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Schwarz-braunes Alpenglühen

Heribert Schiedel
Einleitung

Ab den späten 90er Jahren kam es in Mode, jenen Rechtsextremismus, der sich im Rahmen der Demokratie artikuliert, als »Rechtspopulismus« zu bezeichnen. Dies gilt vor allem für Deutschland, wo eine enge definitorische Bindung des Begriffes Rechtsextremismus an die Frontstellung gegen die »Freiheitlich-demokratische Grundordnung« besteht. Demgegenüber hat sich in Österreich ein Verständnis von Rechtsextremismus durchgesetzt, das diesen in erster Linie als organisierten Rassismus und Antisemitismus begreift, verbunden mit autoritären Einstellungen. Gerade hierzulande dient daher die Rede vom »Rechtspopulismus« oft dazu, Ross und Reiter nicht beim Namen nennen zu müssen. Entgegen dieser Verharmlosung halte ich an der Charakterisierung der FPÖ als rechtsextrem fest.

NPD Anhänger zeigen sich auf einer NPD-Demonstration im März 2000 in Berlin als Freunde Österreichs.

Bei allen Einwänden gegen den Begriff kann er doch in der vergleichenden Parteienforschung hilfreich sein. Als Kriterium der Abgrenzung dient hier das jeweilige Verhältnis zum historischen Faschismus und Nationalsozialismus sowie die Existenz einer über simple Anti-Haltungen (gegen Steuern, Migration usw.) und einer Affirmation des Neoliberalismus hinausgehenden Programmatik. Dass diese – wie das Beispiel der FPÖ zeigt – durchaus widersprüchlich sein kann, tut dieser Differenzierung keinen Abbruch.

Der »freiheitliche« Weltanschauungsmix – von neoliberal bis national-sozial – hat seinen Grund in der sozialen Heterogenität der FPÖ-AnhängerInnen- und FunktionärInnenschaft. Er ist aber um einen rechtsextremen Kern, der sich im Vorrang der »natürlichen Gemeinschaft« von Volk und Familie gegenüber dem Individuum ausdrückt, gruppiert. Als »rechtspopulistisch« erscheinen demnach die Fortschrittspartei (Nor), Dänische Volkspartei, Lega Nord, Liste Pim Fortuyn, Schweizerische Volkspartei usw., als rechtsextrem die FPÖ, der Front National sowie Vlaams Blok und andere.

»Kleiner Mann« ganz groß

Daneben kann der Begriff hilfreich sein bei der Analyse der Agitationsformen, während der des Rechtsextremismus mehr auf die Inhalte abzielt. So gesehen ist etwa die FPÖ eine rechtsextreme Partei, die populistisch agiert. Tatsächlich kann der Erfolg der FPÖ – 27 Prozent bei den Wahlen 1999; unter unselbständig Beschäftigten gar 47 Prozent – nicht ausschließlich mit rechtsextremer Weltanschauung erklärt werden. Zu diesem Motiv kommt eine notwendig diffus-oberflächliche Protesthaltung, die sich Haider zu Nutzen machte.

Vor allem auf die soziale Funktionalität zielt die Definition von Hirsch/Roth, wobei sie vom autoritären Populismus sprechen: »Wesentliches Merkmal eines autoritär-populistischen Diskurses ist es, dass er reale gesellschaftliche Konflikte und Klassengegensätze systematisch dethematisiert. Statt auf vorwärtsgreifende gesellschaftliche Utopien bezieht er sich auf den alltagssprachlichen common sense individualisierter Subjekte. Er zerfasert und entpolitisiert die von Ausbeutung und Unterdrückung herrührenden Erfahrungen, läßt gesellschaftliche Spaltungen und Ausgrenzungen als naturgegebene Prozesse erscheinen, mobilisiert disparate Unzufriedenheiten, Ressentiments und Gruppeninteressen und bindet gleichzeitig diese ideologisch so zusammen, daß die bestehenden Zustände bei den Betroffenen sich selbst legitimieren.«1

