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Strategie: Extrem rechte Bürgerinitiativen

Simone Rafael
Einleitung

Immer wieder sucht die NPD nach Strategien, verdeckt an Bürger_innen heranzutreten, um ihren Rassismus unverdächtiger platzieren zu können. Erste Versuche, mit extrem rechten Bürgerinitiativen gegen Flüchtlinge und Migrant_innen in Stellung zu gehen, gab es in den 1980er Jahren. Besonders erfolgreich war die NPD mit dieser Strategie allerdings erst seit 2013.

Foto: Christian Mang

Demonstration von ca. 150 Neonazis gegen die Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Hellersdorf. Eine Sitzblockade führte zum vorzeitigen Ende der Veranstaltung.

Im Jahr 2013 waren die extrem rechten Bürgerinitiativen die erfolgreichste Strategie im NPD-Umfeld. Unter Schlachtrufen wie „Nein zum Heim“, „Kinderschutz statt Asylbewerber“ oder „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ schaffte es die NPD, an zahlreichen neuen Standorten für Flüchtlingsheime, die Ängste der Bevölkerung zu schüren, zu kanalisieren und sie hinter ihren rassistischen Bannern und Fackeln zu vereinen. So etwa im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf, in Bautzen, Greiz, Wolgast, Gransee oder Bad Belzig. Protestveranstaltungen wurden so schnell gekapert, wenn sie nicht eh von NPD-nahen Personen angemeldet wurden. Insgesamt waren es nach Medienrecherchen rund 50 von der NPD angemeldete Demonstrationen gegen Flüchtlingsheime im Jahr 2013.

Einen traurigen Höhepunkt fanden die Aktivitäten im sächsischen Schneeberg, wo rund 2.000 Menschen mit Fackeln durch den Ort zogen. Die nicht-rechten Parteien und Politiker_innen müssen dabei zumindest eine Mitschuld erkennen: Viele ­An­woh­­ner_innen beklagten mangelnde ­Tran­s­­pa­renz von Behördenentscheidungen, zu wenig Informationen und zu wenig Beachtung für ihre - zum Teil recht abstrusen - Ängste. Die NPD allerdings war da, um genau diese zu schüren. Im Fortgang des Jahres durfte aber bei immer mehr dieser Demonstrationen bezweifelt werden, ob dort wirklich noch empörte Bürger_innen mitlaufen - oder vielmehr Neonazis, die zum Teil von weit her für die Proteste anreisen. Einen PR-„Höhepunkt“ erlebte die neonazistische Szene jüngst mit der „Bürgerinitiative“ „Leipzig steht auf“: Sie nutzte eine Idee der Astrid-Lindgren-Grundschule, mit Schüler_innen die benachbarte Flüchtlings-Notunterkunft zu besuchen, um rassistische Stimmung dagegen zu machen – und schaffte es immerhin von Dezember 2013 bis Februar 2014, dies als scheinbaren „Protest empörter Eltern“ wirken zu lassen. Erst bei einer Demonstration am 3. Februar 2014 wurden die NPD-Drahtzieher_innen hinter der Aktion sichtbar.

„Nein zum Heim“

Flankiert wurden die Aktionen breitgefächert mit aktuell um die 40 Präsenzen in den Sozialen Netzwerken. Die heißen „Nein zum Heim in Friesack“ oder „Geithain wehrt sich“ und werden ebenfalls von der NPD oder NPD-nahen Akteuren ins Netz gestellt und mit „passender“ rassistischer Propaganda bestückt, etwa einem roten Button mit der Aufschrift „Asylmissbrauch? Nein Danke!“. Hier allerdings ist auffällig, dass sich mit der Zeit ein Netzwerk entwickelt hat, was in größeren Teilen selbstreferenziell bleiben dürfte - also eher das extrem rechte Klientel erreicht, die sich von einer Seite zu anderen „liked“. Dieses Netzwerk zeigt sich inzwischen auch dadurch, dass es Facebook-Seiten gibt, die die einzelnen regionalen Aktivitäten bündeln, wie die Seite „Keine weiteren Asylantenheime in Deutsch­land“ (17.447 Likes im Februar 2014). Diese Facebook-Präsenzen finden medial einen großen Nachhall, zeigen sie doch Menschenverachtung live zum Mitlesen. Tatsächlich funktionieren sie auch als Anlaufpunkt für bisher nicht organisierte Menschen, wie eine Recherche des Projektes „no-nazi.net – Für soziale Netzwerke ohne Nazis“ unter Jugendlichen in einer Facebook-Gruppe gegen das Flüchtlingsheim in Schneeberg zeigte. Hier finden sich Jugendliche mit (bisher) unpolitischen Facebook-Profilen zwischen den NPD-Aktivis­t_innen, die auf Nachfrage bereits rassistische, an den Diskursen geschulte Argumentationen zeigen.

Bürgerinitiative Ausländerstopp

Die Idee der extrem rechten Bürgerinitiativen ist allerdings nicht so neu, wie es angesichts dieser Entwicklungen vielleicht scheint.  Bereits 1980 gab es die erste „Bürgerinitiative Ausländerstopp“. Mit der hetzten ehemalige NPD-Funktionäre erstmals 1980 in Wattenscheid gegen Migrant_innen, forderten unter anderem getrennte Klassen für „deutsche“ und „migrantische“ Kinder. In den 1990er Jahren machte dann die NPD-nahe „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ in Bayern von sich reden, die erstmals 1996 ein Mandat im Landkreis Neumark in der Oberpfalz erreichte, aktuell sitzen Vertreter in Stadträten in Nürnberg und München.

