingen Friedhofsschändungen, einreihte.

In den ersten Tagen des Jahres 1999 gingen in Vierteln Montevideos drei Bomben hoch. Zu den Attentaten bekannte sich eine Gruppe namens »20. April«, die ein Zeichen gegen »korrupte Bullen, Penner und Dealer« setzen  wollte. Nach ihrer Festnahme sagten die Täter aus, dass sie vorher der Gruppe »Orgullo Skinhead« (Skinhead-Stolz) angehört hätten, ihnen diese aber zu theoretisch gewesen sei. »Orgullo Skinhead« war zu dieser Zeit die wichtigste uruguayische Neonazi-Gruppe.

Auf ihrer Website propagierte die Gruppe die Rettung des »weißen, europäischen Uruguays vor Schwarzen und Juden« und leistete wichtige Beiträge zur Vernetzung der südamerikanischen Neonaziszene. Ende 1999 wurde die Seite aufgrund von »Aufstachelung zum Rassenhass« aus dem Netz genommen und ihre Autoren, bei denen NS-Memorabilia und Waffen gefunden wurden, verurteilt. Nur ein Jahr später wurde mit der »Frente Nacional Revolucionaria« (Nationalrevolutionäre Front) eine weitere Neonazi-Zelle ausgehoben, deren Anführer Edgardo Cantero, ein ehemaliger Militär, verkündete, dass seine Organisation die Nachfolge der bereits erwähnten »Nationalsozialistischen Arbeiterpartei« antrete. Mehrere der ungefähr 100 Mitglieder waren zu dieser Zeit in der Armee aktiv, was auch die Herkunft der schweren Waffen in der Zentrale der Organisation erklärt.

Der letzte bekanntgewordene Übergriff fand im Februar 2005 statt, als drei Mitglieder der Punk-Band »Splith 7« von einer rechten Skinhead-Gruppe unter der Anführung von Matías »Braun« Cañibe überfallen und brutal zusammengeschlagen wurden. Damián Strata, der Sänger der Band, verlor einen Finger der linken Hand. Eine Woche später fand in Montevideo die erste antifaschistische Demonstration seit Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Ungefähr 1.000 DemonstrantInnen solidarisierten sich mit den Opfern und forderten ein Ende der Verharmlosung der neonazistischen Gefahr. Das Bewusstsein für die historischen Verbindungen zum Nationalsozialismus und die Präsenz extrem rechter Gruppierungen ist jedoch weiterhin nur bei sehr wenigen UruguayerInnen vorhanden.

Literatur:
Tricánico, Santiago: Los asesinos están aún entre nosotros – Nazismo 1930-2005, Montevideo 2005