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Sondergesetze für Flüchtlinge

Rechtsanwalt Volker Gerloff
Einleitung

Das deutsche Ausländerrecht ist – wie so vieles – nur aus seiner Historie vollständig zu verstehen. Seinen Ursprung hat es in der Ausländerpolizeiverordnung von 1938. Änderungen gab es dann durch die Ausländergesetz 1960 und 1990 sowie das Aufenthaltsgesetz 2005. Das System ist jedoch geblieben: Das Ausländerrecht ist besonderes Polizeirecht, also Gefahrenabwehrrecht, wobei die Gefahr freilich die Ausländer_innen sind.

Der klassische Gang der Dinge für einen Flüchtling ist dieser: Nach der Ankunft in Deutschland meldet er oder sie sich in einer Aufnahmestelle für Asylbewerber_innen und wird auf ein Bundesland verteilt. Dort kommt er oder sie für 6 Wochen – max. 3 Monate – in eine Erstaufnahmeeinrichtung. Danach erfolgt eine Verteilung innerhalb des Bundeslandes in eine Gemeinschaftsunterkunft, die von den Betroffenen zutreffender als Lager bezeichnet wird. Grundsätzlich gilt ein Arbeitsverbot. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Außerdem gilt die Residenzpflicht – ein Verlassen des zugewiesenen Landkreises ist nur mit Erlaubnis durch die Ausländerbehörde möglich. Irgendwann entscheidet dann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über den Asylantrag. Ist die Entscheidung positiv, folgt der Aufenthaltstitel. Ist die Entscheidung negativ, folgt die Duldung. Die Duldung bedeutet eine registrierte Illegalität. Das Arbeitsverbot und die Lagerunterbringung bestehen grundsätzlich weiter. Auch die Abhängigkeit vom AsylbLG bleibt bestehen. Nur die Residenzpflicht erweitert sich vom Land­kreis auf das zugewiesene Bundesland.

Die Lagerunterbringung ist ein wesentlicher Baustein der Repression gegen Flüchtlinge. Die Lager gelten baurechtlich nicht als Wohnbebauung und können daher oft mitten im Wald oder in Industriegebieten angesiedelt werden. Oft sind es baufällige alte Gebäude, die weder renoviert noch saniert werden, wo es nicht selten nur kaltes Wasser gibt, quantitativ und qualitativ unzureichende sanitäre Anlagen und sehr beengte Zimmer. Letztlich werden haftähnliche Zustände geschaffen, die auf Dauer die psychische und physische Gesundheit der Insass_innen auf eine harte Probe stellen. Dabei haben die jeweiligen Behörden hier ein Ermessen und könnten die Flüchtlinge also auch anders – z.B. in Wohnungen – unterbringen. Hier spielen aber auch, nicht einfach zu durchschauende, Verflechtungen zwischen den Landkreisen und privaten Betreibern der Lager eine Rolle. Wo Profite gemacht werden, waren Veränderungen schon immer schwer durchsetzbar.

Ein weiterer Baustein der Repression ist die Residenzpflicht. Wer ein zugewiesenes Gebiet verlassen möchte, braucht eine Erlaubnis der Ausländerbehörde. Für Asylbewerber_innen wird dies damit begründet, dass das Asylverfahren durch die ständige Erreichbarkeit gesichert werden muss. Das für das Asylverfahren zuständige BAMF kontaktiert die Betroffenen aber meist gar nicht oder per Post. Es ist mir kein Fall bekannt, in dem die Residenzpflicht irgendeinen Einfluss auf das Asyl­verfahren gehabt hätte, es gar gesichert oder beschleunigt hätte. Bei Geduldeten wird die Residenz­pflicht damit begründet, dass sie nicht besser gestellt sein sollen, als Asylbewerber_innen.

