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UN-Bericht kritisiert Rassismus in Deutschland

Einleitung

Vom 18. bis zum 27. September 1995 hielt sich der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Maurice Glele Ahanhanzo aus Ghana, in Deutschland auf, um sich »über die gegenwärtigen Formen des Rassismus, der rassischen Diskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und der damit verbundenen Intoleranz« zu informieren.

Bild: Screenshot von nuernberg.de

Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Maurice Glele Ahanhanzo aus Ghana.

Auf dem Programm standen u.a. der Austausch mit VertreterInnen verschiedener Behörden, Kirchen und Medien sowie Besuche von kulturellen Einrichtungen und Flüchtlingsunterkünften. Stationen seiner Reise waren Berlin, Bremen, Hamburg, Frankfurt, Wiesbaden, Dresden, Stuttgart und Bonn, zu seinen Gesprächspartnerinnen zählten unter anderem der Hamburger Bürgermeister Voscherau, der Rostocker Bürgermeister Danke, der Präsident der Dresdner Kripo Raisch, Helmut Rannacher vom Verfassungsschutz in Baden-Württemberg, die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Cornelia Schmalz-Jacobsen, der unvermeidliche Jugendforscher Professor Wilhelm Heitmeyer sowie CDU-Rechtsausleger Dieter Heckelmann von der Berliner Senatsverwaltung für Inneres.

Arbeitssitzungen fanden jedoch auch mit zahlreichen Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen statt, die die offiziellen und allzu einseitigen Darstellungen doch etwas korrigiert haben dürften. Von staatlicher Seite wurden dem UN- Berichterstatter diverse Maßnahmenkataloge und Erklärungen vorgelegt, die ein staatliches Engagement gegen Rassismus und angebliche Erfolge in der Integrationspolitik belegen sollten. Diese waren meist nach dem bekannten Muster gestrickt: Der Begriff »Rassismus« wird weitgehend durch verharmlosende Begriffe wie »Fremdenfeindlichkeit« und »Intoleranz« ersetzt, die eigenen Maßnahmen zur »kulturübergreifenden Verständigung" werden hochgelobt und »fremdenfeindliche Gewalt« wird zum Problem der Inneren Sicherheit erklärt, der mit »konsequenten Einschreiten der Sicherheitsbehörden einschließlich der abschreckenden Wirkung zahlreicher Gerichtsurteile« wirkungsvoll zu begegnen sei.

So sehr die staatlichen Vertreter auch bemüht waren, ihre Politik schönzureden, so kommt der Abschlußbericht, vorgelegt auf der 52. Sitzung der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen, nicht umhin, eine ganze Reihe »Probleme im Bezug auf die Integration der Ausländer« zu thematisieren. Eine der Hauptursachen, so wird analysiert, sei die »Zweideutigkeit« unter der die »Integrationspolitik der Regierung« leidet, »weil Deutschland sich - im Widerspruch zur Realität - selbst nicht als Einwanderungsland anerkennt.« Der Bericht verweist auf weitreichende »Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt, dem Arbeitsmarkt und auf dem Gebiet der Dienstleistungen«. Er kritisiert nachdrücklich die Behandlung der ehemaligen Vertragsarbeiter in der Ex-DDR, denen ausschließlich die Perspektive geboten wird, in ihre »Heimat« zurückzukehren, »selbst dann, wenn ihre Bindung an das Herkunftsland im Laufe der Zeit weitgehend gelöst war« und er kommt zu dem Schluß, daß »eine menschlichere Lösung als die Rückführung der Vietnamesen und Mosambikaner« gefunden werden müßte - für den diplomatischen Sprachgebrauch eine recht eindeutige Formulierung, die besagt, daß die derzeitige »Lösung« schlichtweg unmenschlich ist.

