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Tatmotiv Antikommunismus. Anschläge auf linke Parteistrukturen

Ulla Jelpke MdB DIE LINKE
Einleitung

Im Schnitt wurde im Sommer 2011 alle zwei Tage ein Angriff auf ein Büro der Linkspartei verübt. Mal fliegen Steine durch die Scheiben, mal sind es potentiell lebensbedrohliche Stahlgeschosse. Mal werfen Neonazis Akten durcheinander und zertrümmern Computerbildschirme, mal wird ätzende und übelriechende Buttersäure ins Büro gegossen, dann wieder werden die Schlösser verklebt. 

Am 18. Mai 2011 beschädigten Unbekannte das Wahlkreisbüro der Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak (Die Linke) in Berlin-Kreuzberg. Vier Tage zuvor versuchten Neonazis hier einen Aufmarsch durchzuführen.

Eine von der Bundestagsfraktion erstellte unvollständige Auflistung extrem rechter Gewalttaten und Übergriffe gegen Die Linke zählt weit über Hundert solcher Fälle zwischen Januar 2010 und Juni 2011 auf. Immer wieder werden neonazistische Parolen und Morddrohungen an die Wand gesprüht – damit klar ist, wer für die Anschläge und Zerstörungen verantwortlich ist. Ebenfalls von rechten Anschlägen betroffen, wenn auch in deutlich geringerem Maße als die Linkspartei, sind Büros der SPD, der Jusos, der Falken sowie der Grünen. Bei einem Brandanschlag wurde Ende Juni 2011 das »Anton-Schmaus-Haus« der Falken in Berlin-Britz so stark zerstört, dass es vorerst nicht für die Kinder- und Jugendgruppenarbeit weitergenutzt werden kann. Das nach einem von der SA ermordeten Aktivisten der sozialistischen Arbeiterjugend benannte Falkenheim war in der Vergangenheit schon öfter Ziel von Neonazi-Attacken und auf der Internetseite des »Nationalen Widerstands Berlin« als potentielles Anschlagsziel mit Adresse und Fotos genannt. Auch auf mehrere andere linke Projekte in Berlin gab es Ende Juni Brandanschläge 1

Aufgeklärt werden die meist nächtlich verübten Anschläge nur selten. Nachdem im Juli und August eine Reihe von Anschlägen auf SPD-, DKP- und Linkspartei-Büros in Dortmund, Siegen und Hamm begangen und Drohparolen an die Wohnhäuser von bekannten Antifaschisten geschmiert wurden, wiegelte die Polizei mit Verweis auf den alljährlich von Neonazis Anfang September durchgeführten »Nationalen Antikriegstag« in Dortmund ab: »In den Wochen davor häufen sich Angriffe rechtsextremer Täter auf die Büros linksgerichteter Parteien – das ist jedes Jahr dasselbe und für uns nichts Neues«, erklärte der Dortmunder Polizeisprecher Wolfgang Wieland derartige »Störaktionen« zur Normalität. Obwohl die Dortmunder Neonaziszene auch polizeibekannt ist, wird kaum nach den Tätern gesucht. Nachdem mein Dortmunder Wahlkreisbüro in der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 2011 bereits zum sechsten Mal Ziel eines neofaschistischen Angriffs war, wurde das »Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt« von der Staatsanwaltschaft Dortmund in einer Rekordgeschwindigkeit von nicht einmal fünf Tagen eingestellt, »weil ein Täter nicht ermittelt werden konnte«. Dazu hieß es: »Weitere Nachforschungen versprechen zur Zeit keinen Erfolg.«

Während Anschläge auf linke Parteibüros und Treffpunkte für die Polizei vielerorts zur Bagatelle erklärt werden, heizen die Springer-Presse und Unionspolitiker das Klima, in dem solche Anschläge erst möglich werden, mit primitivster antikommunistischer Hetze nachhaltig an. Mitten in das Sommerloch platzte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt mit seiner Forderung nach »verschärfter Beobachtung« der Linkspartei durch den Verfassungsschutz und der Einleitung eines möglichen Verbotsverfahrens gegen Die Linke. Erst wenige Tage davor hatte Dobrindts Parteifreund, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, ein neues Verbotsverfahren gegen die faschistische NPD abgelehnt. Als Begründung für Dobrindts Forderung musste einmal mehr ein Vortrag der Linke-Vorsitzenden Gesine Lötzsch auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar in Berlin herhalten.

