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Treffer, aber nicht versenkt

Einleitung

NRW-Kameradschaften KAL, NW Dortmund und KS Hamm verboten

Hans-Jochen Voß (64), NPD-Vorsitzen­der des Kreises Unna und der Stadt Hamm, ist geschockt. So geschockt, dass er sogar Winston Churchill zitiert: »Der ehemalige britische Premierminister [...] soll gesagt haben: ›Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet, und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe‹. […] Aber Milch hatte der Besuch heute nicht dabei«, antwortete er auf einen Internetbericht von Christian Worch über die Razzien gegen drei Kameradschaften aus Nordrhein-Westfalen (NRW).

Bild: attenzione-photo.com

Ein Teil der bei der Razzia beschlagnahmten Gegenstände.

Zehn Stunden zuvor hatten Polizeibeamte bei Voß geklingelt, um ihm eine von 133 Verbotsverfügungen des NRW-Innenministeriums zu überreichen und seine Wohnung zu durchsuchen. Nach der wegen des Vorwurfs der Bildung einer »kriminellen Vereinigung« anberaumten Razzia gegen den im oberbergischen Radevormwald beheimateten »Freundeskreis Rade« am 25. April und dem Verbot der Kölner »Kameradschaft Walter Spangenberg« um Axel Reitz am 10. Mai hatte es am 23. August 2012 nun auch den »Nationalen Widerstand Dortmund« (NWDO), die »Kameradschaft Hamm« (KSH) und die »Kameradschaft Aachener Land« (KAL) erwischt. Diese waren zu Vereinen erklärt und auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten worden.

Jäger schlägt zu

Als »Mitglieder« des – nach neonazis­tischen Eigenangaben – 1983 gegrün­deten – NWDO wurden sowohl die Dortmunder »Autonomen Nationalis­ten« um Dennis Giemsch – inklusive des »Resistore-Versandes« – als auch Aktivisten der »Skinhead Front Dortmund-Dorstfeld« gewertet. Betroffen sind auch Personen aus anderen Städten, die in Dortmunder Strukturen ein­gebunden gewesen sein sollen. Insgesamt handelt es sich um 62 »Mitglieder«, unter ihnen Voß. Der 2003 gegründeten KSH um Sascha Krolzig wurden 25 »Mitglieder« zugerechnet. Diese Kameradschaft wurde mit tatkräftiger Unterstützung des NWDO aufgebaut und ist eng mit ihm verzahnt. Zur Ende 2001 gegründeten KAL wurden 46 Personen gezählt. Fast alle leben in der Städteregion Aachen, im Kreis Heinsberg oder im Kreis Düren. An der KAL-Spitze habe René Laube gestanden.

Neben Propagandamaterial, NS-Devotionalien, dem üblichen Waffenarsenal (darunter zwei scharfe Waffen des Jagdscheininhabers Voß), Datenträgern und Handys wurde auch sämtlicher Besitz der Gruppen beschlag­nahmt. Hierzu zählten neben dem Kameradschaftstransporter des NWDO auch  angemietete Räumlichkeiten in Dortmund (»Nationales Zentrum«) und Hamm (»Villa Kunterbraun«), die kom­plett leer geräumt wurden.

In Dortmund, Aachen, Wuppertal und Köln, den vier von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) ausgemachten Schwerpunkten des Neonazismus in NRW, waren Anfang des Jahres 2012 – also nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie – personell aufgestockte Ermittlungsgruppen beim Polizeilichen Staatsschutz eingerichtet worden. Jäger forderte, die »Rechtsextremisten aus der Anonymität herausholen« zu wollen, sowie den Kontroll- und Ermittlungsdruck zu erhöhen. Offenbar hatte er es hiermit durchaus ernst gemeint. Insbesondere in Dortmund wurde zunehmend Druck auf die neonazistische Szene ausgeübt, was zuvor fast ausschließlich von antifaschistischen Gruppen praktiziert worden war. Das genaue Gegenteil ist in Wuppertal zu beobachten. Obwohl nach Angaben des Innenministeriums die Stadt Wuppertal landesweit auf Platz zwei des souverän von Dortmund angeführten »Rechte Straftaten«-Rankings steht, erfreut sich die lokale Szene nach wie vor großer Freiräume und blieb bislang von staatlicher Repression verschont.

