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Stolz & Vaterland – Zur politischen Situation in Serbien

Petar Atanackovic
Einleitung

Im Vergleich zu anderen südosteuropäischen Staaten ist die Situation in Serbien eigentlich eher »gut«. Die Anzahl organisierter Faschisten und neonazistischer Gruppen ist im Vergleich zu Ungarn und der Slowakei geringer. Dennoch ist die serbische Gesellschaft nicht von faschistischen Einstellungen frei – ganz im Gegenteil.

Bild: Screenshot youtube.com/NSF Srbija

Der serbische Neonazifunktionär Goran Davidovic.

In Serbien gibt es eine Reihe von großen faschistischen und neonazistischen Gruppen, die insgesamt zwischen 500 und 1.000 Mitgliedern haben. Die größte Organisation ist die klerikal-faschistische Organisation Obraz deren Name ins Deutsche übersetzt »Stolz« heißen könnte. Es gibt die chauvinistische und antisemitische Gruppe Movement 1389, die Neonazigruppe Nacionalni stroj (Nationales Aufgebot) und eine Reihe von kleineren Neonazigruppen, die mit dem Blood & Hounour - Netzwerk verbunden sind. Vor zwei Jahren gründeten sie ihre eigene politische Partei namens NSP (Das neue serbische Programm), aber die Partei hatte bislang keine größeren Erfolge bei Wahlen.

Alle oben erwähnten Gruppen bewegen sich mehr oder weniger an den gesellschaftlichen Rändern. In den letzten Jahren haben sie aber versucht in den politischen und (sub-)kulturellen Mainstream »durchzubrechen«. Die Gründung einer politischen Partei ist dabei ein Weg. Der andere Versuch war der Aufbau einer Firma, die explizit eine eigene, besonders »patriotische« Kleidungsmarke namens Otadzbina (Vaterland) produziert- ganz offensichtlich unter dem Einfluss des Beispiels von Thor Steinar. Auch wenn die hier beschriebenen Aktivitäten begrenzt sind, zeigen sie doch einiges über die Trends im Vorgehen der Rechten in Serbien.

Verschiedenste Kontakte bestehen zu Gruppen und Organisationen aus Deutschland, Russland, Polen, Slowakei, der Tschechischen Republik, Österreich, Italien und Griechenland. Der direkte oder auch indirekte Einfluss ihrer europäischen »Kameraden« zeigt sich ganz offensichtlich in ihren Aktivitäten. Serbische Neonazis haben ihre Strategie geändert: weg von expliziten nationalsozialistischen Parolen- hin zu verdeckteren Formen der Propaganda. Beispielsweise steht die Propaganda der NSP ganz offensichtlich unter dem Einfluss oder dem Vorbild der NPD aus Deutschland.

Zwei Anführer der serbischen Neonazis leben bzw. lebten nicht in Serbien, sondern im Ausland. Einer von ihnen, Dragan Petrovic alias Bajba lebt in der tschechischen Hauptstadt Prag, der andere, Goran Davidovic, auch »Führer« genannt, lebte im italienischen Triest. Letzterer floh zum Jahresbeginn 2010 von Italien nach Deutschland, wurde dort im Frühjahr 2010 verhaftet und nach Serbien ausgeliefert, wo er zu einer Haftstrafe von einem Jahr für die Verbreitung von nationalistischer und rassistischer Hetze verurteilt wurde.

Eine weitere Ebene sind die rechten Strömungen innerhalb der in Serbien lebenden ungarischen Minderheit. Einige ungarische Gruppen in Serbien haben Verbindungen zu neonazistischen und faschistischen Gruppen in Ungarn. Center Rakotzy aus der serbischen Stadt Kanjiza und die Organisation Ungarische Hoffung aus Subotica unterhalten direkte Beziehungen mit der faschistischen ungarischen Partei Jobbik. Der Vorsitzende von Jobbik, Gabor Vona, war ein Ehrengast bei der ersten Konferenz der »Ungarischen Hoffnung«. Anfang Juli 2010 fand ein von diesen Gruppen organisiertes »nationales Lager« für ungarische Jugendliche in Serbien statt.