Wer ein zugewiesenes Gebiet verlässt, begeht beim ersten Mal eine Ordnungswidrigkeit, bei allen weiteren Verstößen ist eine Straftat gegeben. Dabei hat es zum großen Teil die Ausländerbehörde in der Hand, die Betroffenen in die Strafbarkeit zu treiben. Viele Ausländerbehörden vergeben Erlaubnisse zum Verlassen der Residenz nur sehr restriktiv. Es entstehen auch so absurde Konstruktionen, dass sich der oder die Betroffene bspw. vom Unterbringungsort Senftenberg ohne Erlaubnis bis in das weit entfernte Neuruppin begeben darf, das nahe gelegene Hoyerswerda aber liegt bereits im »verbotenen Bereich«. Betroffen von der Residenzpflicht sind in der Regel auch nur Flüchtlinge, die für einen Polizeibeamten wie Flüchtlinge aussehen. Weiße Flüchtlinge werden kaum von der Residenzpflicht tangiert. Die Polizei macht gezielt Jagd auf nicht-weiße Personen, vor allem auf Bahnhöfen.

Auch das AsylbLG ist Bestandteil der Repression. Hier bietet sich der Behörde ein Instrumentarium an Sach­leistungen, Gutscheinen und Sanktionen. Sachleistungen können soweit gehen, dass der oder die Betroffene sämtliche Leistungen (inklusive Ernäh­rung) in Naturalien erhält. Auch damit wird ein Sich-Entfernen vom Lager unmöglich gemacht, da es nur dort etwas zu essen gibt. Die Bewilligung von Gutscheinen statt Bargeld ist für die Landkreise zwar teuer, wird aber nach wie vor von einigen aufrechterhalten. Diese Gutscheine gelten nur am Ort des Lagers, nur in bestimmten Geschäften und es gibt in der Regel kein Bargeld als Wechselgeld. Wirkt der oder die Geduldete bspw. an seiner oder ihrer Passbeschaffung (und damit der Abschiebung) nicht mit, werden die Leis­tungen oft drastisch gesenkt. Am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht das AsylbLG weit­gehend für verfassungswidrig erklärt und damit für eine spürbare Erleichterung gesorgt. Die Sozialämter sind jedoch bemüht, so viel wie möglich vom Asyl­bLG »zu retten«. Insbesondere die ver­fassungswidrigen Leistungskürzungen wegen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung werden zum Großteil weiter angewendet.

Geht ein_e Betroffene_r gegen Miss­stände vor, greifen weitere Repressionen. Bei Geduldeten werden dann bspw. die Duldungen für immer kürzere Zeiträume verlängert, so dass der oder die Betroffene im Extremfall wöchentlich bei der Ausländerbehörde zur Verlängerung der Duldung vorsprechen muss. Gelegentlich werden Betroffene auch gedrängt Erklärungen zu unterschreiben, dass die Rechts­mittel, die ein_e Rechtsanwält_in eingelegt hat, zurückgenommen werden. Das Sozialamt setzt meist die Daumenschrauben bei weiteren Kürzungen der Leistungen an.
Hier versagen Demokratie und Rechts­staat. Ein wesentlicher Bestand­teil der Demokratie ist die Gewaltenteilung. Die Behörden halten aber die bestehenden Gesetze kaum ein oder wenden sie willkürlich zum Nachteil der Betroffenen an. Der Zugang zu den Gerichten ist durch diverse Sondergesetze erschwert und die Gerichte selbst sehen ihre Rolle nicht selten als Verteidigerin der Behördenpraxis. Eine Richterin am Amtsgericht Eisenhüttenstadt lässt die rechtsstaatliche Maske vollends fallen. Nachdem sie sich regelmäßig in ihren Urteilen über das »Heer der Illegalen« und die unzumutbare Zunahme der Zahl der »Asyltouristen«, die nach Deutschland kommen um hier Straf­taten zu begehen, auslässt, folgt die Erkenntnis: »Dies führt dazu, dass es in diesen Ballungsgebieten immer mehr zu Spannungen kommt, die sich dann in der Regel durch weitere Straftaten entladen.« Wie anders soll das verstanden werden, als dass es nur logisch sei, dass sich das »deutsche Volk« gegen die unzumutbare Zuwanderung erheben wird?

Die rassistischen Sondergesetze müs­sen ersatzlos abgeschafft werden. Rassismus ist aber nach wie vor ein fester Bestandteil der deutschen Gesell­schaft. Es gibt also noch viel zu tun!