»Das Volk« und »der Agitator«

Das Subjekt – besser: Objekt – des autoritären Populismus ist das »Volk«, verstanden als vordiskursive Gemeinschaft der Identischen – hier ist seine notwendige Tendenz zum Rassismus angesprochen – und der mit bestimmten Eigenschaften wie »Rechtschaffenheit«, »Fleiß«, »Anstand« ausgestattete »kleine Mann«. Dieser wird implizit als ohnmächtig und explizit in seinem Gegensatz zum Establishment angerufen. Im Zentrum des autoritär-populistischen Diskurses steht das Gegensatzpaar »Wir« – die mit allen »positiven« Eigenschaften ausgestatteten »kleinen Leute« – und »Die« – die Nicht-Identischen: Unten die »Ausländer«, und Oben die »Bonzen«, »Bürokraten« und »Politiker«, die auch den »gerade greifbaren Ersatz für das eigentliche Haßobjekt, die Juden« darstellen.2

Der Agitator bietet sich den »kleinen Leuten«, die es sich – zumindest in Österreich unter Mithilfe der Sozialdemokratie und Gewerkschaften – in ihrem Status bequem gemacht haben und ihre Ohnmacht konformistisch verarbeiten, zur Delegation der Aggressionen und Racheimpulse an. Stellvertretend lebt er diese an Ersatzobjekten aus, nicht zuletzt in einer von Gewalt- und Strafphantasien durchsetzten Sprache. Der Agitator versteht es, das Unbehagen der »kleinen Leute« von dessen Ursachen wegzulenken und sich nutzbar zu machen. Der autoritär-populistische Diskurs ist personalisierend und neigt zur Etablierung von Verschwörungsmythen. Der Agitator lobt das Konkrete (Kleine, Authentische, »Heimat« usw.) und hasst das Abstrakte (Urbanität, Kosmopolitik, Globalisierung usw.). Er appelliert nicht ans Interesse, sondern an den Neid und das Ressentiment.

Der Agitator bedient sich einer spezifischen Sprache. Diese ist »von rationaler Bedeutung entleert, funktioniert (...) magisch und fördert die archaischen Regressionen«.3 Der autoritär-populistische Diskurs ist inhaltlich schwer kritisierbar, beruht er doch »offenkundig nicht auf der Absicht, durch rationales Aufstellen rationaler Ziele Anhänger zu gewinnen, sondern auf psychologischer Berechnung«.4

Autoritäre Rebellen?

Die autoritär-populistischen Agitatoren lassen sich als »magische Helfer« beschreiben.5 Sie »helfen« den vielfältig narzisstisch Gekränkten und in undurchschauter Herrschaft Verfangenen, indem sie diese glorifizieren und sich selbst als Ideal zum Zwecke der Identifizierung6 anbieten, sie in ihrer autoritären Aggression bestätigen und es ihnen erlauben, ihre sadistischen Triebregungen an den Nicht-Identischen auszuleben.

Das befreiende Gefühl, das sich dabei beim Publikum einstellt, bindet dieses wieder fester an den Agitator. Weil die Bindung der »kleinen Leute« an den idealisierten Führer, der sich klein und groß zugleich macht, maßgeblich irrationaler Natur ist, ist sie so schwer mit dem Verweis auf rationale Interessen, denen diese Bindung widerspräche, aufzulösen. Erst wenn der Agitator bestimmte Eigenschaften verliert oder seine mediale Inszenierung sich totgelaufen hat, beginnt sein Abstieg in der Gunst des Publikums. Das österreichische Beispiel zeigt darüber hinaus, dass der autoritäre Populismus an der politischen Macht rasch seine Anziehungskraft verliert.

Die ParteigängerInnenschaft autoritärer Populisten lässt sich als »autoritäre Rebellion« begreifen.7 Gemeint ist damit ein Scheinaufstand der Autoritären oder KonformistInnen gegen falsche oder alte Autoritäten, die »schwach« geworden sind und deswegen den Zorn der Ohnmächtigen auf sich ziehen. Hier ist die Krise des sozialen Wohlfahrtsstaates als Voraussetzung für den Erfolg des autoritären Populismus angesprochen. Die zuvor ideologisch und materiell eng an diesen gebundenen »kleinen Leute« reagierten mit autoritärer Wut auf die vormaligen Funktionäre der sozialstaatlichen Regulierung, die unter dem Druck der »Sachzwänge« ihre Gestaltungsmacht verloren haben.