Antifaschistische Organisationen warnten die Öffentlichkeit vor dieser Veranstaltung und die Polizei hinderte mehrere Neonazigruppen am Grenzübertritt von Ungarn nach Serbien. Dennoch konnte die Veranstaltung stattfinden. Später wurde enthüllt, dass der serbische Staat die Organisation des Camps finanziell direkt unterstützt hatte. Anstatt diesen Skandal aber zu untersuchen, wurde staatlicher Druck auf diejenigen Antifaschist_innen ausgeübt, die den Skandal aufgedeckt hatten. So wurde die größte antifaschistische Website in Serbien (http://afans.org) durch »Unbekannte« blockiert.

Ein weitaus größeres Problem als die organisierten Rechten in Serbien ist jedoch die pro-faschistische Einstellung eines großen Prozentsatzes der Bevölkerung. Ein Teil der Gesellschaft teilt »Werte« und Einstellungen, die aus ihnen potenzielle, zukünftige Wähler einer faschistischen oder neonazistischen Partei machen könnten. Auch wenn die Situation wesentlich besser ist als noch vor einigen Jahren, ist ein großer Teil der Gesellschaft immer noch extrem nationalistisch, chauvinistisch, homophob, rassistisch und nahe an antisemitischen Einstellungen. Die serbische Politik gegenüber dem Kosovo oder den Albanern verstärken derartige Einstellungen noch. Auch die staatliche Politik gegenüber der Roma-Bevölkerung ist problematisch. Besonders skandalös war der Fall einer Zwangsumsiedlung von Roma aus Belgrad im Jahr 2009, als Gruppen von Roma zunächst in einem improvisierten Lager festgehalten und dann mit Gewalt in die Außenbezirke von Belgrad und anderer Städte umgesiedelt wurden.

Im Juni 2010 versuchten Dorfbewohner aus Jabuka, einem Dorf nördlich von Belgrad, Roma-Familien aus dem Dorf zu lynchen bzw. aus dem Dorf zu vertreiben. Der Staat war gezwungen, Sondereinheiten einzusetzen, um die rassistischen Ausschreitungen zu beenden. Meistens reagiert der serbische Staat auf derartige Probleme erst nach öffentlichem Druck. Im Sommer 2009 nahmen Polizeibeamte die Anführer der faschistischen Gruppen Obraz und 1389 fest. Aber kurz darauf versuchte der Staat das »Gleichgewicht« wieder herzustellen, indem »Linksextremisten« verhaftet wurden. Der Fall der sechs Anarchisten aus Belgrad, die ein halbes Jahr ohne einen Prozess im Knast verbrachten, zeigt, wie der serbische Staat versucht, gegen »Extremismus« vorzugehen: das Ergebnis ist, dass Faschisten und Antifaschisten als »gleich schuldige« Seiten behandelt werden.

In mehreren Städten in Serbien gibt es antifaschistische Organisationen, die unterschiedliche Aktivitäten im Kampf gegen faschistische und neonazistische Gruppen und Strömungen in der Gesellschaft organisieren. Diese Gruppen – AFANS (Antifa Novi Sad) ist die größte unter ihnen – haben zwei Anti-Nazi-Demos in Novi Sad und Belgrad organisiert. Es gibt viele kontinuierliche Aktivitäten, Bildungsseminare; einige Gruppen haben Veröffentlichungen, einige organisieren kleine Antifa-Festivals und Konzerte. Dazu gehören beispielsweise das Antifa-Festival ZAF (Zrenjanin Antifa Festival) in der Stadt Zrenjanin, das im Oktober 2010 zum dritten Mal stattfinden wird und Gedenkveranstaltungen am 9. November zur Reichspogromnacht. Auch wenn die Aktivitäten von Faschisten und Neonazis in Serbien nicht alarmierend stark sind, sind Antifa-Gruppen und Initiativen wachsam und aktiv. Denn es ist besser, etwas zu verhindern, als es hinterher auszukurieren!

Weitere Informationen:
http://afans.org  und www.ako.rs