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Unter den Augen der Polizei

Einleitung

Zwei Berlin-Brandenburger Neonazis wurden im Mai 2005 wegen versuchten Mordes zu Haftstrafen von vier bis fünf Jahren verurteilt. Sie hatten im Sommer 2001 ein antirassistisches Jugendfestival mit Brandsätzen angegriffen. Bei den Gerichtsverfahren gegen die Brandstifter kam es zu tumultartigen Szenen vor und im Gericht.

Der verurteilte Brandstifter Sebastian Dahl ist/war nach eigener Aussage Mitglied der NPD und der »Hifsgemeinschaft für Nationale Gefangene« (HNG).

Circa dreißig Neonazis aus dem Spektrum der verbotenen Kameradschaften »BASO« und »Tor« versuchten sich gewalttätig gegen AntifaschistInnen Eintritt zu verschaffen. Eine Entwicklung die sich – wie auch die undurchschaubaren polizeilichen Ermittlungen – zu betrachten lohnt.

Was war geschehen?

Die beiden 22jährigen Sebastian Dahl und Jeannine Paris waren am 14. Juli 2001 an einem Brandanschlag auf die Bühne des antirassistischen Jugendfestivals »Le monde est à nous« im brandenburgischen Königs Wusterhausen (KW) beteiligt. Mehrere junge AntifaschistInnen, die als Schutz vor Angriffen und Beschädigungen auf der Bühne geschlafen hatten, kamen nur durch Zufall nicht zu Schaden.

Sebastian Dahl hatte als einer von drei Tätern die Brandflaschen auf die Bühne geworfen. Paris hatte im Fluchtfahrzeug gewartet und ermöglichte den Brandstiftern die Flucht. Bei einem weiteren Anschlag am 30. Juli 2001 auf ein Lager von Roma und Sinti im brandenburgischen Wildau fuhr sie ebenfalls das Fluchtfahrzeug. Dabei verfehlten die Brandsätze nur knapp den Wohnwagen einer schlafenden fünfköpfigen Familie.

Schon kurze Zeit später gingen verschiedene Hinweise auf die Täterschaft Dahls bei beiden Anschlägen beim ermittelnden Polizeipräsidium Potsdam ein. Jedoch verschaffte ihm ausgerechnet das Berliner Landeskriminalamt ein Alibi, er hätte sich zur Tatzeit in seiner Wohnung aufgehalten. Die eilig gebildete Ermittlungsgruppe richtete ihre Ermittlungen zunächst gegen die rassistische Gruppierung »United Skins« aus Königs Wusterhausen.

Alle polizeilich bekannten 19 AktivistInnen sollten gar zur Speichelprobe gebeten werden, da die Täter Spuren hinterlassen hatten. Bundesweit bekannt wurde diese gewalttätige Neonazigruppe durch den V-Mann des Verfassungsschutzes Carsten Szczepanksi (Vgl. AIB Nr. 51, AIB Nr. 58). Tatsächlich war Paris zu diesem Zeitpunkt die Lebenspartnerin von Michael M., einem Protagonisten der United Skins.

Sebastian Dahl war bereits zur Tatzeit bei der Berliner Polizei bestens bekannt und wurde quasi komplett überwacht. So war dank Telekommunikationsüberwachung den Berliner Ermittlern schnell klar, dass sich Dahl mit Freunden zur Zeit des ersten Anschlags im brandenburgischen Eichwalde in einem Lokal getroffen hatte. Wie Paris in ihrer späteren Einlassung bestätigte, hatte sie sich mit ihren Mittätern Christian Anders, Sebastian Dahl und Ingo Nitschke dort getroffen, um später den Angriff auf das Festival zu verüben.

Beim zweiten Anschlag sei Dahl zu Hause in Berlin-Treptow gewesen. Dass es sich dabei lediglich um eine Monitorüberwachung handelte, die einer Beteiligung nicht entgegen steht, blieb zunächst unerwähnt. Ein Verlassen des Hauses über den Hof wäre nicht bemerkt worden. Die Ermittlungen verliefen daher zunächst im Sande. Später, im Juni 2002, folgte allerdings ein weiterer Hinweis, diesmal der eines/einer Informanten/in des Berliner LKA.