Post-Sozialdemokratismus

Begünstigt werden autoritär-populistische Diskurse durch eine herrschende Politik, die sich auf Propaganda, auf bloße Organisierung von Zustimmung beschränkt. Daneben ist die Legitimationskrise der spätbürgerlichen Demokratie als Bedingung des autoritären Populismus zu nennen. Dieser antwortet auf die Krise der Repräsentation mit dem Ruf nach Identifikation. Mit dem Stopp der Demokratisierung unter den Bedingungen des Neoliberalismus schwanden die Erfolgsaussichten solidarischen Handelns entlang gemeinsamer sozialer Interessen. Dies begünstigt die »Tendenz zu ‚narzißtischer Pers-pektivenverengung’ sozialen Protests«.8

Die autoritär-populistische Mobilisierung unbewusster und regressiver Prozesse »wird durch die seelische Verfassung all der Gesellschaftsschichten erleichtert, die unter sinnlosen Versagungen leiden und darum eine verkümmerte, irrationale Mentalität entwickeln.«9 Diese Mentalität wird begünstigt durch die politischen Praxen, mit welchen die historischen Parteien der »kleinen Leute« deren Zustimmung organisierten. Sie resultiert aus der Integration der negativ Individualisierten in den Nationalsozialstaat.

Die kollektive Wahrnehmung sozialer Interessen, die der Ausbildung einer derartigen sozialen Mentalität im Wege stünde, kann verlernt werden. Begünstigt wird dies durch eine Sozialdemokratie samt angeschlossener Gewerkschaften, die ihre Hauptaufgabe seit jeher in der Befriedung ihrer Basis sieht. In diesem Prozess der Sozialnationalisierung der Massen wurde die soziale Frage als nationale desartikuliert. Der autoritäre Populismus ist – zumindest in Österreich – die Fortsetzung der Sozialdemokratie mit anderen Mitteln.10 Die »kleinen Leute« wurden vom Objekt technokratischer Verwaltung zum Adressaten Haiderscher Agitation.

Dieser Artikel wurde dem AIB von Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand, Wien, zur Verfügung gestellt.

  • 1s. Joachim Hirsch/Roland Roth (1986): Das neue Gesicht des Kapita­lismus. Vom Fordismus zum Postfordismus. Hamburg, S. 161
  • 2vgl. Theodor W. Adorno, 1995: Studien zum autoritären Charak­ter, Frankfurt/Main, S.124
  • 3vgl. Theodor W. Ador­no, 1971: Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, in: ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt/Main, S. 58
  • 4ebd. S. 34
  • 5vgl. Erich Fromm, 1945: Die Furcht vor der Freiheit, Zürich, S. 173
  • 6Wie die historischen Führer erscheinen auch die autoritärpopulistischen Agitatoren als Vergrößerung des Selbst: »Indem er den Führer zu seinem Ideal macht, liebt der Mensch eigentlich sich selbst, nur unter Beseitigung der Misserfolgs- und Unzufriedenheitsmerkmale, die sein Bild vom eigenen empirischen Selbst entstellen.« (Adorno 1971, S. 43). Dies erklärt die Tatsache der männlichen Überrepräsentanz unter den Haider-AnhängerInnen: er ist scheinbar wie sie gerne wären – sportlich, dynamisch, ewig-jung und erfolgreich, mutig, stark usw.
  • 7vgl. Erich Fromm, 1936: Studien über Autorität und Familie. Forschungsbericht am Institut für Sozialforschung, Paris, S. 131
  • 8s. Joe Berghold/Klaus Ottomeyer, 1995: Popu­lismus und neuer Rechtsruck in Österreich im Vergleich mit Italien, in: Sieder, Reinhard; Steinert, Heinz; Tálos, Emmerich (Hrsg.): Öster­reich 1945-1995. Gesell­schaft-Politik-Kultur. Wien, S. 320
  • 9vgl. Theodor W. Ador­no, 1971: Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschis­tischen Propa­ganda, in: ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt/Main, S. 61
  • 10

    So gesehen hat Haider – bei aller Demagogie – nicht ganz Unrecht, wenn er die rechtsextremen und – populistischen Parteien Europas als »Erben der Sozialdemokratie« und sich selber als »Fraktionssprecher der alten Sozialdemokratie in der FPÖ« (Kurier, 11.8.2002) bezeichnet. Daneben zeigt das deutsche Beispiel, dass eine ge­wan­delte Sozialdemo­kratie selbst ihre autori­tär-populistische Nachfolgeschaft antreten kann. Diesem Versuch ist jedoch wohl nur kurz­fristiger Erfolg beschieden.