Entsprechend der Aufgabenstellung der Konferenz hatte sie in ihrem zuvor bereits in der Tageszeitung junge Welt veröffentlichten Beitrag angegeben, »neue Wege zum Kommunismus« zu suchen. Diese verliefen bei ihr freilich nicht über eine gewaltsame Revolution und endeten auch nicht in der Diktatur des Proletariats. Vielmehr erteilte die Linksparteivorsitzende autoritären Sozialismusmodellen eine klare Absage und skizzierte eine sozialdemokratische Reformstrategie. Allein der Gebrauch des bösen »K-Wortes« hatte im Januar schon die Unionsparteien und die rechte Presse auf die Barrikaden getrieben. Dass an der Konferenz auch die DKP-Vorsitzende Bettina Jürgensen und die von der bürgerlichen Presse unisono als »Ex-Terroristin« titulierte Linksaktivistin Inge Viett teilnahmen, wurde Lötzsch ebenfalls zur Last gelegt.

Dobrindt warf der Linkspartei auch vor, sie wolle eine andere Republik, weil sie den Kapitalismus zu überwinden versuche. Zurecht hat der Ko-Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, in einem Kommentar für das »Neue Deutschland« darauf hingewiesen, dass Dobrindts Äußerungen »anmaßend, bedenklich und bestürzend zugleich« sind. Anmaßend sei die Forderung nach dem Linksparteiverbot insbesondere, da das Grundgesetz zwar die Menschenwürde, die demokratische Willensbildung, die Meinungsfreiheit und den Sozialstaat schütze, nicht aber den Kapitalismus.

Auch 22 Jahre nach dem Ende der DDR muss die Mauer- und Stasi-Keule dafür herhalten, jede Kritik am Kapitalismus zu diskreditieren. Jede Alternative soll so von vornherein als »stalinistisch« und letztlich im Gulag endendes Unrecht diffamiert werden. Glücklicherweise lassen sich davon angesichts der tatsächlichen Verwerfungen des Kapitalismus und dessen weltweiter Krise immer weniger Menschen beeindrucken. Dort, wo Die Linke bei Wahlen Stimmen verliert, hat dies nicht mit ihrer differenzierten Positionierung zur DDR-Vergangenheit, sondern eher mit einer zu starken Anpassung an bürgerliche Realpolitik in der Gegenwart zu tun. Dass der von Dobrindt und Konsorten gepredigte Antikommunismus damit keinen fruchtbaren Boden mehr finden würde und nur noch den rechten Rand der CSU bindet, wäre allerdings ein Fehlschluss. Denn in Teilen der bürgerlichen wie extremen Rechten hat längst eine Neuinterpretation dessen, was unter »Sozialismus« oder »Marxismus« verstanden wird, stattgefunden. Dies verdeutlichen die Anschläge von Oslo im Juli diesen Jahres.

Dass Islamhass ein zentrales Motiv für diese Anschläge mit 77 Toten war, wurde weithin zur Kenntnis genommen. Doch nicht etwa einer Moschee  oder explizit muslimischen Jugendlichen galten die Anschläge von Anders Behring Breivik. Sie richteten sich vielmehr gegen die sozialdemokratische Regierung und ein Ferienlager der Arbeiterjugend. Aus der Sicht des Attentäters war dies durchaus schlüssig. Denn das zweite zentrale Feindbild Breiviks war der »Marxismus« beziehungsweise der »Kulturmarxismus«. »Marxisten« würden Hand in Hand mit der arabisch-islamischen Welt und vermittelt durch die Ideologie des Multikulturalismus an der Islamisierung Europas arbeiten, lautet die in Breiviks 1500-seitigem Manifest verkündete Verschwörungstheorie. Die »Marxisten« sind für Breivik bereits die keineswegs radikalen Sozialdemokraten der in Norwegen regierenden Arbeiterpartei und ihre Jugendorganisation Arbeiterjugend. Die meisten der Toten waren Mitglieder der Arbeiterjugend. Damit handelt es sich bei dem Anschlag auf der Insel Utoya um das schlimmste Massaker an Sozialisten in Europa, das seit Entstehen der Arbeiterbewegung in Friedenszeiten außerhalb von Kriegen und niedergeschlagenen Revolutionen begangen wurde. Dass Antikommunismus ein so entscheidendes Motiv für den Massenmord von Oslo war, bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings weitestgehend unbemerkt.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich besteht ein Unterschied zwischen der unsinnigen Forderung nach einem Verbot der Linkspartei und den als Akte der Selbstjustiz von Neofaschisten verübten Anschlägen auf Parteibüros. Und glücklicherweise waren bei diesen Anschlägen bislang keine Toten zu beklagen. Von Einschüchterungsterror gegen die Linkspartei kann durchaus gesprochen werden, von Terrorismus (noch) nicht. Dennoch ist Wachsamkeit geboten.

Ulla Jelpke ist Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag und deren innenpolitische Sprecherin