Dahl habe nun doch, zusammen mit den United Skins, die Anschläge zu verantworten. Eklatante Widersprüche dieser Art ziehen sich durch das gesamte Verfahren und der Prozess – fast vier Jahre nach der Tat – litt unter diversen Pannen und Ungereimtheiten im Vorgehen der Berliner Polizei. Zwar waren verschiedene »polizeiliche Vertrauenspersonen (VP)«, sprich Spitzel, bei der Aufklärung beteiligt, deren Aussagen wurden allerdings nicht protokolliert und als Zeugen standen sie dem Gericht, insbesondere der Nebenklage, nicht zur Verfügung.

Nach den Informantenhinweisen habe sich Dahl bei einem Trinkgelage am Tag nach dem ersten Anschlag vor seinen Neonazifreunden Paul Stuart Barrington (Berlin), Jan P. (Berlin) und Marcel K. (KW) mit der Tat gebrüstet. Zwei Tage vor dem Anschlag auf das Roma und Sinti-Lager in Wildau habe Dahl bei einer Kneipenrunde mit Barrington, Jan P., Marcel K. und anderen über den bevorstehenden Anschlag gesprochen.

Der Anschlag fand wie angekündigt statt. Als Zeugen vor Gericht wurden die Mitwisser trotzdem nicht zugelassen. Die Personengruppe war zu diesem Zeitpunkt Objekt verschiedener polizeilicher Ermittlungen. So standen Dahl, Barrington, Manuel M. und Patrick R. im Verdacht mittels Rohrbombe gegen einen ausländischen Imbiss vorgehen zu wollen. Gegen die Neonazigruppe aus Berliner und KWer Neonazis um Jan P., Marcel K. und Sebastian L. (Wildau) wurde zudem wegen des Sprengstoffanschlags auf den Jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg am 16. März 2002 ermittelt.

Trotzdem blieb im Gericht das rechtsmilitante Milieu aus KW und Umgebung, aus welchem die Täter kamen, außen vor. Dazu gehört beispielsweise Barrington. Der enge Freund Dahls ist nicht nur, wie auch Dahl selbst, durch gewalttätige Übergriffe auf politische Gegner aufgefallen. Er gestaltete und verwaltete mit Dahl die Website www.SS88.de. Diese Seite bewarb die rassistische Terrortruppe »Combat 18« und bedrohte Berliner Polizisten mit den Worten »LKA 5 – Die Kugel ist für Dich!«

Die ersatzweise für die Vertrauenspersonen geladenen Beamten des Berliner Staatsschutzes konnten oder wollten nicht zur Erhellung beitragen. Sie verwickelten sich zum Teil in erhebliche Widersprüche und litten unter immensen Gedächtnislücken. Die wirklich interessanten Fragen, zum Geschehen um die Anschläge und die Frage, welche Rolle die Ermittlungsbehörden dabei hatten, ließ das Gericht nicht zu.

Die Angeklagten äußerten sich nicht mehr, die Beamten hatten keine detaillierten Erinnerungen mehr, und die V-Leute wurden außen vor gelassen. Dass Dahl einen tatsächlich stattgefundenen Anschlag auf Roma und Sinti vor Polizei-Informanten ankündigte, wurde ihm nicht zum Verhängnis. Er gab bei seiner Vernehmung im September 2002 an, zum ersten Mal davon zu hören und wurde nicht weiter dazu befragt.

Die Akten zu den Überwachungsmaßnahmen gegen Dahl in Folge des Verdachts des Rohrbombeneinsatzes waren nicht zu besorgen. Die Maßnahmen seien nach Polizeigesetz und nicht nach der Strafprozessordnung durchgeführt worden. Dies ist allerdings nach dem Berliner Polizeigesetz unmöglich. Dass es unter diesen aufklärungsunfreundlichen Umständen zu einem Urteil wegen versuchten Mord kam, ist vor allem den engagierten und über Jahre beharrlichen NebenklägerInnen zu verdanken.