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Soundtrack zum Rassenkrieg

Devin Burghart (Gastbeitrag)
Einleitung

Amoklauf eines White-Power-Musikers

Am 5. August diesen Jahres stürmte ein tätowierter Mann das Gotteshaus des Sikh-Tempels in Oak Creek in Wisconsin, zog eine halbautomatische 9 mm-Pistole und schoss wild um sich. Die Gemeindemitglieder des Sikh-Tempels waren gerade dabei das gemeinsame Essen und die Unterrichtsstunde für ihre Kinder vorzubereiten. Der Angreifer tötete sechs Menschen, darunter auch Satwant Singh Kaleka, den Gründer des Tempels. Bei der anschließenden Schießerei mit den alarmierten Polizeibeamten verletzte er einen Polizisten mit acht Schüssen aus kurzer Distanz schwer. Nachdem der Angreifer am Bauch verwundet wurde, richtete er sich selbst durch einen Schuss in den Kopf.

So präsentierte sich der Neonazi-Attentäter im Netz: Wade Michael Page auf der Myspace-Seite seiner Band End Apathy

Schon lange bevor er in dem Gotteshaus das Feuer eröffnete, rüstete sich der Täter mit der ideologischen Munition aus, die nötig ist, um eine solche rassistische Bluttat zu begehen. Als Schütze wurde Wade Michael Page (40) identifiziert. Die genauen Gründe für seine Wahl des Sikh-Tempels als Anschlagsziel sind nicht bekannt. Page’s Vita zeigt aber, dass der junge Mann seit über zehn Jahren überzeugter Rassist gewesen ist. Nachdem er 1998 unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde, entdeckte Page im Jahr 2000 die White-Power-Musikszene für sich. Zu dieser Zeit entwickelte sich die Szene gerade zu einer Propagandamaschinerie mit meh­reren Millionen Dollar Jahresumsatz und darüber hinaus zum erfolgreichs­ten Instrument zur Rekrutierung rassistischer Stra­ßen­kämpfer.

In den Jahren nach seiner Armeezeit reiste Page durch die Vereinigten Staaten und besuchte White-Power-Musikfestivals in Colorado, Georgia, North Carolina und West Virginia. Er fand in der Bewegung sein Zuhause und konnte sich schon bald selbst als erfolgreicher White-Power-Musiker pro­filieren. Nach eigener Aussage spielte er in einigen der erfolgreichsten amerikanischen und europäischen White-Power-Bands, darunter Celtic Warrior, Radikahl, Max Resist, Intimidation One, Aggressive Force, Youngland und Blue Eyed Devils. All diese Bands haben einen ähnlichen Sound. Neben diesem hat die White-Power-Musik­szene bis heute etliche neue Genres hervorgebracht, die von NS-Black Metal bis hin zu Ku Klux Klan-Country­balladen reichen. Doch all diese unter­schiedlichen Musikstile dienen einzig und allein dem Transport der gleichen Botschaft: Dem Hass auf Juden, Muslime, alle Nichtweißen, Schwule und Lesben, dem Ruf nach Gewalt und der Glorifizierung des Genozids. So finden sich beispielsweise unter den Liedtexten der Band Intimidation One widerwärtigste antisemitische Vernichtungs­phantasien und eine CD der Blue Eyed Devils trägt den Titel »Holocaust 2000«.

Im Zuge seines Engagements in der Musikszene wurde Page Ende des Jahres 2011 »full-member« bei den Hammerskins. So fand sich auch an exponierter Stelle, nämlich auf seinem rechten Arm, ein Zahnrad mit der Ziffernfolge 838 – dem alphanumerische Code für »hail crossed hammers« (Heil den gekreuzten Hämmern). Die gekreuzten Hämmer und das Zahnrad sind das Symbol der Hammerskins.

Die Hammerskins wurden 1988 in Dallas, Texas gegründet und haben heute neben sechs regionalen Chaptern in den USA auch welche in Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Neuseeland, Portugal, Spanien, Schweden und der Schweiz. Sie verstehen sich selbst als Elite der Neonazi-Skinheads und in­szenieren sich als verschworener Männerbund mit strengen Auswahlkriterien für potentielle Mitglieder.

Die Geschichte der Hammerskins ist eine Geschichte der Gewalt – Morde, Brandanschläge, Synagogenschändun­gen und Überfälle inklusive. Nur wenige Monate vor Pages Mordanschlag wurde ein anderes ehemaliges Hammerskin-Mitglied bei der Planung eines Massenmords gestoppt. Im Mai 2012 verhafteten die Sicherheitsbehörden in Florida den ehemaligen Hammerskin Marcus Faella und mehr als ein Dutzend Mitglieder der rassistischen Skinheadgruppierung American Front1 . Den Ermittlern zufolge habe es Pläne für Angriffe auf rivalisierende Gruppen und auf das Rathaus von Osceola County gegeben. Zudem soll die Gruppe mit der Herstellung des als Kriegswaffe gelisteten Giftes Rizin experimentiert haben.2

Im September 2011 wurde ein Neonazi-Skinheadpärchen festgenommen, nachdem es in mehreren Bundesstaaten Verbrechen mit dem Ziel begangen hatten, die »weiße Rasse zu reinigen und zu erhalten«. Dem 32jährigen David »Joey« Pedersen und der 25jährigen Holly Ann Grigsby wurden die Tötung von vier Menschen sowie Entführung und Raub zur Last gelegt. Den Gerichtsakten zufolge waren die beiden Teil einer kriminellen Gruppierung, die das Ziel verfolgte, die rassistische Bewegung zu unterstützen. Das Pärchen raubte seine Opfer aus, um die rassistische Kampagne zu finanzieren, stahl ihre Autos für die Flucht und ermordete sie, um keine Zeugen zurückzulassen. Dabei wurden auch exponierte Vertreter der jüdischen Community und jüdischer Organisationen als potentielle Mordopfer ins Auge gefasst.

Obwohl die White-Power-Musik­szene heute nicht mehr so schnell wächst wie zur Zeit der Jahrtausendwende, als Page sich ihr anschloss, konnte sie sich dennoch verfestigen und etablieren. Was damit einhergeht, ist eine omnipräsente Bedrohung für Minderheiten-Communities im ganzen Land und die Gefahr, dass es jederzeit wieder zu tödlichen Attacken kommen kann. Es bedarf deshalb eines breiten gesellschaftlichen Engagements um der White-Power-Szene den Saft abzudrehen, bevor sie weitere rassistische Mörder motiviert.

Der Autor ist Vizepräsident der Nichtregierungsorganisation Institute for Research & Education on Human Rights. Er ist Mitbegründer der Kampagne Turn It Down gegen White-Power-Musik und Herausgeber des Buches »Soundtracks to the White Revolution: White Supremacist Assaults on Youth Music Subcultures«