»Wir sind verboten. Na und?«

Die Razzien und Verbote vom 23. August haben vorerst durchaus Wirkung erzielt. So wurde beispielsweise in Dortmund keine einzige aus NWDO-Kreisen angemeldete Demo oder Kundgebung rund um den »Nationalen Antikriegstag« genehmigt und auch Proteste gegen die Razzien wurden verboten. Insbesondere der Verlust ihrer Infrastruktur und die Nichtgenehmigung der 1.-September-Demo stellen einen Rückschlag für die Szene dar. Ob allerdings auch weiterhin konsequent bzw. allerorts gegen Nachfolgeaktivitäten und -strukturen vorgegangen werden wird, ist eher fraglich. Bereits zwei Tage nach den Verboten fanden außerhalb Dortmunds fünf Mobilisierungskundgebungen für die »Nationalen Antikriegstag«-Demo des NWDO statt. Zwei der Veranstaltungen wurden von René Laube geleitet. Die KAL verfasste sogar nach ihrem Verbot eine Stellungnahme, die sie mit »Eure Kameradschaft Aachener Land« unterzeichnete: »Wir sind verboten. Na und? […] Selbst wenn die Gruppierung verboten wird, so bleiben doch die Aktivisten. Willkommen im Chaos. Viel Spaß damit!« Ob es allerdings der streng hierarchisch strukturierten KAL, die zudem nie parallele Strukturen in ihrer Region akzeptierte – einzige Ausnahme ist die noch relativ neue und vom KAL-Verbot nicht betroffene »Kameradschaft Alsdorf-Eupen« (KAE) – gelingt, dezentrale »autonome« Strukturen aufzubauen, wird sie erst unter Beweis stellen müssen. An Rekrutierungsfeldern für neonazistischen Nachwuchs dürfte es jedoch nicht scheitern, sowohl beim Fußball als auch im Aachener Umland.

Verbotswettbewerb »Die Rechte« vs. NPD?

In Dortmund und Hamm geht man traditionellere Wege. Keine drei Wochen nach den Verboten präsentierte sich eine Dortmunder Ortsgruppe der Worchschen Minipartei »Die Rechte«. Anschließende folgte die Gründung eines Landesverbandes in Dortmund-Dorstfeld. Landesvorsitzender ist Dennis Giemsch, sein Vize Michael Brück, bis zur Razzia Mieter des »Nationalen Zentrums« und baldiger Empfänger von 10.000 städtischen Euro für die vorzeitige Auflösung des Mietvertrages. Auch Sascha Krolzig gehört dem Landesvorstand an.

Ob auch die NPD oder deren in NRW faktisch nicht existente Jugendorganisation JN als Weiterbetätigungsfeld ins Rennen kommt, ist noch nicht absehbar und vor dem Hintergrund der Vorbereitung eines NPD-Verbotsantrages sowie eines »seriös-radikalen« Bundesvorsitzenden zu sehen. Es sei abgesprochen gewesen, jammerte Krol­­zig kürzlich, dass die NPD Unna/Hamm wegen des abgesagten KSH-Aufmarsches am 6. Oktober »eine neue Demonstration für den 6. Oktober in Hamm anmeldet«. Allerdings sei das »von Parteichef Holger Apfel«, der noch am 23. August mit seiner »Flaggschiff«-Crew im »Nationalen Zentrum« gelagerte NPD-Plakate vor dem Abtransport gerettet hatte, untersagt worden. Der lokale NPD-Führer, besagter Hans-Jochen Voß, fügte sich. In anderen Regionen scheint sich die NPD völlig offen um Akteure aus dem Spektrum der »Freien Kräfte« bzw. »Autonomen Nationalisten« zu bemü­hen. So in Wuppertal, wo die »Nationalen Sozialisten Wuppertal« aktuell versuchen, den Eindruck zu erwe­cken, sie seien keine »Kameradschaft« und erst recht kein Verein. Sogar ihre Homepage ist zwischenzeitlich aus dem Netz verschwunden. »Bei der personellen Besetzung wird der Stinkworchel den Wettbewerb, wer sich zuerst einen Verbotsantrag einheimst, wohl problemlos gewinnen. Wenn Du nachziehen willst, solltest Du zusehen, all die amüsanten Herrschaften mit dem afrikanisch anmutenden Ohrschmuck parteilich zu vereinnahmen, die Dein Happening am Wichi so extravagant-schillernd bereichert haben«, postete der aus der NPD ausgetretene ehemalige Parteifunktionär Thorsten Crämer nach einer von der NPD Wuppertal ausgerichteten Kundgebung am 15. September im Stadtteil Wichlinghausen. Die Antwort des Anmelders kam prompt: »Ist in Arbeit, bzw. bereits sogar schon geschehen.«