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Stichwortgeber aus der Mitte der Gesellschaft

Einleitung

Ausgerechnet am 1. April 2009 übergab ein Potsdamer Stadtverordneter der rechten Partei »Deutsche Volksunion« (DVU) dem Oberbürgermeister der brandenburgischen Hauptstadt einen Stapel Papiere. Es waren 203 Unterschriften für den Antrag einer BürgerInnenbefragung über die Errichtung eines Flüchtlingsheims in dem Potsdamer Stadtteil Schlaatz. Die Aktion war allerdings kein Aprilscherz sondern Teil einer Kampagne, mit der verschiedene rechte Spektren in Potsdam wieder ein neues Betätigungsfeld gefunden haben, bei dem sie auch in der Bevölkerung auf positive Resonanz hoffen.

Der mittlerweile verstorbene DVU-Funktionär Günther Schwemmer aus Potsdam beim NPD-Bundesparteitag in Berlin. Er sammelte Unterschriften gegen das Flüchtlingsheim in Potsdam.

Der Anlass ist der geplante Umzug von ca. 150 Flüchtlingen in ein seit einiger Zeit leerstehendes ehemaliges Lehrlingsheim in Schlaatz. Diese Umzugspläne werden auch von FlüchtlingsbetreuerInnen, die der Heimunterbringung von Flüchtlingen grundsätzlich ablehnend gegenüber stehen, positiv bewertet. Dabei wird als Hauptargument genannt, dass der neue Ort vor allem wegen der Nähe zur Potsdamer Innenstadt für die Flüchtlinge eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen bedeute.

Brandbrief der Wohnungsbaugesellschaft

Dass die Umzugspläne nicht nur auf Wohlwollen stießen, zeigte sich schnell. Dabei war es zunächst die Potsdamer Wohnungsbaugesellschaft (PBG), die in Gestalt ihres Vorstandsmitglieds Roland Zellmann gegen das Flüchtlingsheim mobil machte. Sie veröffentlichte im Februar 2009 in der Potsdamer Lokalpresse einen offenen Brief als bezahlte halbseitige Anzeige. Das Flüchtlingsheim käme »... in seiner Auswirkung auf den Leerstand einem massiven Eingriff in die Wirtschaftlichkeit der pbg gleich«, heißt es dort. Konsequenzen wurden angedroht. »Unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit wären wir gezwungen, unsere Investitionsplanungen zu überdenken.«

In dem Text der Anzeige wird der Zuzug von Flüchtlingen in den Stadtteil durchweg negativ für die Entwicklung des Stadtteils dargestellt. So heißt es dort: »Vor allem sollte das zarte Pflänzchen der sich abzeichnenden positiven Entwicklung, (…) nicht zertreten werden.«

Dieser von PolitikerInnen und Flüchtlingsorganisationen heftig kritisierte Brief kann als Stichwortgeber für die unterschiedlichen rechten Gruppierungen angesehen werden. So wurde auf der Neonazi-Internetplattform Altermedia nach Veröffentlichung des offenen Briefes der PBG gehöhnt, dass die DVU mal wieder ein wichtiges Thema verschlafe, obwohl sie sowohl in der Potsdamer Stadtverwaltung als auch im brandenburgischen Landtag vertreten ist. Doch nach dem Brandbrief der Wohnungsbaugesellschaft hatte auch die DVU das Thema entdeckt. So wird in der RBB-Sendung Klartext ein Partei-Mitglied mit folgendem Statement zitiert: »Die Deutschen ziehen hier alle weg. Ich denke, da kann man die PBG verstehen, dass sich die Wohnungsanfragen auch weiter in dem Bereich bewegen werden… bitte nicht am Schlaatz.«

