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Terrorpläne vor Gericht

Einleitung

Er sei »nationaler Sozialist« und Antizionist, aber kein Antisemit, wollte Martin Wiese vor dem Bayrischen Obersten Landgericht klargestellt haben. Und schob, von den Prozessbeteiligten unwidersprochen, eine kaum verholene Holocaustleugnung nach: »Der Holocaust, wie es genau gewesen ist, kann ich nicht beurteilen, ich war nicht dabei«. 

Alexander Maetzing überraschte das Gericht mit einem Teilgeständnis.

Am Tag zuvor hatte er sich mit einer 18-seitigen Erklärung erstmals ausführlich zu den Tatvorwürfen geäußert, für die er sich mit Alexander Maetzing, Karl-Heinz Statzberger, David Schulz, und – in einem Parallelprozess – Ramona Schenk, Monika Stillger, Jessica Fasel, Andreas Joachim und Thomas Schatt in München verantworten muss. Es hätte nie Pläne gegeben, die politischen Ziele mit Gewalt und terroristischen Mitteln zu verfolgen, betonte der frühere Anführer der »Kameradschaft München«, deren Mitglieder nun wegen Sprengstoff- und Waffendelikten und Anschlagsplanungen angeklagt sind. Ganz im Gegenteil, die Münchner Linke sei vielmehr brutal, die Münchner PDS halte sich gar einen »bewaffneten Arm«, und die konspirative »Schutzgruppe« der »Kameradschaft Süd«, die sonntags in den Wäldern von Lohhof und Mühltal den Nahkampf probte, sei nur zum Schutz der Demonstrationen und Veranstaltungen aufgestellt worden.

Zwölf Prozesstage lang wurde diese Behauptung von allen Angeklagten, Verteidigern und fast allen ZeugInnen mantrahaft wiederholt und die relativ lustlos wirkende Bundesanwaltschaft hatte bis dato wenig Belege präsentiert für ihren Hauptvorwurf, die Gruppe habe einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung für das neue jüdische Gemeindezentrum am 9. November 2003 auf dem Münchner St.-Jakobs-Platz geplant und vorbereitet. Mit den für Wiese völlig überraschenden Teilgeständnissen von Alexander Maetzing und David Schulz am 8. März 2005, wenige Minuten vor seiner eigenen Aussage, brach aber das so sicher geglaubte Verteidigungskonzept, »nur« an das Verspritzen von Schweineblut und Verteilen von Flugblättern sei gedacht worden, in sich zusammen. Der mit Steven Z. und Marcel K.  auf einer Fahrt von Menkin nach Polen ausgegrabene Granaten-Sprengstoff und das aus einer Panzerfaustgranate entnommene TNT hätten danach, zumindest in der Zukunft, für Anschläge benutzt werden sollen.

Wie hochgerüstet die Neonaziszene bundesweit ist, zeigte sich deutlich im bisherigen Prozessverlauf: Über Andreas Joachim (Brüssow), der mit Wiese in Pasewalk aufwuchs, besorgten sich die Münchner Neonazis sechs Pistolen mit je 50 Schuss Munition für 4000 Euro beim mittlerweile verstorbenen Naziwaffenhändler Peter Böttcher in Güstrow. Wiese hatte eigentlich auch vier Maschinenpistolen beschaffen wollen, aber Joachim angeblich die Bestellung nicht weitergeleitet. Zünder und Rohrbombenhülle gab es bei den Uckermärkischen Militariafanatikern und laut Zeugenaussagen auch über den bisher nicht angeklagten Dirk B. (Löcknitz), der Verbindungen zu südafrikanischen Diamantminen haben soll. Dominik B. (München), dessen Verfahren noch bevorstehen soll, war in großen Teilen der Szene für seine Kalaschnikow-Sammlung bekannt. Die Herkunft der bei Wiese aufgefundenen Handgranate ist noch nicht geklärt. Laut Andreas Joachim habe Wiese überlegt, diese oder eine Bombe vom Motorrad aus in die Grundsteinlegungsfeier zu werfen.

