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Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Tolerantes Sachsen-Anhalt?

Einleitung

Ein Interview mit der Mobilen Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt des Vereins Miteinander e.V.

Das Opfer eines Neonaziüberfalls in Halberstadt.

AIB: Worin besteht die spezielle Situation von Flüchtlingen, wenn sie Opfer rechter Angriffe geworden sind?

Mobile Beratung: Insbesondere AsylbewerberInnen und Flüchtlinge mit dem Status der »Duldung« unterliegen vielfältigen gesetzlichen Beschränkungen wie der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die so genannte Residenzpflicht, einer auf akute Schmerzzustände reduzierten medizinischen Versorgung, einem – faktischen – Arbeitsverbot, abgesenkten Geldleistungen unterhalb der Sozialhilfe etc. Sie sind tagtäglich mit Diskriminierungen, Rassismus und sozialer Ausgrenzung konfrontiert. Gerade in ländlichen Regionen fehlen Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Werden sie Opfer von rassistisch bzw. rechtsextrem motivierten Angriffen, reihen sich diese ein in eine zumeist an sich schon kaum erträgliche Lebenssituation.

Gerade die Bewältigung der psychischen Auswirkungen eines solchen Angriffs wird vor dem Hintergrund eines ungesicherten Aufenthaltsstatus’, fehlender Lebensperspektiven und mangelnder Solidarität von Seiten der deutschen Bevölkerung, aber auch unzureichenden speziellen psychiatrischen, psychologischen bzw. psychotherapeutischen Angeboten erschwert. Flüchtlinge im Asylverfahren können ihren Wohnort nicht frei wählen, also auch nicht ohne weiteres wechseln. Oft dauert es Monate mit endlosem Briefwechsel, bis die Ausländerbehörden nach einem Angriff einen Verlegungsantrag in einen anderen Ort positiv beantworten. Die Angst vor einem erneuten Angriff bleibt für die meisten Flüchtlinge dann täglicher Begleiter.

AIB: Könntet Ihr dafür vielleicht auch ein konkretes Beispiel nennen?

Mobile Beratung: Der Äthiopier, der Ende Januar 2002 in der Regionalbahn nach Halle von zwei Rechtsextremisten mit Kampfhund und Messer brutal angegriffen, geschlagen und getreten worden war, hatte danach große Angst, weiterhin in der einige Kilometer entfernten Kleinstadt zu leben. Rassistische Beschimpfungen sind hier an der Tagesordnung, rechtsextreme Jugendliche auf den Straßen präsent. In der Gemeinschaftsunterkunft ist er der einzige Asylbewerber aus Äthiopien. Das Leben auf engstem Raum, wo Tag und Nacht Lärm herrscht, verschlimmert seine psychische Situation zusätzlich. Eine psychotherapeutische Behandlung ist in Sachsen-Anhalt derzeit nicht möglich. Doch seinem sehnlichsten Wunsch, nach Frankfurt/Main zu ziehen, wo er Freunde hat und sich sicherer als im Osten Deutschlands fühlen würde, stehen ausländerrechtliche Regelungen entgegen. Sein  Umverteilungsantrag wurde abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine Verarbeitung des Erlebten sind somit denkbar schlecht.

AIB: In Kleinstädten wie beispielsweise Köthen bei Dessau werden seit einiger Zeit ausländische StudentInnen vermehrt Opfer rechter Gewalt. Wie geht die Stadt und deren Zivilgesellschaft damit um? Welche Interventionsmöglichkeiten hattet und habt Ihr in Köthen?

Mobile Beratung: Von VertreterInnen der Stadt gab es unseres Wissens keinerlei offizielle Stellungnahmen. Die Polizeidirektion Dessau sprach von Zufall und einer »unglücklichen Häufung« fremdenfeindlicher Übergriffe. Allerdings verstärkte sie daraufhin die Polizeipräsenz in Köthen. Ein Zusammenhang zwischen den Angriffen und der Existenz einer gut organisierten Naziszene wird – zumindest offiziell – nicht hergestellt. Der Rektor der Fachhochschule Köthen hat gemeinsam mit lokalen Medien eine Plakat- und Imagekampagne gestartet, um die ausländischen Studierenden als unerlässlichen »Wirtschaftsfaktor« hervorzuheben.

Etwa zeitgleich mit dem Bekanntwerden der Übergriffe hat sich Anfang April 2002 in Köthen ein »Kommunales Netzwerk für Demokratie und Toleranz gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus« gegründet. Auf dem Gründungstreffen erschienen auch zwei Angehörige der »Kameradschaft Köthen«. Ein Vertreter einer Dessauer Antifagruppe forderte daraufhin, dass beide Personen des Raumes verwiesen werden sollten. Im Verlauf der Diskussion sprach sich jedoch schließlich die große Mehrheit der Anwesenden für ein Verbleiben der Nazis aus. Es dürfe niemand ausgegrenzt werden, »sofern er dies nicht durch sein Verhalten im Raum erzwingt«, so die Begründung.