Nicht nur Zustimmung im Bürgerhaus

Auf einer überfüllten AnwohnerInnenversammlung im Bürgerhaus Schlaatz am 16. Februar ließ sich von der Wohnungsbaugesellschaft niemand blicken. Dafür versuchten bekennende Rechte, darunter DVU-Mitglieder, die StadtteilbewohnerInnen auf ihre Seite zu bringen. Immer wieder wurde die schwere Geschichte des leidgeprüften Stadtteils Schlaatz beschworen, der sich gerade mal positiv zu entwickeln begonnen hatte und nun durch das Flüchtlingsheim wieder zurück geworfen zu werden droht. Allerdings zeigte sich schnell, dass die Versammlung für die Rechten kein Heimspiel werden sollte. Nicht nur von Antifa-AktivistInnen sondern auch von vielen BewohnerInnen aus dem Stadtteil wurde ihnen heftig widersprochen, Darunter waren Studierende, die vor einigen Jahren in den Schlaatz gezogen sind und den Zuzug der Flüchtlinge als Bereicherung für den Stadtteil bezeichneten. Auch alteingesessene SchlaatzerInnen erklärten, dass der Stadtteil ein Flüchtlingsheim gut verkraften könne. Einige rechte AgitatorInnen zogen frustriert schon vor dem Ende der BürgerInnenversammlung ab und wetterten im Hinausgehen über den »Gesinnungsterror der politisch Korrekten«. Ein Mann mittleren Alters, der auf der Versammlung geschwiegen hatte, tröstete die Rechten mit den Worten: Es waren ja die wenigsten Bewohner aus dem Stadtteil hier. Die müssen wir direkt erreichen«.

AktivistInnen aus der Antifa- und Antirassismusarbeit zogen eine gemischte Bilanz über den Ablauf der Versammlung. Im Vergleich zu den 90er Jahren, als in der Auseinandersetzung um die Errichtung von Flüchtlingsheimen rechte Einpeitscher teilweise stürmischen Applaus ernteten und antirassistische Stimmen kaum Gehör fanden, sei der Ablauf in Schlaatz eindeutig ein Fortschritt gewesen. Die Rechten hätten Gegenwind erfahren. Allerdings könne auch nicht von einer antirassistischen Stimmung auf der Veranstaltung gesprochen werden. So seien teilweise auch Beiträge von BefürworterInnen des Flüchtlingsheims von Rassismen durchtränkt, wenn sie beispielsweise das Heim als Belastung einstufen, die aber von den SchlaatzerInnen gestemmt werden könne.

Rechte Offensive

Unterschiedliche rechte Gruppen hatten Schlaatz mittlerweile zu ihrem Agitationsfeld erkoren. Darunter auch die Potsdamer Neonaziszene, die sich nach der Verhaftung und Verurteilung einiger Führungskader im letzten Jahr neu strukturiert hat. Zu ihren spektakulären Aktionen der letzten Zeit gehörte im Dezember 2008 das Anbringen von mehr als 20 bis zu vier Quadratmeter großen Hakenkreuzen in verschiedenen Potsdamer Stadtteilen, darunter auch in Schlaatz. Auch danach waren immer wieder rechte Schmierereien in der Nähe des geplanten Flüchtlingsheims festzustellen.

Die NPD verteilte Flugblätter, auf denen Asylbewerbern eine »gute Heimreise« gewünscht wurde. Nach Angaben des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ermittelt der Staatsschutz wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gegen die VerfasserInnen. Die DVU hatte ihren Fokus auf die Unterschriftensammlung für eine BürgerInnenbefragung gelegt. Damit hoffte sie auch bei den Europa- und Landtagswahlen punkten zu können. So heißt auf der Homepage der DVU-Brandenburg, dass die Bürger den etablierten Parteien die als »Gauner« und »Verräter« tituliert werden, bei den Wahlen einen Denkzettel verpassen sollen, wenn es nicht zum Bürgerbegehren kommt. Mit dem Flüchtlingslager in Schlaatz hofft die DVU noch ein Thema für den Wahlkampf entdeckt zu haben.

Schließlich sehen bisher alle Umfragen die DVU bei der Landtagswahl in Brandenburg unter der Fünfprozenthürde. Das würde für die DVU nicht nur ein Verschwinden aus dem Landtag bedeuten, sondern ihre Position gegenüber der NPD verschlechtern. Denn die ist nicht nur Bündnispartnerin im sogenannten »Deutschlandpakt«, sondern gleichzeitig Konkurrentin um die rechte Führungsrolle in Brandenburg.

In der Rhetorik gibt es bei beiden Parteien keinen Unterschied. So endet der Aufruf der DVU-Potsdam zur Europawahl mit dem durchaus als Drohung zu verstehenden Zitat eines nationalistischen Dichters des 18. Jahrhunderts: »Wer, wenn das Vaterland in Not ist, einen anderen Gedanken als dessen Rettung fühlt, ist nicht wert, in einem freien Staate zu leben.«