Wegen Erkrankung seiner Rechtsanwältin wird Martin Wiese seit dem 19. Januar von Gerald Aßner (München) und dem bekannten Regensburger Szene-Anwalt Günther Herzogenrath-Amelung verteidigt. Dass die gemeinsame Verteidigungsstrategie der Anwälte zusammengebrochen ist, dürfte nicht unerheblich an dessem Auftreten im Gerichtssaal gelegen haben. In Fragen (»Was halten Sie von Herrn Hitler?«) und Kommentaren lässt er oft seiner eigenen neonazistischen Einstellung freie Bahn. Nicht zuletzt dadurch bekommt Martin Wiese in letzter Zeit mehr und mehr einen Märtyrerstatus in der Neonaziszene, da er bisher auch nur die unumstößlich feststehenden Waffen- und Sprengstoffbeschaffungen zugegeben hat. In seiner neuesten Version, die Waffen nur für einen seriösen Abnehmer gekauft zu haben, dessen Namen er nicht nennen dürfe (»Ich habe ihm mein Ehrenwort gegeben«), damit dieser wiederum die politische Arbeit der Kameradschaft Süd finanziere, verstrickte er sich aber schon nach kurzer Zeit in heillose Widersprüche. Dem Neonazi Ringo F., der 2001 in Ehingen und Ulm an rassistischen Angriffen beteiligt war, versuchte Wiese im April 2004 einen mit Hakenkreuz verzierten Kassiber zukommen zu lassen: »Natürlich hat sich nichts an meiner Einstellung zu Führer, Volk und Vaterland geändert. Ich werde erst ruhen, wenn der Endsieg gefeiert wird. Heil Hitler!«

Zunehmend mehr Teile der Neonaziszene scheinen prompt wieder hinter ihm, der nur »Opfer« von »deals« der BAW mit den anderen Angeklagten sei, zu stehen. So konnte Wiese, der seit Januar 2005 auch in der HNG-Gefangenenliste1 geführt wird, im Gericht schon die »Kameraden« Uwe Meenen (Deutsches Kolleg, NPD-Unterfranken, Würzburg) und Norman Kempken (Anti-Antifa-Aktivist, Nürnberg) begrüßen, regelmäßig wird der Prozess auch von den jetzigen »Führern« des »Aktionsbüros Süddeutschland«/«Kameradschaft München«, Norman Bordin und Hayo Klettenhofer sowie Roland Wuttke (NPD-Kreisvorsitzender München), besucht. Zahlreiche Zeuginnen und Zeugen bestätigten, dass Martin Wiese bestens mit der NPD Ober- und Niederbayern, der verbotenen »Fränkischen Aktionsfront (FAF)«, Wuttkes »Demokratie direkt« und der »Deutschen Partei« zusammenarbeitete. Alle diese Gruppen sollen auch in die von FAF und »Aktionsbüro« gegründete »AG Bayern« einbezogen gewesen sein und hätten eine gemeinsame Kampagne gegen das Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, welches die Angeklagten gerne »KZ« oder »JKZ« nennen, vorgehabt. Wenig Aufklärung erbrachte der Auftritt von Didier Magnien, V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, der über langjährige Kontakte in der bayerischen Neonaziszene u.a. über die NPD/JN und den Münchner Fred Eichner (ehem. Bundesvorsitzender des »Nationalen Blocks«) das Vertrauen Wieses erlangen konnte.

Der ehemalige Fallschirmjäger der französischen Armee hatte die »Anti-Antifa-AG«  innerhalb der »Schutzgruppe« um Kathrin Q. und Monika Stillger nicht nur Nahkampf gelehrt, sondern sie auch mit einer hochauflösenden Kamera versorgt, das Observieren politischer GegnerInnen beigebracht und eine Liste Münchner und überregional aktiver linker Gruppen und Einzelpersonen, z.T. mit Adressen, mitgebracht. Monika Stillger plante er für die Anti-Antifa über Ingolstadt oder Augsburg zuerst in Nürnberger, dann in Münchner Antifazusammenhänge einzuschleusen. Für »Schutzgruppe« und »Aktionsbüro« installierte er das Verschlüsselungsprogramm PGP, führte Decknamen und Treff-Codes ein, weil er, wie er sagte, Razzien und Festnahmen durch die bayerische Polizei, wie bspw. am 20. April 2003 in Grainau, verhindern wollte. Dort, beim AG-Bayern-Lager, schlug Magnien persönlich ein Selbstmordattentat auf dem Münchner Marienplatz vor. Gefährlich sei das aber nicht gewesen, »weil niemand den Mut dazu gehabt hätte«, wobei, dies ergab die Raumüberwachung in Wieses Wohnung, Monika Stillger diesen Plan später durchaus mit Statzberger und Schatt diskutierte. Magnien (geb. 1969 in Nantes), Gründungsmitglied der rechten französischen Terrorgruppe PNFE, der zeitweise auch bei Anton Pfahler (ehem. Wehrsportgruppe Hoffmann) auf dem früheren »Deutsche-Stimme«-Gelände in Sinning wohnte, sparte sich kritische Fragen zu seiner eigenen Rolle. Es hätte »keine Anschlagspläne gegeben« und die Fragen seien »nicht von der Aussagegenehmigung gedeckt«.  

  • 1Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG), sie auch AIB Nr. 46, S. 28.