Weitere Kritikpunkte sind das sogenannte Flughafenverfahren, wörtlich als »kurzer Prozeß« bezeichnet, das keine ausreichende Prüfung der Asylanträge zuläßt, sowie die unzureichenden »Lebensbedingungen« in den Abschiebeknästen und die fehlende »Menschlichkeit« bei der »Rückführung sogenannter illegaler Einwanderer.« Dem Bericht zufolge sind diese »Widersprüchlichkeiten« unter anderem auf das Einbürgerungsgesetz zurückzuführen, »das weiterhin auf dem Prinzip des jus sanguinis (Recht des Blutes) beruht, während sich die meisten europäischen Staaten sowohl für das jus sanguinis als auch das jus soll (Recht des Bodens) entschieden haben.«

Deutlich herauszulesen ist auch das Unverständnis darüber, daß das deutsche Recht, »Personen deutscher Abstammung (...) aus der ehemaligen UdSSR und aus Osteuropa« »automatisch die Staatsbürgerschaft« zugesteht und zugleich »den Kindern von Einwanderern, insbesondere türkischen Kindern, die in Deutschland geboren sind und schon lange dort leben, die strengsten Bedingungen auferlegt.« In mancher Hinsicht ist der Bericht auch mit Vorsicht zu genießen, zum Beispiel wenn er in den Ausländerbeauftragten auf Bundes- und Länderebene »sehr engagierte und kompetente Personen« sieht und ihnen »beachtliche Anstrengungen« zur »Förderung der Eingliederung ausländischer Bevölkerungsgruppen« nachsagt. Auch wird die Arbeit der Sonderkommission »Soko Rex« der sächsischen Polizei gelobt, deren Strategie es zu verdanken sei, daß die fremdenfeindlichen Straftaten in Sachsen um angeblich 75 Prozent zurückgegangen seien. Auf welche fragwürdige Statistiken sich diese Erkenntnis beruft, bleibt unerwähnt.

Auch formuliert der Bericht in bestimmten Punkten, beispielsweise mit dem Ruf nach der Modifizierung des Einbürgerungsrechts, höchstens antirassistische Minimalforderungen. Das Dokument erhält seinen Wert darüber, daß es verdeutlicht, daß die deutsche Integrationspolitik und das deutsche Einbürgerungsrecht im internationalen Vergleich als reichlich antiquiert gelten und dem Standard der »zivilisierten« Nationen um Einiges hinterherhinken - in Anbetracht dessen, daß die Integrationspolitik in anderen europäischen Ländern kaum als fortschrittlich oder antirassistisch zu bezeichnen ist, so erscheint dies als eine bemerkenswerte Feststellung. Und schließlich untermauert der Bericht eine Erkenntnis, die - mit Ausnahme der deutschen Regierung - der ganzen Welt klar zu sein scheint, nämlich: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Die Herausgeber dieser Dokumentation, die Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL und das Marburger Informationszentrum für Rassismusforschung, äußern den Glauben: »Auch wenn wir die Einschätzungen des Sonderberichterstatters nicht in allen Punkten teilen, so glauben wir dennoch, daß sein Bericht für die Debatte in der Bundesrepublik ein wichtiges Dokument darstellt.« Der Haken an der Sache ist nur der, daß die offiziellen Stellen bisher an keiner Debatte interessiert scheinen, denn: Obwohl der UN-Sonderbericht schon seit über einem Jahr vorliegt, hat es bis heute keine Regierungsstelle für nötig gefunden, ihn - oder gar eine Übersetzung des französischsprachigen Originals – der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Daß der Bericht nun übersetzt vorliegt, ist ausschließlich den Herausgebern zu verdanken, die sich von den Vereinigten Nationen die Übersetzungsrechte geben ließen.

Die Dokumentation umfaßt 42 Seiten (einschließlich Vorwort, Anhänge und kurze Selbstdarstellungen der Herausgeber) und ist zu beziehen über das Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung / D.I.R., Postfach 1221, 35002 Marburg. Der Preis beträgt 10 DM, ab 10 Exemplaren 7,50 DM, ab 20 Exemplaren 6 DM.