Schöner (und sicherer) Wohnen in ...

Während die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ zum einen ihren Rassismus im Titel trägt und zum anderen von Anfang an eher wie eine Partei-Organisation agierte (die sie ja auch war), gab es in den 2000er Jahren auch extrem rechte Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime, die verdeckter agierten und so die Idee der unauffälligen Kontaktaufnahme mit der nicht explizit rechten Bevölkerung besser erfüllten. Die hießen dann „Schöner Wohnen in ...“, kamen aus der Kameradschaftsszene in Mecklenburg-Vorpommern und hatten zum Ziel, den Bezug neuer Flüchtlingsheime zu verhindern oder darauf Einfluss zu nehmen bzw. bestehende Heime zu schließen. Zu den Aktivitäten dieser „Bürgerinitiativen“ zählten auch Gewalt androhende Graffitis an den Unterkünften selbst. Die Initiative „Schöner Wohnen in Wolgast“ etwa gab sich bürgerlich und machte mit einem Flyer gegen das geplante Heim in Wolgast mobil. Sie sammelte über 300 Unterschriften, die dem damaligen Bürgermeister Kanehl (SPD) übergeben wurden. Das für die Unterbringung vorgesehene Gebäude wurde mit Drohungen beschmiert, wie „Wir wollen kein zweites Lichtenhagen und du Kahmel [sic!]?“, oder „Lichtenhagen! Solingen! Möll! Wolgast?“ Zugleich wurde auf zahlreichen NPD-Kanälen gegen „Asylmissbrauch“ und „Überfremdung“ gewettert. Ermutigt durch den Erfolg entstand 2004 die „Bürgerinitiative“ „Schöner und sicherer wohnen in Ueckermuende“ des späteren NPD-Landtagsabgeordneten Tino Müller, der es gar gelang, 2.000 Unterschriften gegen ein Flüchtlingsheim in der Stadt zu sammeln. Ohne Zweifel waren diese Initiativen Vorbild für die vielen rassistischen Bürgerinitiativen, die sich 2013 gebildet haben.

Die Hetzer_innen sind teilweise noch die gleichen wie in den 1990er Jahren - und die Folgen?

Mecklenburg-Vorpommern hat sowohl als NPD-“Musterland“, als auch in der Abwehr von Flüchtlingen eine traurige Tradition. Bereits 1992 war der heutige NPD-MV-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewksi verantwortlich für Flugblätter mit dem Titel „Widerstand gegen die Ausländerflut“, die die „Hamburger Liste für Ausländerstopp“ in Rostock-Lichtenhagen verteilte. Ziel war es damals die Stimmung unter der Bevölkerung zugunsten der Neonazis anzuheizen - das Pogrom von 1992 war die Folge auch dieser Hetze. Auch bei den Protesten 2013 gegen Flüchtlingsheime in Mecklenburg-Vorpommern ist Andrejewski wieder mit dabei, veröffentlicht - nun unter dem Label „NPD“ - einen „Leitfaden zum Umgang mit Asylanten in der Nachbarschaft“, der neue Ängste schürt: „Wenn aber Asylanten die Ruhestörer sein sollten und man sich beschwert, muß man damit rechnen, sofort als ,Rassist‘ oder ,Ausländerfeind‘ verunglimpft und fertig gemacht zu werden.“ oder „Vor Gericht wird bei solchen Vorwürfen [gemeint ist Rassismus] Ausländern  eher geglaubt als Deutschen. Daher: Wenn schon mit Asylanten reden, dann nur mit deutschen Zeugen.“ Traurig, aber wahr: Angeblicher Asylmissbrauch oder Angst vor angeblicher Kriminalität sind 2013 immer noch Themen, die zur Mobilisierung taugen. Und es bleibt nicht nur bei Demonstrationen und Internetseiten: Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2012 insgesamt 24 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert. Bis Ende November 2013 waren es nach vorläufigen Angaben schon 43. Im Jahr 2014 dürfte sich diese Zahl noch erhöhen: Allein in den ersten zwei Monaten gab es etwa am Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf zwei Anschläge sowie drei Störungen und Bedrohungen. In Heiligenhaus (NRW) wurde im Januar an der Flüchtlingsunterkunft sieben Mal hintereinander Feuer gelegt. In Germering bei München gab es im Januar einen Brandanschlag, im Wohratal in Hessen drangen Rassisten in die Flüchtlingsunterkunft ein und demolierten sie. Bei diesen Vorfällen ist bisher kein Mensch lebensgefährlich zu Schaden gekommen – allerdings sind diese Angriffe, die die Verletzung oder gar den Tod von Menschen in Kauf nehmen oder sogar wünschen, eine enorme Belastung für die bereits traumatisierten Flüchtlinge in den  isolierten Heimen, die sich eh von der Bevölkerung oft eher bestaunt bis beschimpft finden als aufgenommen.