Dass sich die »Kameradschaft Köthen« seit einigen Jahren zu einer der aktivsten und öffentlichkeitswirksamsten Neonazi-Gruppierungen in Sachsen-Anhalt entwickelt hat, die mit Einschüchterung und Gewalt gegen alles »Undeutsche« vorgehen, nimmt in Köthen kaum jemand wahr. Unsere Möglichkeiten, neben der Unterstützung direkt Betroffener lokale Veränderungsprozesse herbeizuführen, sind leider sehr begrenzt.

AIB: Mit welchen infrastrukturellen Problemen seid Ihr in Eurer Arbeit konfrontiert?

Mobile Beratung: Es gibt beispielsweise lediglich in Magdeburg ein psychosoziales Zentrum, das traumatisierte Flüchtlinge und MigrantInnen behandelt. Das Zentrum ist aber erst seit wenigen Monaten wieder besetzt und hat jetzt schon eine lange Warteliste, so dass eine Kirseninterventionsmöglichkeit für die Betroffenen kaum existiert, geschweige denn ausreichend Therapieplätze vorhanden wären. Es ist in Sachsen-Anhalt ausserdem nach wie vor sehr schwierig, engagierte RechtsanwältInnen zu finden, die sich auf Nebenklage spezialisiert haben und auch in asylrechtlichen Fragen kompetent sind. Das liegt auch daran, dass die Situation der Betroffenen sehr kompliziert ist und in den sehr arbeitsintensiven Verfahren z.B. größtenteils mit Übersetzungen gearbeitet werden.

Außerdem werden sie sehr schlecht bezahlt, meistens ist, wenn überhaupt, lediglich mit Prozesskostenhilfe zu rechnen. Dazu kommt, dass die Finanzierung durch CIVITAS nicht ausreicht. So werden beispielsweise fast ausschließlich Fahrtkosten mit öffentlichen Transportmitteln bezahlt und nur in Ausnahmefällen die Privatauto-Nutzung erstattet. Das öffentliche Verkehrsmittelsystem in Sachsen-Anhalt reicht aber überhaupt nicht aus, wenn man die Betroffenen vor Ort aufsuchen will. Noch schlechter sieht es bei der Bezahlung von Fahrtkosten für die Opfer selbst aus. Zum Beispiel wurde eine Asylbewerberin direkt am Bahnhof einer Kleinstadt angegriffen. In dem Dorf, wo sie leben muss, fährt ohnehin nur alle paar Stunden ein Bus zu dem Bahnhof, wo sie angegriffen wurde. Um zu ihrem Anwalt in die nächstgrößere Stadt zu kommen, muss die Frau jetzt weiterhin zu diesem Bahnhof fahren und dort den Zug nehmen, obwohl das eigentlich total fahrlässig ist und sie zudem ständig an den Ort des Angriffs zurück muss.

Finanziell ist es aber nicht anders möglich als weiterhin mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Hinzu kommt, dass wir die Arbeit mit den wenigen hauptamtlichen MitarbeiterInnen nicht alleine bewältigen können und sehr auf ehrenamtliche Unterstützung z.B. bei Prozessbegleitungen oder bei Übersetzungen angewiesen sind. Aber gerade in kleineren Städten und Gemeinden gibt es wenig bis gar keine Strukturen, die dem rechten Mainstream etwas entgegen setzen würden. Dort werden selbst normale, nicht-rechte Jugendliche angepöbelt, weil sie nicht rechts aussehen und sich nicht anpassen wollen.

AIB: Wie wirkt sich der CDU/FDP-Regierungswechsel in Sachsen-Anhalt auf Eure Arbeit aus?

Mobile Beratung: Schon jetzt ist erkennbar, dass Rechtsextremismus von der neuen Landesregierung nicht mehr als Schwerpunkt angesehen wird; und dass Rechtsextremismus, wenn überhaupt, nur noch in einem Atemzug mit Gewalt genannt oder im Totalitarismusdiskurs mit Linksextremismus gleichgesetzt wird. Damit wird den Bürgern signalisiert, dass Rechtsextremismus eben kein gesamtgesellschaftliches Problem mehr ist, das alle betrifft. Andere Auswirkungen, die wir noch indirekt zu spüren bekommen werden, sind, dass unser Trägerverein Miteinander e.V. keine Gelder mehr an Dritte weitergeben darf. Das heisst, dass kleinere Initiativen antirassistische und interkulturelle Projekte nicht mehr verwirklichen können. Langfristig werden so jegliche engagierte zivilgesellschaftliche Strukturen lahmgelegt und deren Entwicklung völlig ausgebremst. Bisher konnten engagierte Initiativen mit einer unbürokratischen finanziellen Unterstützung rechnen, mit der eine Reihe von guten Projekten gefördert wurde.

AIB: Danke für das Gespräch.

Kontakt:
Mobile Opferberatung
c/o Miteinander e.V.
Erich-Weinert-Str. 30
39104 Magdeburg
Tel.: 0391 / 5446710
Handy: 0170 / 2925361
Fax: 0391 / 5446711
eMail: opferperspektive.md [at] miteinander-ev.de
Internet:  HYPERLINK "http://www.miteinander-ev.de" www.miteinander-ev.de